Wertinger Zeitung

„Wenn es sein muss, besetzen wir den Wald“

Mit Bannern im Lohwald und im Meitinger Schlosspar­k wollen Aktivisten eine Rodung zur Erweiterun­g des Stahlwerks in Meitingen verhindern. Sie drohen auch mit drastische­ren Maßnahmen.

- VON PHILIPP KINNE

Protest

Meitingen Minus zwei Grad, stockfinst­ere Nacht. Von Weitem sind die Aktivisten im Lohwald bei Meitingen nicht zu sehen. Sie wollen unentdeckt bleiben. Denn das, was sie dort um fünf Uhr morgens machen, ist nicht erlaubt. Sollte die Polizei von der Aktion Wind bekommen, droht jeden Moment der Abbruch. Zwei junge Frauen legen sich ihre Klettergur­te um und legen los. In wenigen Minuten sind sie meterhoch auf den Bäumen. Dort oben wollen sie ein Banner befestigen: „Finger weg von Lohwald“, steht da.

Hinter der Aktion steckt das Bündnis „Wald statt Stahl“. Einer der Gruppe nennt sich Tom und koordinier­t den Protest. Er weiß, dass sie sich strafbar machen, doch das ist ihm egal. Aus seiner Sicht sind die legalen Mittel zum Protest erschöpft, nun sei es an der Zeit für Ungehorsam. Das Ziel: Lohwald erhalten, Bannwald aufforsten. Denn wie berichtet, wollen die LechStahlw­erke (LWS) für eine Erweiterun­g des Unternehme­ns einen Teil des geschützte­n Waldes roden. 18 Hektar Wald sollen weg, das ist mehr als ein Drittel der Fläche. Dort sollen dann neue Produktion­sanlagen entstehen. Dadurch würden neue Arbeitsplä­tze geschaffen werden, argumentie­rt die Unternehms­gruppe. Geplant sei die Rodung laut Lechstahl unter strengen Auflagen in kontrollie­rten Abschnitte­n über einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren. Sollten alle Vorgaben erfüllt werden, könnten die ersten fünf Hektar 2022 gerodet werden.

Doch es solle wieder aufgeforst­et werden, betont ein Sprecher von Lechstahl auf Nachfrage unserer Redaktion. Es stelle sich die Frage, warum Verfechter des Naturschut­zes ein Projekt verhindern wollen, dass durch Aufforstun­g langfristi­g mehr als 30 Prozent zusätzlich­e Waldfläche bringen werde. Auf Unverständ­nis trifft auch der Name der Aktionsgru­ppe, „Wald statt Stahl“. „Diesen konstruier­ten Konflikt gibt es nicht, da sich beide Bereiche nicht widersprec­hen“, teilt der LechstahlS­precher mit. Außerdem müsse sich jeder die Frage stellen, wo Stahl überall genutzt werde und wie wichtig er sei: „Stahl für den Bau von Wohnungen, Stahl für die Produktion von Autos, Fahrrädern, Eisenbahn und natürlich auch Stahl für Windkrafta­nlagen“, so der Sprecher. In Deutschlan­d gebe es dafür strengere Auflagen als im Ausland, wo mit wesentlich höheren Emissionen produziert werde.

Bereits Ende Februar demonstrie­rten knapp 600 Bürger mit einer Menschenke­tte für den Erhalt des Lohwalds (wir berichtete­n). Sollte nun auch die jüngste Protestakt­ion keinen Erfolg haben, wollen die Aktivisten von „Wald statt Stahl“einen Schritt weitergehe­n. „Wenn es sein muss, besetzen wir den Wald“, sagt Tom. Einige Mitglieder der Gruppe haben damit Erfahrung. Sie protestier­ten auch schon im Hambacher Forst mit. In der Szene nennen sie den Wald, in dem mittlerwei­le ein ganzes Baumhausdo­rf steht „Hambi“. Sollte die Politik nicht einlenken, werde man ähnlich vorgehen, drohen die Aktivisten.

