Kanzlerin mit blanken Nerven
Angela Merkel war bislang eine Konstante im Corona-Kampf. Mit ihrer Kritik an den Ländern ist das nun vorbei. Die Regierungschefin steckt in einer Sackgasse
Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow sprach kürzlich aus, was nicht sein darf. „Wir Politiker sind doch auch mit den Nerven am Ende“, gab der Linke in einem Interview den politischen Offenbarungseid ab. Wenn nun auch Spitzenpolitiker resignieren, ist das ein schlechtes Signal an die Bevölkerung. Lägen nur beim SmartphoneSpielefan Ramelow die Nerven blank, könnte man noch darüber hinwegsehen. Mittlerweile ist aber auch der Frau der Geduldsfaden gerissen, auf der im Corona-Kampf die Hoffnungen der allermeisten Deutschen ruhen. Kanzlerin Angela Merkel zeigt Nerven, und das ist nun wirklich schlecht.
Die CDU-Politikerin hatte sich am Sonntagabend in die Talkshow von Anne Will eingeladen und durfte dort nach Herzenslust monologisieren. Die Kommunikationsstrateginnen im Kanzleramt hatten offenbar noch einigen Erklärungsbedarf identifiziert und so konnte Merkel erläutern, dass ihre aufsehenerregende Bitte um Verzeihung kein Zeichen der Schwäche, sondern eins der Stärke gewesen sei. Anschließend hagelte es dann noch Merkel-Kritik am zu lockeren Corona-Kurs der Länder. Führungsstärke sollte so demonstriert werden, doch das ging daneben.
Vergangene Woche hatte sich Merkel unnötig in den Staub geworfen, um Verzeihung gebeten und erklärt, sie trage als Regierungschefin „die letzte Verantwortung“. Der Kanzlerin wurde von Parteifreunden zwar offiziell Respekt gezollt. Hinter den Kulissen aber zeigten sich viele fassungslos. Ein solches Eingeständnis kann Wählerinnen und Wähler in die Arme anderer Parteien treiben. In der Union ist auf einmal die alte Angst wieder da, dass CDU und CSU Stimmen an die AfD verlieren.
Am Sonntagabend legte die frühere CDU-Vorsitzende deshalb eine 180-Grad-Wende hin. Denn auf einmal sind es nun doch Länderfürsten wie Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) oder der Saarländer Tobias Hans (CDU), die die Verantwortung für Missmanagement und steigende Infektionszahlen übernehmen sollen. Und nicht mehr Merkel, die in den letzten Tagen mitbekam, dass ihr Vorgehen die Umfragewerten weiter nach unten gedrückt hat. Ihre Länder-Schelte verschlechterte die Stimmung weiter. Bei der Videokonferenz der CDU-Spitze am Montag zeigten Hans und andere keinerlei Bereitschaft, der Kanzlerin zu folgen.
Die Regierungschefin hat sich mit ihrem TV-Auftritt in eine Sackgasse manövriert. Sie hat kein Mittel, die Länder zur Gefolgschaft zu zwingen. Sie droht zwar mit dem Infektionsschutzgesetz, doch noch ist juristisch nicht klar, ob sie damit die Länder tatsächlich auf Kurs bringen kann. Und selbst wenn, wären allenfalls minimalste Eingriffe in die Länderkompetenzen denkbar. Ein Gesetz, das dazu missbraucht wird, den Föderalismus auszuhebeln, werden sich die Ministerpräsidenten sicher nicht gefallen lassen.
Bislang hat Angela Merkel Nervenstärke gezeigt und sich einem Leuchtturm gleich aus dem CoronaDurcheinander erhoben, das Bundesund Länderminister unter ihr veranstalteten. Jetzt ist sie selbst mittendrin im Pandemiechaos, das heftiger wird, je näher die Bundestagswahl rückt. Aus dem Orientierungspunkt für die verunsicherte Bevölkerung ist ein Irrlicht geworden. Offenbar ist die Zeit gekommen, die Suchscheinwerfer einzuschalten und in der Union nach nervenstarkem Spitzenpersonal Ausschau zu halten, das die Führung übernimmt. CDU-Chef Armin Laschet lehnte es am Montag ab, die Klärung der K-Frage mit CSUChef Markus Söder zu beschleunigen. Beide sollten das noch einmal überdenken. Die Zeit drängt.
Die K-Frage muss jetzt schleunigst geklärt werden