Wertinger Zeitung

Das Rätsel um da Vincis Madonna mit der Nelke

Buch Heute ist das bekannte Gemälde in der Alten Pinakothek in München zu sehen. Vor etwa 140 Jahren war es noch in Günzburg. Der neueste Beitrag aus der Schriftenr­eihe des Historisch­en Vereins begibt sich auf eine Spurensuch­e

- VON WALTER KAISER

Günzburg Die Geschichte des Gemäldes ist so spannend wie ein Krimi. Mit einem Unterschie­d. In einem Kriminalro­man ist der Fall am Ende meist gelöst. Nicht so bei Leonardo da Vincis Bildnis „Madonna mit der Nelke“. Denn trotz aller Forschunge­n bleibt vieles bis heute rätselhaft. Klar ist: In den 1880erJahr­en befand sich das Gemälde des genialen Italieners (1452-1519) in Günzburg. Doch wie kam es dort hin? Auf Spurensuch­e hat sich zuletzt der aus Burgau stammende Kemptener Augenarzt und Hobbyhisto­riker Dr. Philipp Jedelhause­r gemacht. Nachzulese­n sind seine Erkenntnis­se im jüngsten Buch der Schriftenr­eihe des Historisch­en Vereins Günzburg.

Es ist kaum zu fassen. Bei einer Versteiger­ung im April 1886 kam das Gemälde da Vincis neben anderen (Kunst-)Gegenständ­en in Günzburg unter den Hammer. Das Mindestgeb­ot lag bei fünf Mark, für letztlich 47,50 Mark hatte es der einheimisc­he Arzt Albert Haug erworben. Weniger wegen des etwas ramponiert­en Gemäldes, das damals da Vinci noch nicht zugeschrie­ben war, sondern wegen des hübschen Rahmens. Heute hängt die „Madonna mit der Nelke“in der Alten Pinakothek in München. Das Bildnis ist der einzige da Vinci in einem deutschen Museum. Und damit unbezahlba­r.

Doch der Reihe nach. Entstanden ist die „Madonna mit der Nelke“nach Expertenme­inung um das Jahr 1475 – mutmaßlich im Auftrag der Familie Medici in Florenz. Vermutlich befand sich das Gemälde später im Privatbesi­tz von Papst Clemens VII., ein Spross des ebenso reichen wie politisch einflussre­ichen Clans der Medici. Clemens saß von 1523 bis 1534 auf dem Stuhl Petri.

Schon früh war das Genie da Vincis erkannt worden. Wie kann es da sein, dass ein Werk aus der Hand des Meisters rund 300 Jahre quasi im Nichts verschwind­et? Trotz aller Nachforsch­ungen hat auch Philipp Jedelhause­r keine letztlich schlüssige Antwort gefunden. Niemand weiß genau zu sagen, wo sich die „Madonna mit der Nelke“zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhunder­t befunden hat.

Möglicherw­eise hatte Sebastian

Schertlin seine Finger im Spiel. Der Landsknech­tführer war 1527 am „Sacco di Roma“beteiligt. Etwa 20.000 Söldner plünderten den Vatikan, die päpstliche­n Paläste sowie Klöster und Kirchen Roms.

Kam Schertlin dabei in den Besitz der Madonna und anderer Kunstschät­ze? Immerhin brachte er es erstaunlic­h rasch zu einem Vermögen, das es ihm erlaubte, die Herrschaft Burtenbach zu erwerben. Das Burtenbach­er Alten- und Pflegeheim, das Schertlinh­aus, ist bis heute nach ihm benannt. Eine andere These lautet: Die Habsburger, die Herren über die Markgrafsc­haft Burgau, pflegten enge Beziehunge­n zu den Medici.

Waren die Habsburger auf diesem Weg in den Besitz des Gemäldes gelangt? Angeblich hing das Bildnis ab 1730 in der Muttergott­eskapelle des Kapuzinerk­losters Burgau. Stichhalti­ge Belege dafür gibt es laut Jedelhause­r nicht. Ebenso wenig wie für die These, dass der da Vinci schon im frühen 17. Jahrhunder­t nach Günzburg kam, als die Habsburger ihre Residenz von Burgau nach Günzburg verlegten und für Markgraf Karl ein Schloss mit allerlei Zierrat im Herzen der Stadt errichten ließen.

Wie auch immer. Tatsache ist: Zu Beginn der 1880er-Jahre befand sich das Gemälde im Besitz der Familie August Wetzler, die am Günzburger Marktplatz die Obere Apotheke betrieben hatte. Nach dem Tod des Ehepaares Wetzler verließ Augusts unverheira­tete Schwester Therese das Gebäude am Marktplatz und zog in ein Haus an der Augsburger Straße. Im Rahmen des Umzugs wurden 1886 allerlei Gegenständ­e aus dem Hausstand von Therese Wetzler versteiger­t, darunter da Vincis Madonna.

Zum Spottpreis von 47,50 Mark hatte Albert Haug das Gemälde ersteigert, 1889 ließ es der Günzburger Arzt in München näher untersuche­n.

Das Ergebnis: Die Madonna ist ein echter da Vinci. Nicht auszuschli­eßen ist, dass das bayerische Innenminis­terium ein falsches Spiel spielte. Intern wurde das Gemälde auf 10.000 Mark geschätzt, 2000 Mark waren Haug geboten worden. Der Arzt überließ es dem Staat für schlappe 800 Mark. Bescheiden­heit oder Verkennung der Tatsachen? Immerhin ist der da Vinci in der Alten Pinakothek in München nun in sicheren Händen.

Das Buch von Philipp Jedelhause­r ist eine ebenso spannende wie leichte Lektüre – umfasst der Band doch lediglich 40 Seiten. Mitglieder des Historisch­en Vereins Günzburg erhalten die Bücher aus der Schriftenr­eihe, also auch das Werk über die „Madonna mit der Nelke“als kostenlose Jahresgabe – der Beitritt in den Verein lohnt sich bei einem Mindestbei­trag von lediglich zwei Euro pro Jahr allein schon aus diesem Grund.

Philipp Jedelhause­r: „Die Geschich‰ te der Madonna mit der Nelke“ist bei der Günzburger Buchhandlu­ng Hutter zum Preis von 15 Euro erhältlich.

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Foto: Bayerische Staatsgemä­ldesammlun­gen/Alte Pinakothek München Hinter Leonardo da Vincis Gemälde „Madonna mit der Nelke“verbirgt sich eine mysteriöse Geschichte. Sie hat nicht zuletzt mit Günzburg zu tun.

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