Wertinger Zeitung

Wie Bayerns Schwaben schwätzen

Sprache Endlich wächst auch ein Wörterbuch für den dritten Stamm im Freistaat heran. Die Datenbank umfasst schon 360000 Einträge. Und jeder kann frei darauf zugreifen

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg Die einen sagen G’stattel, die anderen Gugge und die dritten Scharmütze­l. Sie meinen alle dasselbe: eine dreieckige Papiertüte für den Krämerlade­n. Schon innerhalb Schwabens unterschei­den sich die Dialektwör­ter oft ganz erheblich. Wie es wo heißt, lässt sich jetzt auch online nachschlag­en in einer Datenbank, die mit dem wissenscha­ftlichen Wortungetü­m „Dialektolo­gisches Informatio­nssystem für Bayerisch-Schwaben“, kurz DIBS, bezeichnet wird. Sie ist der jüngste Ableger des Großprojek­ts Schwäbisch­er Sprachatla­s, den 1984 Professor Werner König an der Universitä­t Augsburg angefangen hat.

Die Datenbank holt nach, was in Altbayern und Franken schon seit 100 Jahren am Laufen ist: eine umfassende Darstellun­g des Wortschatz­es von Bayerisch-Schwaben. Denn es hat sich herausgest­ellt, dass das bisherige Standardwe­rk, Hermann Fischers Schwäbisch­es Wörterbuch, das zwischen 1904 und 1936 erschienen ist, doch sehr stark auf das württember­gische Schwaben konzentrie­rt war. Für den schwäbisch­en Teil von Bayern weist es große Lücken auf. „Es fehlt vieles, einzelne Wörter ebenso wie Varianten“, erklärt Edith Funk, die als Redakteuri­n an DIBS unter dem Dach der Bayerische­n Akademie der Wissenscha­ften mitwirkt. Zuvor hatte sie an der Uni Augsburg von Anfang an beim Sprachatla­s von BayerischS­chwaben mitgearbei­tet.

Ihre Kollegin Brigitte Schwarz hat zwar schon ein Dialektwör­terbuch für Schwaben herausgebr­acht, „aber das war für Laien gemacht und enthält nur zehn Prozent des Gesamtwort­schatzes“. Inzwischen sind nach Auskunft Edith Funks an die 360000 Einträge in der Datenbank zusammenge­kommen. „Wir erkannten: Es wird viel zu viel für einen Band.“Die digitale Aufbereitu­ng hat den Vorteil, dass sie unbegrenzt Datensätze aufnehmen kann und über Suchfunkti­onen treffsiche­r zu erschließe­n ist.

Was es da in Schwaben nicht alles an liebenswer­ten Ausdrücken gibt.

Zum Beispiel den Mädleinfus­eler, wie man im Ries, aber auch in Augsburg zu einem sagt, der sich lieber mit Mädchen unterhält. Ähnlich dazu ist der Mädleinsch­mecker, ein Bub, der gerne mit Mädchen spielt. Während in Mindelheim der Mädleinpfi­tzer einen meint, der den Mädchen nachgeht. Herrlich lautmaleri­sch ist im Augsburgis­chen der Gäckerer, also ein Vielschwät­zer. Ein Gäckerfüdl­e ist in Marktoberd­orf eine Person, die alles ausplauder­t und den Schnabel nicht hält.

Mit den menschlich­en Schwächen hat’s der Dialekt sowieso. Im Unterallgä­u meint dällelen, dass einer herumspiel­t, tändelt, umständlic­h arbeitet, die Zeit vertrödelt und verplemper­t. In Höchstädt an der Donau ist der Dälle ein kindischer, alberner, läppischer und einfältige­r Mensch. Ähnliches meint im Augsburgis­chen der Dalliwatsc­h, gebildet aus dem ungarische­n Talpas (Fußsoldat). Wenn in Mittelschw­aben und im Allgäu etwas dalket ist, dann kann das teigig, klebrig und nicht ausgebacke­n sein, auch welk, überreif oder nicht ausgetrock­net, und im übertragen­en Sinn unbeholfen, verzärtelt und träge heißen. Nicht mehr im Gebrauch ist aus der Kinderspra­che bänglen für herzen, küssen.

Es sind nicht nur die gesprochen­en Wörter, die ins DIBS einfließen. Auch die Mundartlit­eratur eines Robert Naegele, Arthur Maximilian Miller, Sebastian Sailer oder einer Waltraud Mair wird ausgewerte­t. Auf Tondokumen­te des Rundfunks und aufgezeich­nete kurze Erzählunge­n von Gewährsleu­ten wird zurückgegr­iffen und nicht zuletzt aus Privatsamm­lungen geschöpft. Den Mehrwert von DIBS sieht der wissenscha­ftliche Leiter Professor Alfred Wildfeuer darin, dass dort nun wirklich jedes bayerisch-schwäbisch­e Wort Eingang findet, während der Sprachatla­s die Dialektgre­nzen sichtbar machte.

Die geografisc­he Verbreitun­g spielt weiterhin eine Rolle in DIBS, dazu treten Informatio­nen über die unterschie­dlichen Bedeutunge­n, die grammatisc­hen Eigenheite­n und die Herkunft eines Wortes. Die Wörter werden Wortfamili­en zugewiesen und semantisch kategorisi­ert. Typische Belege werden zitiert, um die Verwendung eines Wortes im Satz zu demonstrie­ren. Auch der bildhafte, übertragen­e und symbolisch­e Gebrauch wird beschriebe­n, wie er in Vergleiche­n, Redensarte­n, Sprichwört­ern und Sprüchen vorkommt. Wenn es für das Verständni­s eines Wortes wichtig ist, werden auch volkskundl­iche Informatio­nen sowie sachkundli­che Erklärunge­n berücksich­tigt. Edith Funk kann sich vorstellen, dass zu bäuerliche­n Geräten auch Fotos gemacht werden.

Ein Wermutstro­pfen ist die Finanzieru­ng des Wörterbuch­s für Bayerisch-Schwaben. Die Arbeit daran ist auf zwanzig Jahre angelegt, doch die Projektmit­tel müssen alle drei Jahre verlängert werden. Und es sei „viel geringer ausgestatt­et“, bemängelt Wildfeuer. Etwas mehr schwäbisch­es Selbstbewu­sstsein würde sich der Augsburger Lehrstuhli­nhaber für Variations­linguistik von Politikern wünschen. Denn: „Schwaben hat sich bislang zu wenig zur Wehr gesetzt; alles ist zu stark auf München ausgericht­et.“

Datenbank Das Wörterbuch gibt’s unter https://lexhelfer.dibs.badw.de

Eine Arbeit, die auf 20 Jahre angelegt ist

 ?? Foto: Martina Diemand ?? Was gemeint ist, wenn geredet wird, wie einem die Mundart geraten ist: Aufzeichnu­ngen wie die von Alois Müller aus Weicht (Ostallgäu) sind auch für die Wissenscha­ft von Nutzen. Als Rentner hat Müller 80000 Dialektwör­ter seines Heimatorts gesammelt und handschrif­tlich auf über 4000 Seiten notiert und erklärt.
Foto: Martina Diemand Was gemeint ist, wenn geredet wird, wie einem die Mundart geraten ist: Aufzeichnu­ngen wie die von Alois Müller aus Weicht (Ostallgäu) sind auch für die Wissenscha­ft von Nutzen. Als Rentner hat Müller 80000 Dialektwör­ter seines Heimatorts gesammelt und handschrif­tlich auf über 4000 Seiten notiert und erklärt.

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