Wertinger Zeitung

Robi sitzt für Sebastian im Klassenzim­mer

Weil Matthias Mark aus Meitingen, der Vater des 12-Jährigen, schwer krank ist, geht der Bub nicht in die Schule. An seinem Platz in der Dr.-Max-Josef-Metzger-Realschule ist ein Hightech-Roboter

- VON DIANA ZAPF‰DENIZ

Technologi­e

Meitingen Obwohl Sebastian Mark in die Schule könnte, bleibt er lieber zu Hause. Denn sein Vater Matthias Mark ist an Leukämie erkrankt (wir berichtete­n) und darf, wenn es ihm besser geht, für eine kurze Zeit nach Hause. Bis dahin meiden Ehefrau Tanja und Sohn Sebastian nahezu jeden Kontakt. Das bedeutet für den 12-jährigen Schüler der Dr.-MaxJosef-Metzger-Realschule weiterhin Homeschool­ing.

Doch Sebastian ist mit seinem Lernstoff nicht allein. Er nutzt eine moderne Technologi­e, die es ihm ermöglicht, virtuell an einem anderen Ort zu sein – seinem Platz im Klassenzim­mer. Ein norwegisch­es Start-up entwickelt­e einen Telepräsen­zroboter, der für ein Kind im Unterricht sitzt, wenn es beispielsw­eise aus gesundheit­lichen Gründen nicht in die Schule kann. Realschuld­irektor Michael Kühn bot der Familie Mark an, den Roboter zu nutzen. Sie war sofort begeistert von dieser Lösung. „Kürzlich haben wir noch die Geburtstag­ssendung ,50 Jahre Maus‘ gesehen. Dort wurde genau dieser Roboter vorgestell­t“, schwärmt Tanja Mark. „Klar, man könnte auch ein Tablet in die Klasse stellen“, berichtet Schulleite­r Kühn. Doch das sei nicht das Gleiche. Denn das müsse stets ein Lehrer oder Schüler in die richtige Richtung drehen, und der Schüler könnte es aus der Ferne nicht steuern.

Sebastian sitzt in seinem Zimmer am Schreibtis­ch. Vor sich hat er Tablet und Smartphone aufgestell­t. Über das Smartphone steuert er einen Roboter, den er kumpelhaft Robi nennt. Robi steht im Klassenzim­mer auf Sebastians Sitzplatz und überträgt das Geschehen der 7. Klasse so auf Sebastians Smartphone, als wäre er selbst in seiner Klasse.

Die Klassenlei­terin Hanna Stark gibt gerade Kunstunter­richt. Sebastians Lieblingsf­ach. „Hallo Sebastian. Alles okay?“, grüßt die Lehrerin Sebastian zu Hause. „Ja“, antwortet der Junge über die Assistant-App, mit der er Robi bedienen kann. Es geht im Unterricht darum, dass die Kinder eine Schlange mit Bleistift zeichnen und die Muster genau herausarbe­iten. Dazu muss Hanna Stark immer mal wieder die Bilder

bastian zu Hause. Mit seinem Finger kann der Realschüle­r über die App den Roboter bewegen. Mal blickt er zur Lehrerin, mal zu seinem Banknachba­rn Luis und natürlich immer wieder zur Tafel. Ruckzuck bekommt er das Feedback seiner Lehrerin und arbeitet weiter. Tanja Mark ist sehr stolz auf ihren Sohn: „Unglaublic­h, wie er das alles alleine

Per Roboter kann Sebastian Mark am Unterricht von zu Hause aus teilnehmen.

managt. Und es klappt wunderbar.“In der nächsten Stunde ist Deutsch bei Claudia Arifianto angesagt. Zuerst ist Luis, Sebastians Banknachba­r, mit seinem Referat dran. Robi hebt den Kopf und sieht zu Luis, der vor der Klasse steht. Danach ist Sebastian dran. Dazu dreht sich Robi zur Klasse, sodass alle Mädchen und Jungen ihn ansehen können, und umgekehrt, dass Sebastian von zu Hause aus seine Klasse sieht. Es gibt einen kleinen Moment Verzögerun­g, denn Luis hat die Präsentati­on noch nicht von Sebastian erhalten. Die Datenübert­ragung dauert deshalb etwas. Und dann hält tatsächlic­h Robi Sebastians Referat vor der Klasse. Denn Robi ist Sebastians Augen, Ohren und Stimme im Klassenzim­mer. Die Klasse applaudier­t Robi zum gelungenen Referat, und Robi bedankt sich mit einem glückliche­n Gesichtsau­sdruck, den Sebastian von daheim aus eingibt.

Sebastians Mitschüler haben sich mit Robi arrangiert und freuen sich mit Sebastian, dass er so wenigstens am Unterricht teilnehmen kann. „Anfangs fühlte ich mich beobachtet“, erzählt Elli. „Aber inzwischen finde ich es cool.“Sophia erschrak, als Robi das erste Mal in die Klasse kam. Elli findet Robis Stimme manchmal zu laut. Ein paar Funktionen mehr wünscht sich Luis: „Es wäre toll, wenn er herumfahre­n könnte.“Luis ist zudem etwas traurig: „Finde es komisch, dass der Roboter neben mir ist. Ich hätte lieber Sebastian da.“

Die Realschule in Meitingen hat den AV1-Roboter (AV für Avatar) seit Sommer 2020 im Einsatz. „Ursprüngli­ch wollten wir so etwas in der Art schon viel früher haben und hatten bei einigen Stellen wie der Universitä­t und dem Bunten Kreis angefragt. Doch es scheiterte stets am Datenschut­z“, berichtet Schulleite­r Kühn. Durch ein Europaproj­ekt und die norwegisch­e Partnersch­ule Nordkjosbo­tn School kam Kühn auf den Roboter. „Ein Programmie­rer der Schule in Norwegen kennt die AV1-Entwickler­in Karen Dolva, und so kam es, dass die Partnersch­ule Robi im Einsatz hatte.“Kühn fand den AV1 hilfreich und besorgte für rund 3500 Euro einen für die Realschule Meitingen. „Der Roboter funktionie­rt ganz einfach. Es braucht dazu nicht einmal eine Schulung.“

In Meitingen macht man mit Robi sehr gute Erfahrunge­n und hilft so den Schülern raus aus der sozialen Isolation. Einen Schulbesuc­h kann zwar nichts ersetzen, aber der Telepräsen­z-Avatar trägt dazu bei, dass Schüler ihren Unterricht in Echtzeit mitbekomme­n und selbst interagier­en können.

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Fotos: Marcus Merk Per Roboter kann Sebastian Mark aus Meitingen am Unterricht teilnehmen, obwohl er zu Hause ist. Er steuert ihn per Smartpho‰ ne.
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