Wertinger Zeitung

Richter: „Sie haben das Kind umgebracht“

Das Augsburger Landgerich­t verurteilt jungen Mann, weil er den dreijährig­en Sohn seiner Lebensgefä­hrtin in Dillingen mit Faustschlä­gen tödlich verletzt haben soll. Das „Märchen vom Kniefall“des 24-Jährigen findet keinen Glauben

- VON MICHAEL SIEGEL

Prozess

Dillingen Neun Jahre und neun Monate Freiheitss­trafe verhängt das Augsburger Landgerich­t gegen einen 24-jährigen Mann aus Dillingen, der im Oktober 2019 den dreijährig­en Sohn seiner Lebensgefä­hrtin mit zwei Faustschlä­gen so schwer verletzt hat, dass das Kind trotz Notoperati­on wenige Stunden später im Krankenhau­s starb. Selbst angesichts dieses Richterspr­uchs ließ der Angeklagte keine Gefühlsreg­ung unter seiner Mund-NaseMaske erkennen – was der Vorsitzend­e Richter in der Urteilsbeg­ründung als „Gefühlsroh­heit“auslegte.

„Sie haben das Kind umgebracht, wenn nicht gar ermordet“, leitete Richter Roland Christiani die Urteilsbeg­ründung am zwölften Verhandlun­gstag seit Mitte Januar ein. Lange Zeit habe der Angeklagte keine Gefühlsreg­ung, keine Emotionen gezeigt, sich nicht zur Sache geäußert. Um dann „aus heiterem Himmel das Märchen vom Kniefall“zu präsentier­en. Wie berichtet, hatte der Angeklagte am Ende der Beweisaufn­ahme mit Dutzenden Zeugen erklärt, er habe sich beim Vorbeilauf­en zwischen einem Sofa und einem Regal mit den Füßen in einer am Boden liegenden Decke verfangen, sei gestolpert und mit dem Knie voraus auf das vor ihm am Boden liegende Kind gestürzt. Was ihm das Gericht ebenso wenig glaubte, wie schon zuvor Staatsanwa­lt Michael Nißl, der auf eine Freiheitss­trafe von elf Jahren plädiert hatte.

Richter Christiani führte den Vergleich mit dem bekannten Silvester-Sketch „Dinner for one“an, bei dem jemand wiederholt über einen am Boden liegenden Teppich schreitet, um im Verlaufe der Zeit immer heftiger darüber zu stolpern – aber nicht zu fallen. Christiani erklärte dem Angeklagte­n, dass es sich bei einer Hauptverha­ndlung vor Gericht nicht um ein Rollenspie­l handle, bei dem jeder seinen Part zu spielen habe. Das Gericht habe den Eindruck gewonnen, dass der 24-Jährige das Verfahren nicht sonderlich ernst genommen habe. Seine Aufgabe als Angeklagte­r wäre es gewesen, seinen Rechtsanwä­lten eine Verteidigu­ngsstrateg­ie vorzugeben, anstatt sich zu deren Spielball machen zu lassen. Christiani fragte den 24-Jährigen, ob er für immer damit

Zwei Notärzte und mehrere Sanitäter hatten sich in Dillingen bemüht, das Leben des bewusstlos­en Dreijährig­en zu retten. Der Bub starb später in der Kinderklin­ik in Augs‰ burg. Jetzt verurteilt­e das Augsburger Landgerich­t den 24‰Jährigen, der das Kind beaufsicht­igt hatte und mit zwei Faustschlä­gen tödlich verletzt haben soll, zu einer Frei‰ heitsstraf­e von neun Jahren und neun Monaten.

leben wollen würde, den Dreijährig­en „bestialisc­h umgebracht zu haben“und dann vom Gericht wegen der Lüge vom Kniefall freigespro­chen worden zu sein. Aufgrund nicht erkennbare­r Gefühlskäl­te selbst noch bei der Urteilsver­kündung sei das Bild vom Angeklagte­n, das das Gericht habe, ein anderes, als es viele Zeugen von ihm gezeichnet hätten.

Entgegen verschiede­ner Erklärunge­n des Angeklagte­n und der Verteidigu­ng zu möglichen Ursachen für die tödlichen Bauchverle­tzungen des Buben erachtete das Gericht die Aussage des 24-Jährigen bei seiner Verhaftung im Streifenwa­gen als Quasi-Geständnis. Damals, im Mai 2020, hatte der Angeklagte gegenüber zwei Kriminalpo­lizisten unter Tränen gesagt, ihm

sei an jenem Abend im Oktober der Geduldsfad­en gegenüber dem anhaltend schreiende­n Kind gerissen und er habe zweimal mit der Faust zugeschlag­en. Weniger der eigenen Verteidigu­ng als dem vom Gericht gelobten Staatsanwa­lt sei es zu verdanken gewesen, dass der Angeklagte nicht wegen Mordes, auch nicht wegen Totschlags, sondern „nur“wegen Körperverl­etzung mit Todesfolge verurteilt worden sei. Deswegen, weil dem Angeklagte­n zu seinen Gunsten keine Tötungsabs­icht gegenüber dem von ihm geliebten Kind nachzuweis­en sei. Die

drei Verteidige­r des 24-Jährigen hatten zuvor auf Freispruch plädiert, weil die todbringen­de Verletzung durch ein Unfallgesc­hehen zustande gekommen sei.

Der 24-jährige Berufssold­at hatte an jenem Oktobertag die beiden kleinen Kinder seiner ehemaligen Lebensgefä­hrtin in der gemeinsame­n Wohnung in Dillingen beaufsicht­igt, während die Mutter fortgefahr­en war, um ein Pferd zu kaufen. Abends gegen 18.25 Uhr hatte die Mutter einen Anruf ihres Partners erhalten, dass der Dreijährig­e nicht mehr atme. Sie hatte den Notarzt alarmiert und war selbst in die Wohnung zurückgeei­lt. Vor Ort mühten sich zunächst zwei Notärzte und mehrere Sanitäter eine Stunde lang um das Leben des bewusstlos­en Kindes.

Anschließe­nd wurde der Bub in die Kinderklin­ik nach Augsburg gefahren, wo er trotz einer mehrstündi­gen Notoperati­on wenig später starb. Unter Tatverdach­t geriet der Angeklagte, als das Obduktions­ergebnis der Rechtsmedi­zin bekanntgew­orden war, wonach der Bub an schwersten inneren Verletzung­en gestorben war, die die Rechtsmedi­ziner in „stumpfer Gewaltanwe­ndung“vermuteten, möglicherw­eise durch Faustschlä­ge oder Tritte. Diesem Gutachten schenkte das Gericht am Ende Glauben.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig. Die Verteidige­r Felix Dimpfl, Johannes Römer und Donatella Angino sagten, sie würden das Urteil dem Bundesgeri­chtshof zur Prüfung vorlegen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig

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Foto: Alexander Kaya (Symbol)

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