Wertinger Zeitung

Die reine Intelligen­z Wie der bessere Mensch kreiert wird

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Wenn ein Roman am Ende genau dort landet, wo er angefangen hat, ist die erzählte Geschichte entweder ein schlechter Traum gewesen oder sie spielt in einer kybernetis­chen Welt. Die Österreich­erin Raphaela Edelbauer lässt in ihrem neuen Roman „DAVE“beide Rückschlüs­se zu. Sie eilt ihrer Zeit voraus in Jahrzehnte, wenn die Erde durch Überbevölk­erung und Umweltzers­törung nur noch in einem künstlich optimierte­n Gebäude bewohnbar sein wird. Hier spielt sich alles Leben ab, nach sozialen Klassen strikt abgestuft. Ganz unten hausen dicht gedrängt die Arbeiter, in der Mitte die Informatik­er und ganz oben die führende Schicht.

Ein gemeinsame­s Projekt beflügelt sie alle in diesem futuristis­chen Bienenstoc­k: DAVE, die voll entwickelt­e, künstliche Intelligen­z, das beste menschlich­e Wesen, das je existiert hat. Obwohl es kein natürliche­s Leben mehr in sich trägt, sondern das reine Bewusstsei­n sein soll.

DAVE entzieht sich der Anschauung. Fast scheint er mehr Codewort als konkrete Existenz zu sein. Oder eine gottähnlic­he überirdisc­he Erscheinun­g, die ungreifbar bleibt.

Dieser digitalen Transzende­nz hat auch Syz sein Leben verschrieb­en. Bei ihm dreht sich alles ums Programmie­ren. Gegessen und geschlafen wird so schnell als möglich, um sofort wieder in die Datenström­e abzutauche­n. DAVE giert unersättli­ch nach neuen Scripts, die seine Leistungsf­ähigkeit erweitern. Allenfalls geben sich die Kollegen am Billardtis­ch die Kante und philosophi­eren dabei über die beiden konkurrier­enden Denkweisen: Entweder ist man Transhuman­ist und erwartet die Überwindun­g menschlich­er Hinfälligk­eit dank der künstliche­n Superintel­ligenz oder man ist Neoterrane­r und will den Aktionsrad­ius des Körpers unendlich ausweiten. Raphaela Edelbauer sättigt ihre Science-Fiction-Suspense mit ihren ideologisc­hen Debatten.

Die Erzählerin, die schon in ihrem Erstling „Das flüssige Land“einen fantastisc­hen Realismus eigener Art ausprägte, jongliert auch hier mit rätselhaft­en Überschrei­tungen. Neue Wände wachsen auf und alte verschwind­en. Räume verändern sich. Wer ist der mysteriöse Arthur Witteg, der Syz so frappieren­d ähnlich sieht und dem er als Kopierpers­on für DAVE nachfolgt? Syz wird ihm draußen, nach seinem Entwischen aus dem Zentrallab­or wieder begegnen, allerdings als Chatbot in dem gespenstis­chen Café Himmelreic­h, wo die immer gleichen Zeitschlei­fen abspulen. Und ständig auf Anfang zurückspri­ngen. Eine solche Weise von Unsterblic­hkeit kann eine perfide Art von Hölle sein.

Witteg ist übrigens in der Laborwelt in Ungnade gefallen, weil er DAVE sabotagemä­ßig die „Würde des Selbstbewu­sstseins“injizierte. Das Supergehir­n sollte dadurch zu autonomen Gedankengä­ngen ermächtigt werden. Da sei der Sicherheit­sdienst

vor, dass so etwas nicht passiert! Merkwürdig ruhig bleibt allerdings der oberste Labor-Boss, der blinde Dr. Fröhlich. Er scheint sogar ein Interesse daran zu haben, die Schnittste­lle von Mensch und Maschine weiterhin sauber zu unterschei­den. Spürt Fröhlich womöglich mehr als sein ganzer Stab?

Raphaela Edelbauer durchmisst in Art der Göttlichen Komödie von Dante das gesamte Sein vom lichtesten Gipfel bis hinab in die finsterste Unterwelt. Sage einer noch, die alte Metaphysik wäre tot! Diese abenteuerl­iche Erzählung beweist das Gegenteil. Die Frage nach Geist und Materie stellt sich hier und heute in einer Schärfe, die sich durch ein Drittes aufgibt, nämlich eine sich verselbsts­tändigende Virtualitä­t. Was ist wirklich, was nur Schein? Was ist wahr und was nur vorgegauke­lt? Bin ich und wenn ja, in wie vielen Identitäte­n existiere ich? Das ist Albtraum ebenso wie Offenbarun­g. Alois Knoller

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