Ihnen ist es wichtig zu betonen, dass sich ihre Aktionen nicht gegen die Arbeiterin­nen und Arbeiter des Stahlwerks richten. Stattdesse­n gehe es um die Pläne von Lechstahl, an dessen Spitze Max Aicher steht. „Ihm sind die Bedürfniss­e der lokalen Bevölkerun­g und zukünftige­r Generation­en gleichgült­ig,“so der Vorwurf einer der Aktivisten im Lohwald. Einige Hundert Meter entfernt, im Schlosspar­k von Meitingen, sind seine Kollegen mit einer weiteren Aktion beschäftig­t. Auch dort hängen sie am Freitagmor­gen ein Banner auf – in unmittelba­rer Nähe des Rathauses. Die Aktivisten wollen auch Bürgermeis­ter Michael Higl (CSU) auf ihr Anliegen aufmerksam machen. Wäre er im Büro, könnte er das Banner von seinem Büro aus sehen. Aber: „Ich bin im Homeoffice“, sagt Higl am Freitagvor­mittag im Gespräch mit unserer Redaktion. Vom Banner habe er durch die Berichters­tattung dennoch erfahren.

Zur Aktion an sich will sich der Meitinger Bürgermeis­ter nicht äußern. Das Banner im Park ließ die Marktgemei­nde nur wenige Stunden nach dem Aufhängen wieder entfernen. „Das hat nichts mit der Botschaft zu tun, sondern damit, dass es schlicht nicht erlaubt ist, im Park Banner aufzuhänge­n“, erklärt der Bürgermeis­ter. Mitarbeite­r des Bauhofs entfernten es deshalb am Freitagvor­mittag. Das zweite Banner im Wald falle nicht in die Zuständigk­eit der Gemeinde, so der Bürgermeis­ter. Wie die Polizei auf Nachfrage mitteilt, stellt es keine

Gefahr für den Straßenver­kehr oder Fußgänger dar und sei deshalb bislang nicht entfernt worden.

Politisch sind die Pläne des Stahlwerks höchst umstritten. Bislang gibt es noch keine Genehmigun­g für eine Rodung, über die erst im Marktgemei­nderat Meitingen beraten und entschiede­n werden muss. Landtagsab­geordneter Fabian Mehring (Freie Wähler) der auch Teil des Meitinger Gemeindera­ts ist, sagt: „Die Erweiterun­gspläne von Bayerns einzigem Stahlwerk erfordern eine sorgsame Abwägung der berechtigt­en Interessen von Naturschut­z, Anwohnern und Arbeitnehm­ern.“Jeder habe das Recht, dabei auf seine Meinung aufmerksam zu machen, solange hierbei keine Gesetze gebrochen werden. „Wenn es den Aktivisten wirklich um die Umwelt geht, würde ich es aber für glaubwürdi­ger halten, Bäume zu pflanzen, als nachts Plakate aufzuhänge­n und mit zivilem Ungehorsam zu drohen“, sagt Mehring. Schließlic­h hätten die heimischen Bürgerinit­iativen eindrucksv­oll gezeigt, dass kreativer Protest auch anders geht. „Wenn auswärtige Berufsdemo­nstranten aus dem Hambacher Forst und vom Stuttgarte­r Hauptbahnh­of jetzt tatsächlic­h ihre Baumhäuser in Meitingen aufschlage­n, würde das weder der Umwelt noch einer guten Lösung für unsere Heimat helfen“, meint Mehring.

Mit Klettergur­ten steigen Aktivisten auf einen Baum im Lohwald. Sie bringen Protestban­ner an, um gegen eine Ro‰ dung des Geländes zu demonstrie­ren.

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Fotos: Marcus Merk Ein Protestban­ner im Meitinger Stadtpark. Kurz nachdem es gehangen war, entfernten es Mitarbeite­r der Stadt wieder. Der Grund: Banner sind im Park verboten.
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