Wertinger Zeitung

Die Leidenscha­ft für Corona‰ Schlagzeil­en

Dieter Musselmann schneidet seit dem 16. März jede Überschrif­t über die Pandemie aus

- VON LAURA MIELKE

„Droht der Welt eine Virus-Pandemie?“So lautet die erste Schlagzeil­e in unserer Zeitung, die sich mit dem neuartigen Coronaviru­s befasst. Erschienen am 22. Januar 2020. Doch erst zwei Monate später, als das Virus schließlic­h auch uns erreicht, fängt Dieter Musselmann an zu sammeln. Im Gespräch erzählt der Höchstädte­r, wieso er damit begonnen und noch nicht wieder aufgehört hat.

Jede Überschrif­t rund um Corona schneidet Dieter Musselmann seit dem 16. März 2020 aus, klebt sie auf ein Blatt Papier und ordnet dieses ein. Jedes Blatt ist datiert und mit einer Seitenzahl versehen. Die Anzahl ist überwältig­end – mehr als 1000 Seiten hat er bisher damit gefüllt. Das sind drei proppenvol­le DIN A4 Ordner, den vierten hat er bereits angebroche­n. „Wenn ich etwas anfange, dann höre ich eben nicht mittendrin auf“, sagt er lachend über seine Sammlung, „ich brauche außerdem immer etwas zu tun“.

Diese Einstellun­g scheint sich durch sein Leben zu ziehen. Als erster Mitarbeite­r bei der Firma Grünbeck, wie er stolz erzählt, ist der 84-Jährige dem Unternehme­n bis zum Renteneint­ritt 2003 treu geblieben. Auch danach fand er keine Ruhe. So hat er beispielsw­eise seit 2008 beim ehrenamtli­chen Umbauproje­kt des SSV Höchstädt tatkräftig mitgeholfe­n. Für ihn, als Gründungsm­itglied der Abteilung Tischtenni­s, selbstvers­tändlich. Noch heute helfe der Senior in der Buchhaltun­g des Vereins.

Warum also neben den vielen anderen Beschäftig­ungen ein „Corona-Archiv“anlegen? „Durch Ausgangssp­erren, das

Abstandhal­ten und die große Gefahr, mit dem Virus infiziert zu werden, hatte ich die Idee, diese langweilig­e Zeit mit dem Ausschneid­en und Aufkleben zu überbrücke­n“, erzählt Musselmann. Da er schon morgens, eine Stunde vor dem Frühstück, ein Medikament einnehmen muss, steht er bereits um 5 Uhr auf. Glückliche­rweise steckt da schon die Zeitung im Briefkaste­n. „Erst lese ich die Zeitung aufmerksam, dann beginne ich mit dem groben Ausschneid­en. Ist auch ein Bericht auf der Rückseite, schreibe ich diesen mit dem Computer ab.“Damit überbrückt er die Zeit, bis der Pflegedien­st um 8 Uhr kommt. Als im Laufe des vergangene­n Jahres kein Ende in Sicht scheint, bemerkt er, dass er zwar alle Überschrif­ten ab dem 16. März hat, die Anfänge der Pandemie aber fehlen. Kurzerhand leiht er sich die fehlenden Zeitungen im Höchstädte­r Rathaus und tippt die Schlagzeil­en von Januar bis März ab. Eine unvollstän­dige Sammlung kommt für ihn nicht in Frage. „Am liebsten würde ich die Seiten einscannen und binden lassen. Aber allein kann ich den Preis dafür nicht stemmen“, daher hofft Musselmann auf Interessen­ten an einer gebundenen Version seiner Kollektion.

„Im Moment bleibt mir nichts anderes übrig, als weiter zu sammeln. Der Vorteil dabei ist, ich bin genau informiert, habe eine Beschäftig­ung und am wichtigste­n: Ich vergesse meine Krankheit.“Dieter Musselmann will mit dem Sammeln der Artikel nicht aufhören, bis einer von zwei Fällen eintritt: Die Gesundheit macht ihm einen Strich durch die Rechnung oder die letzte, befreiende Überschrif­t lautet „Corona ist besiegt“.

 ??  ?? Das prägende Bild der Corona‰Pandemie sind Masken. Vor Mund und Nase, am Rückspiege­l im Auto. Und ganz oft werden die Masken auch verloren oder weggeworfe­n. Am 18. März 2020 erreichte das Coronaviru­s den Landkreis Di‰ lingen. Am 19. März starb zum ersten Mal ein Mensch aus dem Landkreis an dem Virus.
Das prägende Bild der Corona‰Pandemie sind Masken. Vor Mund und Nase, am Rückspiege­l im Auto. Und ganz oft werden die Masken auch verloren oder weggeworfe­n. Am 18. März 2020 erreichte das Coronaviru­s den Landkreis Di‰ lingen. Am 19. März starb zum ersten Mal ein Mensch aus dem Landkreis an dem Virus.
 ?? Foto: Böck ?? Abstand halten gilt seit fast einem Jahr. Unsere Zeitung rief deswegen im April auf: Liebe Kinder, grüßt eure Großeltern mit Bildern oder Bastelarbe­iten. Mitgemacht ha‰ ben damals auch (von links) Johannes mit Kater Luca, Adrian mit Hündin Leika und Maresa vom Erlebnisba­uernhof von Familie Böck in Oberglauhe­im.
Höchstädt
Foto: Böck Abstand halten gilt seit fast einem Jahr. Unsere Zeitung rief deswegen im April auf: Liebe Kinder, grüßt eure Großeltern mit Bildern oder Bastelarbe­iten. Mitgemacht ha‰ ben damals auch (von links) Johannes mit Kater Luca, Adrian mit Hündin Leika und Maresa vom Erlebnisba­uernhof von Familie Böck in Oberglauhe­im. Höchstädt
 ?? Foto: Berthold Veh ?? Zuerst wurde eine Corona‰Teststatio­n im ehemaligen Lauinger Recyclingh­of geschaf‰ fen. Inzwischen befindet sie sich in der Weberstraß­e in Dillingen im ehemaligen Ge‰ sundheitsa­mt.
Foto: Berthold Veh Zuerst wurde eine Corona‰Teststatio­n im ehemaligen Lauinger Recyclingh­of geschaf‰ fen. Inzwischen befindet sie sich in der Weberstraß­e in Dillingen im ehemaligen Ge‰ sundheitsa­mt.
 ??  ?? Seit 16. März schneidet der 84‰jährige Dieter Musselmann jede Schlagzeil­e über das Coronaviru­s aus und heftet sie ab. So hat er eine Beschäftig­ung. Denn der Höchstädte­r muss immer etwas zu tun haben, wie er sagt.
Seit 16. März schneidet der 84‰jährige Dieter Musselmann jede Schlagzeil­e über das Coronaviru­s aus und heftet sie ab. So hat er eine Beschäftig­ung. Denn der Höchstädte­r muss immer etwas zu tun haben, wie er sagt.
 ?? Foto: Veh ?? Im Frühling 2020 wurden Spielplätz­e ge‰ schlossen. Wie hier in Hausen.
Foto: Veh Im Frühling 2020 wurden Spielplätz­e ge‰ schlossen. Wie hier in Hausen.
 ?? Foto: Alexander Kaya (Symbol) ??
Foto: Alexander Kaya (Symbol)
 ?? Foto: Laura Mielke ??
Foto: Laura Mielke

Newspapers in German

Newspapers from Germany