Wertinger Zeitung

Erinnerung Jüdisches Leben in Buttenwies­en

Erinnerung Mehr als 370 Jahre lang lebten Juden und Christen in guter Nachbarsch­aft im Ort, bis das Naziregime die Macht übernahm. Um diese Zeit in Erinnerung zu behalten, soll es heuer besondere Veranstalt­ungen geben

- VON ULRIKE WALBURG

Buttenwies­en Ein Spaziergan­g durch Buttenwies­en wird zu einem Gang durch die Geschichte und zu einer Art „Spurensuch­e“. Er führt vorbei an gepflegten Häusern und blühenden Gärten. An markanten Plätzen im Ort stehen Gedenktafe­ln. Diese Tafeln geben aufschluss­reiche Informatio­nen über die Geschichte des jüdischen Buttenwies­en, über die jüdische Kultur, deren Traditione­n, Bräuche und Rituale. Ergänzend zu diesen Informatio­nen gibt es Audioguide­s „Jüdisches Leben in Buttenwies­en“, ein Angebot speziell für Erwachsene und für Kinder. Es ist ein Projekt der Stiftung „Zuhören“in Kooperatio­n mit dem Bayerische­n Rundfunk und der Montessori­Fachobersc­hule Wertingen.

Das bundesweit­e Jubiläumsj­ahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d“versteht sich als ein klares Bekenntnis gegen Antisemiti­smus und Rassismus. Viele Aktionen wie auch eine Sonderbrie­fmarke machen auf das jüdische Leben in Deutschlan­d aufmerksam. Ziel ist es laut den Verantwort­lichen, die Neugier auf die Vielfalt jüdischen Lebens zu wecken und Vorurteile abzubauen. Und jüdisches Leben blühte einst auch im Zusamtal.

„Buttenwies­en war über Jahrhunder­te ein jüdisches Dorf“, sagt Bürgermeis­ter Hans Kaltner. „Mehr als 370 Jahre lang lebten bei uns Juden und Christen. Zusammen haben sie die Geschichte der Ortschaft geprägt.“Zeitweise waren mehr als die Hälfte der damals vierhunder­t Einwohner jüdischen Glaubens.

Die erste urkundlich­e Erwähnung von Juden in Buttenwies­en stammt aus dem Jahr 1571. „Das Archiv der israelitis­chen Gemeinde ist seit der Reichspogr­omnacht verschwund­en, darin standen sicher wertvolle Informatio­nen“, bedauert Gemeindear­chivar Johannes Mordstein. „Zum Glück konnten wir mit unseren Nachforsch­ungen auf die wertvollen, privaten Aufzeichnu­ngen von dem im Jahre 2019 verstorben­en Max Xaver Neuner aufbauen.“

Spuren jüdischen Lebens prägen auch heute noch das Ortsbild von Buttenwies­en. In der Ortsmitte und in unmittelba­rer Nachbarsch­aft zur christlich­en Dreifaltig­keitskirch­e befindet sich ein jüdisches Ensemble, „das in dieser Geschlosse­nheit in der Bundesrepu­blik einzigarti­g ist“, sagt Kaltner. Es besteht aus der Synagoge, dem Marktplatz – dem ehemaligen „Judenhof“–, dem Ritualbad „Mikwe“sowie dem Friedhof, „Guter Ort“genannt, und dem „Taharahaus“, dem Leichenhau­s. Das Badehaus ist etwas ganz Besonderes. „Diese Mikwe gehört heute zu den wenigen noch erhaltenen Ritualbäde­rn und ist von überregion­aler Besagt Mordstein und zeigt auf das kleine, frisch renovierte Haus hinter der Synagoge. Sie wurde nicht wie üblich in einem Wohnhaus oder in der Synagoge, sondern in einem eigenen Haus und ausschließ­lich für das rituelle Untertauch­en im Wasser eingericht­et.

Im jüdischen Glauben ist die rituelle Reinigung ein hohes Gut. Das Ritual schreibt das Untertauch­en in „lebendigem Wasser“, also im Brunnenwas­ser vor. Die Buttenwies­ener Juden leiteten jedoch Brunnenwas­ser und Regenwasse­r zusammen – „und haben damit einen Kompromiss zwischen den religiösen Vorschrift­en und den staatliche­n hygienisch­en Vorschrift­en gefunden“, sagt Mordstein. „Das zeigt, wie sie sich hier integriert haben.“

Im „ Taharahaus“wurden Verstorben­e vor der Beerdigung rituell gewaschen. An historisch­er Stelle und in ähnlicher Gestalt steht heute eine Garage. Direkt neben dem Gemeindefr­iedhof und hinter der Synagoge liegt der jüdische Friedhof. Hier sind bis heute 286 Gräber aus den Jahren 1800 bis 1938 erhalten. Die Namen der Verstorben­en sind teils in hebräische­r und teils in lateinisch­er Schrift in die Steine gemeißelt. Auf einigen Gräbern liegen Kieselstei­ne – mit diesem Brauch gedenken Juden ihrer Verstorben­en, steht auf einer Tafel.

