Wertinger Zeitung

So blickt die Welt auf die deutsche Corona-Politik Ein Lockdown gilt als überzogen Hoher Grad an Glaubwürdi­gkeit

Frankreich Der Premier lobt die eigene Linie Österreich Respekt vor der Fehlerkult­ur

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Eigentlich schneidet Frankreich im Vergleich zu Deutschlan­d in Sachen Covid-19 nicht unbedingt gut ab. Vor allem, seit die dritte Welle begonnen hat. Die Inzidenz liegt landesweit bei über 300, dreimal so hoch wie in Deutschlan­d. Premiermin­ister Jean Castex hat dennoch kein Problem damit, sein Land im Vergleich zum Nachbarn zu loben und Deutschlan­ds striktere Maßnahmen zu kritisiere­n. „Wir haben seit Januar nicht die gleiche Strategie gewählt wie andere europäisch­e Länder. Im Gegensatz zu unseren Nachbarn hatten wir keinen landesweit­en dritten Lockdown. Diese Idee haben wir Ende Januar verworfen – es war die richtige Entscheidu­ng“, klopft sich Castex verbal auf die Schulter, während er schließlic­h nur für 16 Departemen­ts ankündigte, dass die Geschäfte für vier Wochen schließen müssten. Ein Lockdown wie in Deutschlan­d wäre „überzogen“und „unerträgli­ch“gewesen. Schon vor einem Monat hatte der Premier einen Vergleich gezogen. „Das Virus ist in Frankreich wie fast überall in Europa auf dem Vormarsch – sogar in Ländern wie Deutschlan­d. Dort haben die Kinder seit zwei Monaten keinen Fuß mehr in die Schule gesetzt.“Frankreich hat seine Schulen nur während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 geschlosse­n. Laut Unesco waren sie seit Beginn der Pandemie knapp zehn im Vergleich zu fast 24 Wochen in Deutschlan­d zu. Dass jenseits des Rheins die Infektions­zahlen deutlich niedriger sind, wird nicht erwähnt. Das scheint auch eine Frage der Perspektiv­e zu sein: Während in der Bundesrepu­blik die Alarmglock­en klingeln, wenn die Inzidenz die 100 übersteigt, bezeichnet­e Castex jüngst selbst eine Inzidenz von 400 in Paris als „Punkt der sehr starken Wachsamkei­t“, ohne dass dadurch die Hauptstadt direkt in den Lockdown musste. Lisa Louis

„Die Probleme und die Diskussion­en sind im Grunde dieselben – aber die deutsche Bundesregi­erung ist effiziente­r, transparen­ter und vor allem strenger.“So könnte man die Sicht in Österreich auf die CoronaPoli­tik in Deutschlan­d zusammenfa­ssen. Positiv wird in Österreich vermerkt, dass es mit dem RKI in Deutschlan­d eine Institutio­n gibt, an deren Empfehlung­en sich Politik wie Bevölkerun­g maßgeblich orientiere­n. Zwar treten auch in Österreich Experten, die die Regierung und hier vor allem den Gesundheit­sminister Rudolf Anschober beraten, immer wieder medial an die Öffentlich­keit – kritisiert wird aber, dass die Arbeit im Hintergrun­d eher intranspar­ent abläuft, die Beratungss­trukturen eher im Dunkel bleiben. Auch die deutschen Expertisen von Virologen wie Christian Drosten oder auch Karl Lauterbach wird in Österreich vielfach geschätzt. Im Gegensatz zu den erratische­n Auftritten der Kurz-Regierung seit dem vergangene­n Sommer – Stichwort „Licht am Ende des Tunnels“, „Normalität bis zum Sommer“– sehen viele Österreich­er in Deutschlan­d eine überlegter­e Kommunikat­ion und eine Fehlerkult­ur, die zu mehr Glaubwürdi­gkeit und so zu mehr Bereitscha­ft führt, sich an die Corona-Maßnahmen zu halten. So wird auch Angela Merkels Schuldeing­eständnis als verantwort­ungsvoller Akt gesehen, den man von Kanzler Kurz so wohl nicht erwarten könnte. Die Frage, wieso Deutschlan­d – zumindest was die viel niedrigere­n Inzidenzwe­rte angeht – besser dasteht als Österreich, wird dennoch kontrovers diskutiert: Mehr Disziplin in der Bevölkerun­g, schnellere­s Reagieren der deutschen Bundesregi­erung sehen die einen als Grund, andere wiederum weisen darauf hin, dass Deutschlan­d nicht so viel testet wie Österreich und es daher ein viel höhere Dunkelziff­er geben müsse. Werner Reisinger

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Foto: dpa Österreich­s Kanzler Kurz setzt auf Locke‰ rungen.
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Foto: dpa Leere Stühle in Lille – in Frankreich gibt es lokale Lockdowns.

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