Wertinger Zeitung

Die Platten‰Bewegung

Trend In digitalen Zeiten wird nicht nur fleißig Musik gestreamt. Gerade in der Pandemie holt mancher auch seine Plattensam­mlung aus dem Keller. In den USA läuft Vinyl der CD schon den Rang ab. Nun plant Dual von Landsberg aus ein Comeback als Hersteller

- VON STEFAN STAHL

Landsberg/Mistelbach Horst, wie er sich in einem Dual-Plattenspi­elerForum nennt, hat eine Frage an die Vinyl-Gemeinscha­ft. Er lese hier dauernd den Begriff „Pimpel“und könne gar nichts damit anfangen. Sein Hilferuf an die Expertensc­har lautet: „Kann mich mal einer aufklären. Ich möchte nicht in Unwissenhe­it sterben.“Holgi will das verhindern. Er heißt Horst zunächst „im Reich der Bekloppten willkommen, die auch im 21. Jahrhunder­t immer noch der in der Rillenform gepressten Musik lauschen“.

Doch was ist ein Steuer-Pimpel? Holgi doziert: Dabei handele es sich um eine kleine Kunststoff­kappe, die einen Durchmesse­r von etwa vier Millimeter­n aufweise. Das Bauteil arbeite als Rutschkupp­lung zwischen dem Haupthebel und dem Tonarm.

Aber warum drehen sich in Plattenspi­eler-Foren derart viele Gespräche intensiv um ein lächerlich kleines Teil? Das hat auch mit Corona und dem sich in Krisenzeit­en verstärken­den Plattenspi­eler-Boom zu tun. Da Menschen den Großteil der Zeit zu Hause verbringen und etwas mit sich anfangen müssen, räumt mancher aus Langeweile den Keller auf, stößt auf alte VinylSchei­ben und den dazu passenden Plattenspi­eler. Das Gerät soll wieder laufen, doch es tut oft nicht, was es soll. So funktionie­rt, wie auch Holgi zu berichten weiß, die Automatik häufig mangelhaft. Der Pimpel ist meist der Schuldige. Daher hebt nach dem Druck der Taste „Start“der Tonarm etwa des antiken, einstigen deutschen Spitzenmod­ells Dual 731 Q nicht ab.

Wer nach Ursachen des Problems fahndet, landet nicht nur beim kundigen Holgi, sondern einem Mann namens Dualfred, der in Plattenspi­elerkreise­n Kultstatus genießt. Dualfred heißt im wirklichen Leben Alfred, oder kurz Fred Langer. Der 55-Jährige verfügt nicht nur über ein umfangreic­hes Dual-Ersatzteil­lager, eine Sammlung von mehr als 150 Plattenspi­elern und eine entspreche­nde Pimpel-Kompetenz. Dualfred arbeitet an einem viel größeren Projekt als Chefingeni­eur. Langer hilft mit, Dual-Plattenspi­eler nach einer wechselvol­len Karriere wieder zu einer weltweit angesehene­n Marke auch für das mittlere und gehobene Segment zu formen. Daher entwirft der gelernte Werkzeugma­cher und Diplom-Ingenieur in Kiefersfel­den an der bayerischö­sterreichi­schen Grenze neue Plattenspi­eler, die hohen Qualitätsa­nsprüchen genügen sollen.

Bislang werden unter der Marke Dual von dem in Landsberg am Lech sitzenden Unternehme­n neben Internet- und DAB+-Radios vor allem preisgünst­ige Einsteiger-Plattenspi­eler verkauft. Doch nun orientiere­n sich Langer und der neue Mehrheitse­igentümer der Firma, Josef „Sepp“Zellner, an DualGlanzz­eiten, als die Plattenspi­eler aus dem Schwarzwal­d den deutschen Markt beherrscht haben und in den USA begehrt waren. Amerikanis­che Soldaten brachten die Dual-Apparate mit in ihre Heimat und machten Werbung für sie.

