Wells: Außenseiter wird Insider
Schon sein Auftreten war immer ein gezielter Affront. Abschätzig, provozierend vor allem gegenüber den deutschen Großautoren der 60er und der „Gruppe 47“. Die Literatur der Gegenwart war für (1940–1975) der Sound der Beat Generation in den USA machte und die Äs thetik des „Nouveau Roman“in Frankreich. Also brachte er sie ins Deutsche, dichtete selbst radikal, collagierte auch Obszönes und Alltägliches zu „Materialiensamm lungen“– und wurde tatsächlich rich tungsweisend. Mit Pop als Gegenkultur, die U wie unterhaltend sehr E wie ernst haft nahm. Eine Trennung? Lächerlich! erscheinende Formulierungen, polarisiert damit ermüdenderweise erneut („Wie glitschige Seife“) – und fesselt damit zumindest die, die sich darauf einlassen, umso mehr. Der Plot, der natürlich kein wirklicher ist: Wie zuletzt auch in „Mogador“widmet sich Mosebach jenen Menschen, die wie auch immer zunächst viel materiellen Besitz errungen haben, am Ende aber doch in einer mehr oder minder magisch-realistischen Reise an die Grenzen ihrer Existenz geführt werden. In diesem Fall eben jener Krass, Ralph Krass, der mit Geld, aber gleichwohl auch aus sich selbst heraus gravitätisch im ersten Teil des Buches einen schranzigen, restbürgerlichen Hofstaat um sich versammelt, mit dem er Champagnertrinkend Neapel und den italienischen Süden bereist. An seiner Seite der gekaufte Jüngel, das Gegenteil seines Herrn, promoviert und servil bemüht, Museums- und Restaurantbesuche, einen verrückten Villenkauf
Literatur war für (1935–1986) eine konkret künstlerische Ethnografie der Gegenwart. Ist das nicht genau: Pop? Was das für ihn hieß, zeigte er etwa 1968 mit dem Roman „Die Palette“, tief ins Zwielicht der Gammler, Bohemiens und Hafenarbei tern leuchtend (Hallo, Heinz Strunk?). Seine Erkun dungen der alle Wahrheit lehrenden Wirklichkeit gingen von St. Pauli bis in den Senegal. Sein Traum, 19bändig „Die Geschichte der Empfind lichkeit“vorzulegen, blieb unvollendet. Der Titel allein müsste der Name der Anthologie al ler PopLiteratur sein.
Diogenes, 353 Seiten, 24 Euro
Dörlemann, 96 Seiten, 15 Euro
Fünf Jahre hat Benedict Wells an Hard Land geschrieben, war dafür einige Monate lang in den USA unterwegs und hat „wirklich jeden einzelnen Coming-of-Age-Film der 80’s geschaut“. „Ich habe für dieses Buch alles gegeben, was ich konnte, sagt der Bestsellerautor. „Und ehrlich gesagt habe ich gerade diese Geschichte, diese Figuren, diesen Ort und dieses Coming-of-Age-Genre so geliebt wie fast nichts bisher beim Schreiben.“Der Roman „Hard Land“erzählt nun ein Jahr im Leben des 16-jährigen Sam, ein scheuer einsamer Junge. Seine Mutter hat Krebs und die Angst, sie zu verlieren, überschattet sein ganzes Leben, bis er als Aushilfe im Kino neue Freunde kennenlernt, die älter sind, erfahrener, abgeklärter. Das Trio nimmt Sam unter seine Fittiche und die sprunghafte Kirstie wird seine erste Liebe. Der Außenseiter wird zum Insider: „… und ich fühlte mich so, wie ich mich schon mein ganzes Leben lang fühlen wollte: übermütig, und wach und mittendrin und unsterblich.“
Benedict Wells kann schreibend nicht nur amerikanische Käffer ausleuchten, sondern auch in Gefühlswelten abtauchen, ohne im Pathos zu versinken. Manches ist trotzdem ein Balanceakt auf Messers Scheide. Doch Wells entgeht allen Absturzgefahren, indem er Sam erzählen lässt – zuerst zaghaft, dann immer beherzter und mit wachsendem Selbstbewusstsein. Ein wunderbarer Coming-of-Age-Roman, emotional packend und voller Lebensmut.
Lilo Solcher
auf Capri und selbst die Staffage mit einer jungen Frau („Keine Intimität“) zu arrangieren.
Jene Lidewine, vormals sich von Mann zu Mann hangelnd, jeden aber auf ihre Weise ernst nehmend, nicht wissend, wie das nächste Glas Champagner zu bezahlen ist, das sie dennoch bestellt, jene Lidewine, unbekümmert und lebensklug zugleich, von Mosebach gar als das „ewig Weibliche“eingeführt, sorgt schließlich für den Zerfall der dekadent-schmarotzenden Gesellschaft.
Es ist neben dem ewig hadernden Jüngel die faszinierendste Figur in diesem Buch, das trotz klassischer Erzählhaltung immer wieder, wie sich von hinten anschmiegend, auch die Perspektive, beziehungsweise besser: die Stimmung der jeweiligen Protagonisten wiedergibt. Und Krass, das undurchschaubare Zentrum? Wer sich kurz in einer Art Thriller wähnt, wird enttäuscht. Nur beiläufig ist zu erfahren, dass er wohl so etwas wie ein Waffenschieber
ist, in dunkle Geschäfte verwickelt. Doch was bedeutet das schon? „Ihm war es immer gleichgültig gewesen, womit er handelte. Der Handel war etwas Eigenes, hatte mit dem Produkt gar nichts zu tun, das Produkt war nur das Mittel, um das Handeln möglich zu machen.“
Von der feinen, ironischen Erzählweise, der Handlung Ende der 80er, später dann Ende der 2000er in Kairo, darf man sich also nicht täuschen lassen. Es geht um uns. Und mögen die Codes mittlerweile auch andere sein als ein mittägliches Glas Dom Perignon (besser Bionade!), am Prinzip ändert sich nichts. Das muss zuletzt auch der manisch herumreisende Krass, der Kultur und Menschen gleichermaßen konsumiert, erfahren. Wie sagte Mosebach unlängst gegenüber Cicero? „Man darf nicht von einem anderen Ort erwarten, was man aus sich selbst heraus nicht holen kann.“Am Ende bleibt uns eben doch nur die Sprache. Christian Imminger