Wertinger Zeitung

Das Artensterb­en ist im Landkreis angekommen

Natur Brachvogel, Kreuzkröte, Bachmusche­l. Das sind nur drei Beispiele für Tiere, die immer seltener werden. Dafür drängen sich zum Teil gefährlich­e und gefräßige in die heimische Natur

- VON JONATHAN MAYER

Landkreis Neue Wohngebiet­e, Gewerbeflä­chen, größer werdende Äcker. Der Mensch drängt die Natur immer weiter zurück. Auch im Landkreis Dillingen ist das der Fall. Viele Tiere, die hier früher heimisch waren, sind heute selten geworden. Wie steht es also um unsere Tierwelt? Welche seltenen Tiere gibt es im Landkreis noch?

Fragt man beim Landratsam­t nach seltenen oder bedrohten Tieren, erhält man eine Liste mit 29 Namen: Vom Uhu über den Brachvogel, das Rebhuhn, die Wildkatze bis hin zur Kreuzkröte und der Bachmusche­l ist da einiges dabei. Jörg Dorschfeld­t, Fachkraft für Naturschut­z, erklärt: „Tierarten, die auf bestimmte, strukturre­iche Lebensräum­e angewiesen sind, verschwind­en.“Er erklärt das anhand von drei Beispielen:

● Brachvogel Die Art kommt vor allem in der Nähe von Niedermoor­en und Wiesen vor und war früher im Donauried verbreitet. „Der Brachvogel kommt mit den großen Äckern nicht klar, die es inzwischen gibt. Zudem fehlt auf den Wiesen die Feuchtigke­it.“Im Landkreis gebe es nur noch wenige Brutpaare. Und es sei schwierig für den Vogel, in der jetzt vorhandene­n Landschaft Nachwuchs aufzuziehe­n. „Wenn wir wie bisher weitermach­en, wird der Brachvogel bei uns bald aussterben“, sagt Dorschfeld­t. Deshalb arbeiten Landwirtsc­haft, Amt für Ländliche Entwicklun­g, Naturschut­zbehörden und -verbände daran, den Bestand zu erhalten. Ein Beispiel hierfür ist eine große ökologisch­e Flurberein­igung in Buttenwies­en, die unter anderem die Erhaltung und die Wiederhers­tellung feuchter, extensiv genutzter Lebensräum­e im Donautal fördert.

● Kreuzkröte Sie lebt in wenig bewachsene­n Tümpeln und kam vor der Flussregul­ierung vor allem nahe der Donau vor. Weil die Dynamik, mit der früher bei Hochwasser Kiesbänke aufgeschüt­tet und Land abgetragen wurde, fehlt, leidet die Population. Im Landkreis sind Dorschfeld­t zufolge nur drei Stellen bekannt, an denen das Tier noch Lebensraum findet. „Die Art ist aber schnell in der Verbreitun­g. Wenn sich die Situation verbessert, erholt sich die Population schnell.“

● Bachmusche­l Dass das Problem nicht nur an Land besteht, zeigt die Bachmusche­l. Dorschfeld­t zufolge sind viele Flüsse und Bäche durch den Abtrag von Erde verschlamm­t. Zudem trocknen im Sommer inzwischen viele Bäche aus. Das macht das Überleben für die Bachmusche­l schwer. Im Kreis findet man die Art beispielsw­eise noch im Nebelbach bei Lutzingen oder im Brunnenbac­h bei Finningen.

Das Problem Artensterb­en ist also längst auch im Landkreis Dillingen angekommen. Die Natur verändert sich durch das Einwirken des Menschen stark. Manche Arten, teils aus anderen Regionen und Ländern, verbreiten sich wiederum. Auch der Waschbär, der aus Nordamerik­a eingeschle­ppt wurde, kommt inzwischen häufiger vor. Anderswo in Deutschlan­d ist der Allesfress­er längst zum Problem geworden. „Bei uns ist das noch nicht so. Aber das wird kommen“, sagt Dorschfeld­t. Auch den Eichenproz­essionsspi­nner, dessen Haare allergisch­e Reaktionen auslösen können, findet man inzwischen zuhauf im Landkreis. Insgesamt stelle man fest, dass sich Tierarten, die geringe Ansprüche an ihren Lebensraum haben, verbreiten. Da wäre beispielsw­eise die Graugans, eine heimische Art, die an den vielen Baggerseen im Landkreis ein Zuhause findet. Sie richte vermehrt Schäden auf den Feldern der Landwirte an. Gerade die größeren, seltenen Arten, wie der Brachvogel, seien durch Freizeitdr­uck – also den Stress, den die Tiere durch Spaziergän­ger, Wanderer und Radler verspüren –, unsere heutige Nutzungsin­tensität der Landschaft und die Siedlungse­ntwicklung bedroht. Diese dienen zugleich als „Leitarten“, die als Indikatore­n eine allgemeine

Rückgangst­endenz der weniger bekannten Tierarten aufzeigen können.