Bis zur Rückkehr des alten DualGlanze­s ist es noch ein langer Weg. Denn zunächst muss Zellner auf vielen wichtigen Märkten der Welt Lizenzen einsammeln, die nach dem in Raten erfolgten Dual-Absturz an diverse Unternehme­n vergeben wurden. So verkaufen Rechteinha­ber in Spanien und Frankreich TV-Geräte unter dem Namen „Dual“. Zellner sagt: „Wir führen überall Gespräche und hoffen zum Beispiel in Asien, Südamerika und Australien auf die Markenrech­te.“In Europa und den USA ist die Firma im Besitz der Lizenzen.

Die Dual-Welt ist komplizier­t:

Im Schwarzwal­d stellte mit der Alfred Fehrenbach­er GmbH bis vor kurzem ein zweiter Hersteller DualPlatte­nspieler her – und zwar in St. Georgen, dem Ort, in dem Dual 1907 von den Brüdern Steidinger gegründet wurde. Während die Plattenspi­elerbauer zu ihren besten Zeiten in den 70er Jahren mit rund 3500 Mitarbeite­rn zweistelli­ge Umsatzzuwä­chse erzielten, ging es für das Unternehme­n durch die billigere und innovative­re Konkurrenz aus Fernost zunehmend bergab. Der Kostendruc­k wurde zu groß.

Am Ende musste Dual 1981 Insolvenz anmelden. Nun wurde die Marke auf tragische Weise ein ums andere Mal weitergere­icht. Zunächst kam der französisc­he Thomson-Brandt-Konzern zum Zuge, der schon andere deutsche Unterhaltu­ngselektro­nikmarken wie Saba, Telefunken und Nordmende eingesamme­lt hatte. Der Siegeszug der CD-Spieler setzte Dual weiter zu. 1988 landete die Marke in Bayern bei der Schneider Rundfunkwe­rke AG in Türkheim, einem Hersteller von Unterhaltu­ngselektro­nik-Produkten und Computern.

Das Unternehme­n aus dem Landkreis Unterallgä­u verfolgte ehrgeizige Pläne und setzte auf Laser-Fernsehen. Doch das Dual-Elend wollte kein Ende nehmen: Schneider verkaufte die Marke 1994 an die Karstadt AG, behielt aber die Rechte für analoge Plattenspi­eler. Schließlic­h

Schneider selbst pleitegehe­n. Das Niedergang­swirrwarr führte dazu, dass die Dual-Rechte weit verstreut sind, sodass sie Zellner Stück für Stück zurückhole­n muss.

Der Unternehme­r hat selbst für die Schneider Rundfunkwe­rke gearbeitet und war vor 25 Jahren Exportleit­er von Dual. Er fing dann noch einmal neu an, promoviert­e und machte in München bei der DAB-Bank Karriere. Der heute 56-Jährige stieg zum Vertriebsc­hef auf. Als das Finanzhaus von der italienisc­hen Unicredit an die französisc­he Bank BNP Paribas verkauft wurde und zentralist­ischer Management-Geist einkehrte, machte ihm die Arbeit immer weniger Spaß. Zellner wollte es noch einmal wissen, erinnerte sich an seine alte Liebe Dual und kaufte mit einem anderen Banker die Firma in Landsberg. „Ich habe mir gedacht: Geh noch einmal in die Vollen“, sagt er.

Dabei stieß der Unternehme­r bald auf seinen oberbayeri­schen Landsmann Fred Langer, der ebenfalls längst eine gut dotierte Spitzenpos­ition an den Nagel gehängt hatte. Einst baute der Hi-Fi-Freak einen Zulieferbe­trieb für die Halbleiter­industrie mit auf, verkaufte die Firma an ein US-Unternehme­n, das sie an einen anderen amerikanis­chen Anbieter abstieß. Langer blieb als Spitzenkra­ft an Bord, bis es ihm – auf gut Bayerisch – langte, entpuppte sich der zweite Käufer doch „als Heuschreck­e“. Aus Sicht der Dual-Anhänger fügt es sich gut, dass zwei von einer Spielart des Kapitalism­us enttäuscht­e Manager mit Mitte 50 noch mal im Dienste des Vinyls durchstart­en wollen.

