Asbest, Rost, Schimmel – aber diese Aussicht…
Mehr als 100 Jahre nach seinem Bau bröselt der Lauinger Wasserturm nur so vor sich hin. Doch der Eigentümer will das ändern – und hat Großes vor. Ein Besuch in einem Denkmal, das Sorgen bereitet
Wahrzeichen
Lauingen Beine eng zusammen, Kopf einziehen und auf allen vieren durch den Staub kriechen. Das ist die einzige Möglichkeit, in den Lauinger Wasserturm zu kommen – und das alles 170 Gerüststufen über dem asphaltierten Boden. Denn die alten Eichentreppen im Innern sind so verfault, dass sie wohl keinen Menschen mehr tragen können. Also geht es von außen über ein Gerüst bis hoch zur obersten Fensterreihe und von dort durch die kleine Öffnung, die bis vor einigen Tagen noch ein Fenster war. Schon auf dem Weg nach oben merkt man: Der dritthöchste Turm von Lauingen, er bröselt leise vor sich hin.
Auf den wenigen Kanten, die einem beim Aufstieg über das Gerüst begegnen, hat sich über die Jahre eine Menge Staub und Schutt angehäuft. Zentimetergroße Brösel liegen dort verteilt. Aus der Nähe sind an der Fassade deutliche Schäden zu erkennen. Und genau die machen Andreas Krug Sorgen: „Wenn da was runterfällt, können Sie da unten niemanden mehr laufen lassen“, sagt er. Seit zwölf Jahren gehört dem Gründer der Modellbaufirma KM1 und Betreiber des E-Parks der Turm, den er eigentlich nie haben wollte. Weil sich der Zustand des denkmalgeschützten Wahrzeichens so rapide verschlechtert, lässt Krug gerade dessen Zustand untersuchen. Und weil das über morsche Treppen nicht so einfach ist, ziert den 48 Meter hohen Turm seit zwei Wochen ein fast ebenso hohes Baugerüst.
Auch drinnen sind einige Schäden sichtbar: Über eng gewundene Leitern geht es mal senkrecht, mal im 45-Grad-Winkel am riesigen, grün lackierten Herzstück des Turms vorbei unter den Kessel. „Der ist noch wie damals, bis auf ein paar Ausnahmen“, sagt Krug und zeigt auf kleine Rostflecken. „Die sind aber nicht so schlimm.“Schlimmer ist das, was sich auf dem Boden darunter angesammelt hat: Wasser. Das nämlich lässt das Metall im Beton rosten und es schließlich seine schützende Hülle aufsprengen. Innen wie außen dasselbe Problem. Krug sagt: „Wenn wir das Wasser aus dem Turm kriegen, ist meine größte Sorge beseitigt.“
Dazu hat er sich Unterstützung geholt. Der Architekt Egon Kunz blickt auf jahrelange Erfahrung mit denkmalgeschützten Gebäuden zurück. Er rekonstruierte den Kuppelbau in der Münchner Staatskanzlei, erneuerte die Fassade des Maximilianeums, das Kurhaustheater in Augsburg Göggingen und sanierte das mehr als 1000 Jahre alte Benediktinerkloster in Thierhaupten. Kunz analysiert das Problem am Lauinger Wasserturm: „Die Betonschicht ist nicht dick genug.“Wäre sie es, würde das Metall nicht rosten. Eines betonen Krug und Kunz aber deutlich: Auch wenn immer wieder Putz- und Ziegelbrocken vom Turm abfallen, einsturzgefährdet ist er nicht. „Die Substanz ist gut, sie ist nur massiv beschädigt.“
Als der Lauinger Wasserturm gegen Ende des Ersten Weltkriegs errichtet wurde, diente er gleich mehreren Zwecken: Mit dem Trinkwasser, das die ganze Stadt versorgte, gewann man gleichzeitig Energie. Interessantes Detail: Ursprünglich war der Kessel oben offen – was dazu führte, dass immer wieder Dreck im Trinkwasser landete. Das Areal mit Turm und Dampfmaschinenhalle war quasi ein sich selbst erhaltendes System. Die Architektur, wie sie ursprünglich aussah, beweist Kunz und Krug zufolge, welch hohe Bedeutung dem Turm einst beigemessen wurde: verschiedene Fenster, Stuck unterhalb des Dachs, die begehbare Turmspitze und nicht zuletzt die Zinnen an der Außenwand unterhalb des Kesselraums. „Man wusste damals nicht so recht, wie man architektonisch vorgehen soll. Aber alles am Turm zeigt, wie stolz die Menschen früher auf all das hier waren“, sagt Krug. Die raffinierte Bauweise wird auch unter dem Dach deutlich: S-förmig geschwungene Holzbalken und eine Stahlkonstruktion halten das Kupferdach an Ort und Stelle.
An der Innenseite haben sich so manche Handwerker mit Kürzeln und Jahreszahlen verewigt: 1938 zum Beispiel war ein gewisser D.L. dort oben. Auch unterm Dach wird aber deutlich, wie dringend etwas getan werden muss: Als Krug gerade spricht, knallt es plötzlich, gefolgt vom Rieseln einiger Gesteinsbröckchen. „Jetzt ist wieder was abgefallen“, sagt Krug nur knapp.
Für den Befund und die ersten Grundsicherungsmaßnahmen kalkuliert der Modellbauer derzeit mit 240.000 Euro. Die Stadt hat laut Bürgermeisterin Katja Müller bereits eine Förderung in Aussicht gestellt. Außerdem versuche sie, weitere Gelder an Land zu ziehen. Immerhin trage der Turm zur Attraktivität Lauingens bei. Wenn er dann noch schöner wird, umso besser.
Krug, der das Denkmal 2009 kaufen musste, weil er das Grundstück darunter haben wollte, kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. Wäre die Lage nicht so ernst, man könnte meinen, der ganze Turm ist sein Spielplatz. „Das ist wie ein Oldtimer, man kann nicht damit fahren, aber er sieht schön aus“, sagt er und lacht.
Längerfristig will er dem Turm wieder sein originales Aussehen verpassen. Das heißt: Statt der asbesthaltigen Eternitplatten umgibt den Kesselraum wieder eine richtige Wand. Irgendwann soll der Turm dann auch für die Öffentlichkeit zugänglich werden. Ideen hat Krug dafür schon viele: „Stellen Sie sich mal vor, ein junges Paar könnte da oben seine Hochzeitsnacht verbringen!“Oder man nutzt den Turm für Veranstaltungen. Oder er wird Teil der Ausstellung, die in der ehemaligen Maschinenhalle unten originalgroße, fahrbare Modelle der ersten Dampfwagen zeigt. „Die Maschinen unten und der heiß genietete Kessel hier oben würden da gut zusammen passen“, erklärt Krug. Ein Blick in die Geschichte der Industrialisierung also. Sicher ist das alles aber noch nicht. Jetzt geht es erst einmal darum, den Turm zu erhalten.