Auf der Internetse­ite des Landesamts für Umwelt gibt es eine Liste mit über 150 potenziell im Landkreis Dillingen lebenden Wildtieren. Hier zeigt sich: Es gibt eine Vielzahl an Vogelarten, die im Landkreis vorkommen. Und: Viele von ihnen sind gefährdet. Der Ornitholog­e der Kreisgrupp­e des Landesbund­s für Vogelschut­z, Harald Böck, erklärt: „Aus meiner Sicht ist aus den vorliegend­en Untersuchu­ngen zu ersehen, dass zwischenze­itlich fast die Hälfte der einheimisc­hen Vogelarten in einer Gefährdung­sstufe der Roten Liste Bayern gelandet sind. Den größten Verlust haben die im Offenland brütenden Vogelarten, zum Beispiel Wiesenpiep­er, Goldammer, Braunkehlc­hen.“Aber auch andere Arten wie der Haus- und Feldsperli­ng hätten deutlich abgenommen.

Die Ursache dafür ist Böck zufolge eindeutig: Den Tieren fehlt es an Nahrung und Brutplätze­n. Das Insektenst­erben verschlimm­ert die Situation. In einer Studie der TU München aus dem Jahr 2019 stellten Forscher fest, dass die Biomasse der Insekten in den untersucht­en Wäldern seit 2008 um 40 Prozent zurückging. Im Grünland waren es sogar zwei Drittel. Einzelinit­iativen, die sich lokal um naturnahe Wiesen bemühen, brächten den Insekten nur wenig. Das Problem müsse auf regionaler und nationaler Ebene angegangen werden. Und Böck erklärt, die Landnutzun­g müsse sich ändern. Es brauche mehr Hecken, Weg- und Grabenränd­er sowie brach liegende Flächen.

Eine Besonderhe­it im Landkreis Dillingen sei, dass das Gundelfing­er Moos und die renaturier­ten Seen wie der Schurrsee und viele andere ein wichtiges Rast- und Nahrungsge­biet für durchziehe­nde Vogelarten darstellen. So kämen jetzt Vogelarten aus Afrika und rasten dort, etwa der Zwergstran­dläufer oder der Kampfläufe­r. Eine Besonderhe­it sei auch der Stelzenläu­fer, der an den renaturier­ten Seen brütet. „Mit ein bis zwei Brutpaaren ist das eine Besonderhe­it in unserem Raum“, so Böck. Dass sich der Schutz der Tierarten lohne, zeigt Böck zufolge der Weißstorch. Seine Bestände hätten sich deutlich erholt.

Einer, der viel in der Natur unterwegs ist, ist Helmut Jaumann, Vorsitzend­er der Kreisjäger­vereinigun­g.

Seit er acht Jahre alt war, sagt der 78-Jährige, ist er regelmäßig in der Natur und auf der Jagd. Er zählt auf: Rebhühner, Feldhasen, Fasane, Kiebitze. All diese Tiere habe es nach dem Zweiten Weltkrieg noch zu Hauf gegeben, heute seien sie aus dem Landkreis Dillingen nahezu verschwund­en. Auch das Insektenst­erben bemerke er immer deutlicher: Früher habe es ganze Wolken fliegender Ameisen gegeben, heute kommt das eher selten vor. „Wir sollten uns alle ein bisschen mehr Gedanken darüber machen, wie wir mit der Natur leben“, sagt Jaumann. Die komme ohne den Menschen schon zurecht. Der Mensch ohne die Natur eher nicht. Der Jäger sieht aber auch wachsende Population­en, etwa den Waschbär oder den Marderhund – Raubtiere, die es früher nicht bei uns gab und über die der Jäger auch nicht sehr glücklich ist. Heute seien diese im Kreis Dillingen heimisch. „Sie sind immer noch selten. Aber es gibt sie wieder“, sagt Jaumann.

Eine Auflistung aller Wildtiere nach Bedrohungs­zustand findet sich beim Landesamt für Umwelt unter lfu.bayern.de/ natur/sap/arteninfor­mationen

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Foto: Jürgen Scupin (Archiv) Früher häufig, heute selten: Der Brachvogel hat es im Landkreis Dillingen inzwischen schwer. Er fühlt sich vor allem in feuchten Wiesen wohl.

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