Nun wäre die Geschichte aus Sicht von Nostalgike­rn perfekt, wenn Zellner und Langer alle Plattenspi­eler in Deutschlan­d herstellen ließen. Doch ein solches Dual-Märchen scheitert an betriebswi­rtschaftli­chen Überlegung­en. Beide sagen: „Wir können solch hochwertig­e Plattenspi­eler, die nur bis zu 1000 Euro kosten dürfen, nicht zu einem für Käufer vertretbar­en Preis in der Qualität in Deutschlan­d bauen.“Daher werden die meisten neuen von Langer entworfene­n Modelle, die jetzt Stück für Stück auf den Markt kommen, wie schon bisher die günstigere­n Einsteiger­geräte von einem taiwanesis­chen Anbieter in China gefertigt. Ähnlich verfahren viele Plattenspi­elerherste­ller.

Langer versichert: „In Deutschlan­d müssten wir an der Qualität knapsen, also etwa schlechter­e Plattentel­ler einbauen, um einen Preis wie bei der Fertigung in Asien zu erzielen.“In Kiefersfel­den werden also nur Liebhaber-Geräte, die teurer als 1000 Euro sind, in überschaub­aren Stückzahle­n gebaut. Zellner glaubt an einen stark wachsenden Markt, obwohl der Schallplat­tentrend schon länger anhält. Während 2015 etwa 80 000 Plattensol­lte spieler in Deutschlan­d verkauft wurden, waren es im vergangene­n Jahr schon 160000. Natürlich geht damit ein Plattenboo­m einher.

Was verblüffen­d ist: In den USA wurde zuletzt erstmals seit 1986 mehr Umsatz mit dem Verkauf von Schallplat­ten als mit CDs gemacht. Auch in Deutschlan­d ist die VinylLust nach einer Delle in 2018 wieder stärker geworden – und zwar über alle Altersklas­sen hinweg. Die Schallplat­te rangiert hierzuland­e, was die Absatzzahl­en betrifft, hinter der CD noch mit deutlichem Abstand auf Platz drei. Der erste Rang geht mit weitem Vorsprung an die online genutzte, also gestreamte Musik. Gerade unter jüngeren Menschen ist ein Doppeltren­d zu beobachten: Sie streamen kräftig Musik, manche schaffen sich aber zusätzlich einen Plattenspi­eler an, oft mit Bluetooth-Funktion. Damit lässt sich das Gerät kabellos mit den ohnehin zur Online-Musiknutzu­ng vorhandene­n Lautsprech­ern verbinden. Digitale und analoge Welt fügen sich in den Wohnungen junger Trendsette­r zusammen – und das verglichen mit den riesigen HiFi-Türmen ihrer Eltern und Großeltern auf platzspare­nde Weise.

Zur lustigen Ehe aus digitaler und analoger Musik-Welt hat Heinz Lichtenegg­er, der österreich­ische Plattenspi­eler-Pionier, eine humorige Meinung. Der Begründer der in Europa im Qualitätsb­ereich nach eiklassisc­he gener Darstellun­g führenden Marke Pro-Ject sagt: „Spotify ist zum Neischmeck’n, mit dem Plattenhör­en beginnt das bewusste Musikerleb­nis. Da muss man sich halt Zeit nehmen und genießen.“

Lichtenegg­er hat in den 80er Jahren, als Vinyl vielfach totgesagt wurde, stur an die Zukunft des Mediums geglaubt und 1991 Pro-Ject gegründet. Er hört seine Lieblingss­cheibe „The Dark Side oft the Moon“von Pink Floyd lieber als Platte, selbst wenn CDs perfekter sind. „Doch ich dachte stets: Es ist was falsch mit der CD. Es fehlt gegenüber der Platte an Emotion.“

Der heute 60-Jährige geht, wenn er von etwas überzeugt ist, mit dem Kopf durch die Wand. „Als ich damals anfing, Plattenspi­eler produziere­n zu lassen, sagten alle zu mir: Du bist verrückt. Das kann doch nicht funktionie­ren“, erinnert sich der Unternehme­r. Doch es funktionie­rte. Mancher vergleicht Lichtenegg­er wegen seiner Radikalitä­t, dem technische­n Purismus und dem wiedererke­nnbaren Design der Produkte mit dem einstigen Apple-Mitbegründ­er Steve Jobs, der auch so ein radikaler Träumer war.

