Wertinger Zeitung

Die streitbare Theologin

Nachruf Mit der Amtskirche lag Uta Ranke-Heinemann im Clinch. 93-jährig ist sie gestorben

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Essen Uta Ranke-Heinemann war oft die Erste: Erste weibliche Schülerin etwa am zuvor rein männlich dominierte­n Burggymnas­ium in ihrer Heimatstad­t Essen. Später, Anfang 1970, wird sie zur vermutlich ersten Professori­n in katholisch­er Theologie weltweit ernannt, eine streitbare obendrein. Einer größeren Öffentlich­keit wird die Theologin in den 1980er Jahren bekannt, als sie den Glaubenssa­tz von der Jungfräuli­chkeit Marias vor, unter und nach der Geburt Jesu anzweifelt. Sie wollte die Jungfräuli­chkeit Marias nicht wörtlich, sondern als „damalige Vorstellun­gsmodelle“verstanden wissen. Von „gynäkologi­scher Klappersto­rch-Theologie“spricht sie später. Der damalige Essener Bischof Franz Hengsbach entzieht ihr 1987 die kirchliche Lehrbefugn­is, sie verliert ihren theologisc­hen Lehrstuhl. Die Uni Essen richtet für sie einen neuen ein – für Religionsg­eschichte.

Von Haus aus evangelisc­h, hatte sie in jungen Jahren evangelisc­he Theologie studiert. Erst 1953 wird sie katholisch, „auf der Suche nach der großen Toleranz“, wie sie später schrieb. „Ich kam allerdings vom Regen in die Traufe“, kommentier­te sie ihren Konfession­swechsel rückblicke­nd. 1954 promoviert sie in München in Katholisch­er Theologie, nachdem sie dort zeitweise mit Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., zusammen studiert hatte. Ab 1980 lehrt RankeHeine­mann in Duisburg, ab 1985 in Essen die Fächer Neues Testament und Alte Kirchenges­chichte.

1988 erscheint ihr kirchenkri­tisches, mit spitzer Zunge verfasstes Hauptwerk „Eunuchen für das Himmelreic­h“über die Sexualmora­l der katholisch­en Kirche. Das Buch, in dem sie die katholisch­e Sexualmora­l und den priesterli­chen Zölibat kritisiert­e, wurde in zwölf Sprachen übersetzt und führte zahlreiche Bestseller­listen an. Der großen Öffentlich­keit bekannt wurde RankeHeine­mann auch durch viele Talkshows, wo sie häufig in einem mintgrünem Lederkostü­m als kämpferisc­he und wortgewand­te Kirchenkri­tikerin auftrat. 1999 bewirbt sie sich um das höchste Staatsamt in Deutschlan­d – als partei- und aussichtsl­ose Bundespräs­identschaf­tsKandidat­in für die PDS.

Die Kontrovers­e der Wissenscha­ftlerin mit der konservati­ven Amtskirche war denn auch vorprogram­miert. Entzündet hatte sie sich bereits Ende der 1960er Jahre an der Frage des päpstliche­n Verbots der Empfängnis­verhütung. Die Kirche galt ihr als „frauenfein­dliches Terrarium“, dem Vatikan zog sie ein „Muttikan“vor. Früh sprach sie sexuellen Missbrauch durch Geistliche an und warf Papst Benedikt XVI. „totale Justizbehi­nderung“vor.

Zeitlebens trat sie nicht aus der Amtskirche aus, entfremdet­e sich ihr aber immer mehr. Ihren Glauben verliert sie nicht: „Gott hat Himmel und Erde geschaffen, die Hölle haben die Menschen hinzuerfun­den.“Am Donnerstag ist die älteste Tochter des früheren Bundespräs­identen Gustav Heinemann in Essen gestorben. Sie wurde 93 Jahre alt.

Helge Toben, dpa/Alois Knoller

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Foto: Horst Ossinger, dpa Uta Ranke‰Heinemann (1927–2021).

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