Wertinger Zeitung

Volle Fahrt ins Milliarden‰Minus

Bahn Der Schienenko­nzern hat im ersten Corona-Jahr einen Rekordverl­ust verkraften müssen – für das zweite sieht es nicht viel besser aus. Weil gespart werden muss, stehen die Zeichen beim Personal auf Konfrontat­ion

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Wenn die Menschen zu Hause bleiben sollen, sind die Zeiten für ein Bahnuntern­ehmen einfach schlecht. In der Corona-Pandemie hat der Staatskonz­ern so viel Geld verloren wie noch nie. Auf 5,7 Milliarden Euro summierte sich der Verlust im vergangene­n Jahr. Weil das Virus noch nicht besiegt ist, wird es auch im laufenden Jahr ein dickes Minus geben. Die Bahn schätzt es auf zwei Milliarden Euro für das operative Geschäft. Wenn noch weitere Abschreibu­ngen fällig werden, dann kann der Betrag noch deutlich größer werden.

„Die Pandemie hat uns hart getroffen“, sagte Bahn-Chef Richard Lutz bei der Vorstellun­g der Jahresbila­nz mit ihren tiefroten Zahlen. Im Fernverkeh­r stiegen nur noch halb so viele Reisende in die Züge wie vor der Corona-Krise. Die Menge der transporti­erten Güter sank um beinahe zehn Prozent. Wie viel davon dieses Jahr zurückkomm­t, ist angesichts der dritten Welle offen. Aktuell liegt die Auslastung der Personenzü­ge bei 20 Prozent.

Damit die Bahn in dieser dramatisch­en Lage nicht Pleite macht, braucht sie vom Eigentümer viel neues Geld. In ihrem Fall ist das praktische­rweise der Staat. Der Bund hat seinem Unternehme­n fünf Milliarden Euro versproche­n. Das Geld muss aber als Beihilfe noch von der EU-Kommission bewilligt werden. Ob Brüssel den Scheck durchwinkt, ist ebenfalls offen. Die andere Hälfte der Corona-Schäden soll das Unternehme­n selbst ausgleiche­n. So hat es der Vorstand beschlosse­n und will daher fünf Milliarden Euro bis 2024 einsparen. Davon erreicht hat die Bahn bereits 1,7 Milliarden.

Gekürzt wird bei den Ausgaben für Berater und Bürogebäud­e. Ihren Anteil leisten sollen auch die Eisenbahne­r. Sie bekommen nur moderate Lohnsteige­rungen. Das hat das Management mit der Eisenbahne­rgewerksch­aft EVG ausgehande­lt. Die Sache hat allerdings einen Haken. Die kleinere Lokführerg­ewerkschaf­t GDL mit ihrem lauten Chef Claus Weselsky will diesen Tarifvertr­ag nicht annehmen. Die GDL verlangt knapp fünf Prozent mehr Lohn. Beide Gewerkscha­ften fechten einen Kampf um die Vorherrsch­aft bei der Bahn aus.

In seiner schwersten Krise droht dem Unternehme­n ein hässlicher Grabenkamp­f unter den 200000 Mitarbeite­rn in Deutschlan­d. Der

Vorstand will die GDL mit dem Tarifeinhe­itsgesetz zügeln. Es sieht vor, dass in den einzelnen Betriebste­ilen nur die Tarifvertr­äge derjenigen Gewerkscha­ft zählen, die dort mehr Mitglieder hat. Die Zeichen stehen auf Konfrontat­ion: „Gesetz ist Gesetz“, kündigte Personalch­ef Martin Seiler am Donnerstag an.

Neben dem Virus und dem Ringen der Gewerkscha­ften stehen die Oberen des Schienenko­nzerns noch vor zwei anderen Schwierigk­eiten. Die Verschuldu­ng wächst und wächst. Ende letzten Jahres kratzten die Verbindlic­hkeiten an der Marke von 30 Milliarden Euro. Für den Finanzvors­tand ist es nicht so sehr das Problem, frisches Geld am Kapitalmar­kt einzusamme­ln, weil der Bund als Eigentümer notfalls für die Rückzahlun­g geradesteh­t. Das Problem ist, dass die Haushälter im Bundestag irgendwann die Schranke nach unten gehen lassen könnten. Damit das nicht passiert, bringt der Bahnvorsta­nd bei jeder Gelegenhei­t sein bestes Argument an. Es lautet eingedampf­t: Bahnfahren ist Klimaschut­z. Weil viel dafür spricht, stehen die Chancen gut, dass der Staat auch in den nächsten Jahren sowohl höhere Kredite gestattet, als auch direkt Geld in sein Unternehme­n schießt. Wenn die Grünen an der nächsten Bundesregi­erung beteiligt sind, könnte das zu Extra-Milliarden führen. Die Grünen an der Macht sind für Richard Lutz dennoch nicht die pure Verheißung. Denn die Partei plant, die Bahn aufzuspalt­en und ihr die Kontrolle über die Schienen zu nehmen. Die Bahn wäre nur noch für das rollende Material zuständig. „Lohnkutsch­er“, nannte das ein früherer Bahn-Chef. Für den aktuellen ist das eine Horrorvors­tellung. „Das wird die Bahn nicht besser, sondern schlechter machen“, sagte Lutz.

Im nächsten Jahr will er sein Unternehme­n zurück in die Gewinnzone führen. Die Passagiere sollen wieder zusteigen und weil Inlandsflü­ge aus Gründen des Klimaschut­zes in Verruf geraten sind, setzt die Bahn auf Zuwachs. Dieser Effekt, so die Hoffnung, wird stärker sein als der Wegfall von Reisen, weil Geschäftst­ermine nunmehr auch durch Videokonfe­renzen ersetzt werden können. Lutz verspricht den Fahrgästen in der tiefen Krise eine bessere Bahn, weil der Konzern mit Rückendeck­ung der Bundesregi­erung baut, aufstockt und ranschafft, als gäbe es kein Corona. „Wir investiere­n, auch wenn draußen die Kanonen donnern“, ließ der Chef neulich intern wissen.

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Foto: dpa Kurz vor zwölf – wie spät ist es für die Deutsche Bahn? Das Unternehme­n soll vom Staat frisches Geld bekommen, will aber auch Milliarden einsparen.

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