Lichtenegg­er ist ein Spötter. Gestreamte Musik mit einfachen Bluetooth-Lautsprech­ern zu hören, sei wie ein Burger mit Ketchup von McDonald’s. Und er frotzelt: „Billigplat­tenspieler mit eingebaute­n Lautsprech­ern aus Asien für 120 Euro versauen den Markt.“Derartige Geräte nennt er „Spielzeugp­lattenspie­ler“. Der Österreich­er lässt seine Plattenspi­eler in Europa fertigen, vor allem in einer Fabrik in Tschechien, die er nach dem Fall des Eisernen Vorhangs übernommen hat. Insgesamt beschäftig­t er 660 Mitarbeite­r und ist dort angekommen, wo das Dual-Duo Zellner und Langer hinwollen. Lichtenegg­er kann nicht so viele Plattenspi­eler produziere­n, wie er verkaufen könnte. Viele gönnen sich ein neues Gerät, nachdem sie nicht verreisen können und sich das Konto gefüllt hat. Das schiebt das Pro-Ject-Geschäft an. Lichtenegg­er hat ein schönes

Alles hängt am Pimpel

Der emotionale Platten‰Moment

neues Hauptquart­ier nördlich von Wien im Weinvierte­l erworben. Zuletzt setzte sein Unternehme­n rund 160000 Plattenspi­eler ab. Nun ist er überzeugt: „Der Boom geht weiter. Wir peilen einen Absatz von bis zu 200000 Stück an.“

Was die Plattenspi­elerbauer, ob in Landsberg oder im österreich­ischen Mistelbach im Weinvierte­l, freuen dürfte: Die Abspielger­äte sind zu einem Lifestyle-Produkt geworden. In einem derzeit häufig ausgestrah­lten Werbefilm für eine Tiefkühl-Pizza steigt der das Teigproduk­t für sein Rendezvous in den Ofen schiebende Mann zuvor nicht aus einem Luxusschli­tten aus. Er legt vielmehr eine Platte auf, sozusagen als romantisch­es Manöver.

Wem das alles zu gefühlig klingt, ja als Platten-Latein angegraute­r Freaks erscheint und wer nichts über seine CDs oder kurz Gestreamte­s kommen lässt, der schafft vielleicht noch mit einem Selbstvers­uch den Absprung in die richtige Rille. Die Zutaten sind überschaub­ar: Man lege etwa die CD „Beggars Banquet“von den Rolling Stones ein oder streame sie. Danach folgt eine Plattenhör­probe, am besten mit einer alten Pressung aus der Sammlung der Eltern oder vom Flohmarkt. Gerade bei den Songs „No Expectatio­ns“oder „Street Fighting Man“stellt sich rasch der von Lichtenegg­er beschworen­e emotionale Unterschie­d ein.

Manchen mag im Gegensatz zu den Digitalpro­dukten Gänsehaut übermächti­gen. „Dualfred“Langer beschreibt es technisch: „Gerade weil die Platte nicht so perfekt wie eine CD ist, wirkt sie für unser Gehör angenehmer.“In die nicht perfekte Welt passt auch mal der ein oder andere Kratzer.

 ?? Foto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa ?? Platten kann man im Gegensatz zur Streaming‰Musik in die Hand nehmen. Die Platten‰Cover sind oft Kunstwerke. Eben eine runde Sache.
Foto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa Platten kann man im Gegensatz zur Streaming‰Musik in die Hand nehmen. Die Platten‰Cover sind oft Kunstwerke. Eben eine runde Sache.
 ?? Foto: Dual, Alex Gretter ?? Der frühere Banker Josef Zellner (links) und der einstige Halbleiter‰Unternehme­r Al‰ fred Langer arbeiten an einem Comeback der Marke Dual.
Foto: Dual, Alex Gretter Der frühere Banker Josef Zellner (links) und der einstige Halbleiter‰Unternehme­r Al‰ fred Langer arbeiten an einem Comeback der Marke Dual.
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Foto: Dual, Alex Gretter Die Plattenspi­eler‰Marke Dual hat eine wechselvol­le Geschichte hinter sich. Der Nie‰ dergang war lang und schmerzhaf­t. Nun soll es bergauf gehen.

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