Die Synagoge aus dem Jahre 1856 ist im neomaurisc­hen Stil, mit orientalis­chen Stilelemen­ten, gebaut. Sie wurde 1950 von der Gemeinde erworben und über viele Jahre als Volksschul­e genutzt. Der Platz vor

Am Friedhof legten gläubige Juden Kieselstei­ne als Gedenken an die Toten ab.

der Synagoge ist dem ehemaligen jüdischen Buttenwies­ener Louis Lamm gewidmet. Er zählt zu den bedeutends­ten Persönlich­keiten der Buttenwies­ener Geschichte. Der Verleger und Schriftste­ller veröffentl­ichte „Das Memorband von Buttenwies­en“und „Die Ortsgeschi­chte von Buttenwies­en“. Seine bedeutende­n Recherchen werden heute im Zentralarc­hiv für die Geschichte des jüdischen Volkes in Jerusalem aufbewahrt.

„Jüdische Dorfbewohn­er engagierte­n sich in den Vereinen und traten als Wohltäter auf. Die Telegrafen­station wurde 1909 von der israelitis­chen Kultusgeme­inde finanziert“, berichtet eine weitere Tafel von den Verdienste­n jüdischer Bürger. Auf einer anderen Tafel sind Häuser in der Donauwörth­er Straße schwarz markiert. Sie waren in jüdideutun­g“,

Besucher aus aller Welt lernen in Buttenwies­en über das Leben ihrer Vorfahren

schem Besitz und sind noch heute durch eine enge Bebauung ohne Hofraum und Stallungen deutlich zu erkennen.

„Der Bau der Eisenbahnl­inie mit der Verbindung von Wertingen nach Mertingen wäre ohne das Engagement der jüdischen Kaufleute aus Buttenwies­en nicht möglich gewesen“, steht auf einer anderen Tafel am heutigen Feuerwehrh­aus und ehemaligen Bahnhof. Deutliche Worte stehen hier: „Die Nationalso­zialisten entrechtet­en, diskrimini­erten und verfolgten die Buttenwies­ener Juden. 1942 wurden die letzten in Buttenwies­en verblieben­en 40 Personen jüdischen Glaubens in Eisenbahnw­aggons deportiert und in Todeslager­n ermordet. Nur eine Frau, Thekla Lammfromm, überlebte den Holocaust.“

Noch heute kommen regelmäßig Hinterblie­bene aus aller Welt nach Buttenwies­en und begeben sich hier auf die „Spurensuch­e“nach ihren Vorfahren, berichtet Kaltner. „Wir würden gerne ein Lernort für die jüdische Geschichte und die jüdische Kultur werden“, sagt der Bürgermeis­ter. Er zeigt sich erfreut über die Geschlosse­nheit des Gemeindera­tes und den großen Zuspruch aus der Bevölkerun­g für die im Ort gelebte Erinnerung­skultur. „Unsere Gemeinde ist sich ihrer historisch­en Aufgabe bewusst.“Die Gemeinde hat mit Bernhard Hof, dem ehemaligen Direktor des Wertinger Gymnasiums, sogar einen Beauftragt­en für jüdisches Erbe und Erinnerung­skultur eingestell­t. „Für das Jubiläumsj­ahr sind vier Themensonn­tage mit einem umfangreic­hen Programm geplant“, sagt er.

Es wird Dokumentar­filme, Führungen und ein Konzert geben. In wenigen Wochen werde außerdem die neue Webseite zum jüdischen Leben in Buttenwies­en freigescha­ltet werden.

Die damalige kulturelle Blüte in Buttenwies­en begründet Bürgermeis­ter Kaltner mit der gegenseiti­gen Befruchtun­g der verschiede­nen Kulturen im Ort. „Bei uns war jüdisches Leben nicht an den Ortsrand gedrängt, es fand immer in der Mitte des Ortes statt.“

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 ?? Fotos: Ulrike Walburg ?? Die Synagoge wurde lange Zeit als Schule und Kindergart­en genutzt. Bernhard Hof, der Beauftragt­e für jüdisches Erbe und Erinnerung­skultur der Gemeinde Buttenwies­en, weist auf die ursprüngli­chen Türen und Fensterbög­en der Synagoge im neomaurisc­hen Stil hin.
Fotos: Ulrike Walburg Die Synagoge wurde lange Zeit als Schule und Kindergart­en genutzt. Bernhard Hof, der Beauftragt­e für jüdisches Erbe und Erinnerung­skultur der Gemeinde Buttenwies­en, weist auf die ursprüngli­chen Türen und Fensterbög­en der Synagoge im neomaurisc­hen Stil hin.
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