„Wenn es sein muss, besetzen wir den Wald“
Mit Bannern im Lohwald und im Meitinger Schlosspark wollen Aktivisten eine Rodung zur Erweiterung des Stahlwerks in Meitingen verhindern. Sie drohen auch mit drastischeren Maßnahmen.
Protest
Meitingen Minus zwei Grad, stockfinstere Nacht. Von Weitem sind die Aktivisten im Lohwald bei Meitingen nicht zu sehen. Sie wollen unentdeckt bleiben. Denn das, was sie dort um fünf Uhr morgens machen, ist nicht erlaubt. Sollte die Polizei von der Aktion Wind bekommen, droht jeden Moment der Abbruch. Zwei junge Frauen legen sich ihre Klettergurte um und legen los. In wenigen Minuten sind sie meterhoch auf den Bäumen. Dort oben wollen sie ein Banner befestigen: „Finger weg von Lohwald“, steht da.
Hinter der Aktion steckt das Bündnis „Wald statt Stahl“. Einer der Gruppe nennt sich Tom und koordiniert den Protest. Er weiß, dass sie sich strafbar machen, doch das ist ihm egal. Aus seiner Sicht sind die legalen Mittel zum Protest erschöpft, nun sei es an der Zeit für Ungehorsam. Das Ziel: Lohwald erhalten, Bannwald aufforsten. Denn wie berichtet, wollen die LechStahlwerke (LWS) für eine Erweiterung des Unternehmens einen Teil des geschützten Waldes roden. 18 Hektar Wald sollen weg, das ist mehr als ein Drittel der Fläche. Dort sollen dann neue Produktionsanlagen entstehen. Dadurch würden neue Arbeitsplätze geschaffen werden, argumentiert die Unternehmsgruppe. Geplant sei die Rodung laut Lechstahl unter strengen Auflagen in kontrollierten Abschnitten über einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren. Sollten alle Vorgaben erfüllt werden, könnten die ersten fünf Hektar 2022 gerodet werden.
Doch es solle wieder aufgeforstet werden, betont ein Sprecher von Lechstahl auf Nachfrage unserer Redaktion. Es stelle sich die Frage, warum Verfechter des Naturschutzes ein Projekt verhindern wollen, dass durch Aufforstung langfristig mehr als 30 Prozent zusätzliche Waldfläche bringen werde. Auf Unverständnis trifft auch der Name der Aktionsgruppe, „Wald statt Stahl“. „Diesen konstruierten Konflikt gibt es nicht, da sich beide Bereiche nicht widersprechen“, teilt der LechstahlSprecher mit. Außerdem müsse sich jeder die Frage stellen, wo Stahl überall genutzt werde und wie wichtig er sei: „Stahl für den Bau von Wohnungen, Stahl für die Produktion von Autos, Fahrrädern, Eisenbahn und natürlich auch Stahl für Windkraftanlagen“, so der Sprecher. In Deutschland gebe es dafür strengere Auflagen als im Ausland, wo mit wesentlich höheren Emissionen produziert werde.
Bereits Ende Februar demonstrierten knapp 600 Bürger mit einer Menschenkette für den Erhalt des Lohwalds (wir berichteten). Sollte nun auch die jüngste Protestaktion keinen Erfolg haben, wollen die Aktivisten von „Wald statt Stahl“einen Schritt weitergehen. „Wenn es sein muss, besetzen wir den Wald“, sagt Tom. Einige Mitglieder der Gruppe haben damit Erfahrung. Sie protestierten auch schon im Hambacher Forst mit. In der Szene nennen sie den Wald, in dem mittlerweile ein ganzes Baumhausdorf steht „Hambi“. Sollte die Politik nicht einlenken, werde man ähnlich vorgehen, drohen die Aktivisten.
Ihnen ist es wichtig zu betonen, dass sich ihre Aktionen nicht gegen die Arbeiterinnen und Arbeiter des Stahlwerks richten. Stattdessen gehe es um die Pläne von Lechstahl, an dessen Spitze Max Aicher steht. „Ihm sind die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung und zukünftiger Generationen gleichgültig,“so der Vorwurf einer der Aktivisten im Lohwald. Einige Hundert Meter entfernt, im Schlosspark von Meitingen, sind seine Kollegen mit einer weiteren Aktion beschäftigt. Auch dort hängen sie am Freitagmorgen ein Banner auf – in unmittelbarer Nähe des Rathauses. Die Aktivisten wollen auch Bürgermeister Michael Higl (CSU) auf ihr Anliegen aufmerksam machen. Wäre er im Büro, könnte er das Banner von seinem Büro aus sehen. Aber: „Ich bin im Homeoffice“, sagt Higl am Freitagvormittag im Gespräch mit unserer Redaktion. Vom Banner habe er durch die Berichterstattung dennoch erfahren.
Zur Aktion an sich will sich der Meitinger Bürgermeister nicht äußern. Das Banner im Park ließ die Marktgemeinde nur wenige Stunden nach dem Aufhängen wieder entfernen. „Das hat nichts mit der Botschaft zu tun, sondern damit, dass es schlicht nicht erlaubt ist, im Park Banner aufzuhängen“, erklärt der Bürgermeister. Mitarbeiter des Bauhofs entfernten es deshalb am Freitagvormittag. Das zweite Banner im Wald falle nicht in die Zuständigkeit der Gemeinde, so der Bürgermeister. Wie die Polizei auf Nachfrage mitteilt, stellt es keine
Gefahr für den Straßenverkehr oder Fußgänger dar und sei deshalb bislang nicht entfernt worden.
Politisch sind die Pläne des Stahlwerks höchst umstritten. Bislang gibt es noch keine Genehmigung für eine Rodung, über die erst im Marktgemeinderat Meitingen beraten und entschieden werden muss. Landtagsabgeordneter Fabian Mehring (Freie Wähler) der auch Teil des Meitinger Gemeinderats ist, sagt: „Die Erweiterungspläne von Bayerns einzigem Stahlwerk erfordern eine sorgsame Abwägung der berechtigten Interessen von Naturschutz, Anwohnern und Arbeitnehmern.“Jeder habe das Recht, dabei auf seine Meinung aufmerksam zu machen, solange hierbei keine Gesetze gebrochen werden. „Wenn es den Aktivisten wirklich um die Umwelt geht, würde ich es aber für glaubwürdiger halten, Bäume zu pflanzen, als nachts Plakate aufzuhängen und mit zivilem Ungehorsam zu drohen“, sagt Mehring. Schließlich hätten die heimischen Bürgerinitiativen eindrucksvoll gezeigt, dass kreativer Protest auch anders geht. „Wenn auswärtige Berufsdemonstranten aus dem Hambacher Forst und vom Stuttgarter Hauptbahnhof jetzt tatsächlich ihre Baumhäuser in Meitingen aufschlagen, würde das weder der Umwelt noch einer guten Lösung für unsere Heimat helfen“, meint Mehring.
Mit Klettergurten steigen Aktivisten auf einen Baum im Lohwald. Sie bringen Protestbanner an, um gegen eine Ro dung des Geländes zu demonstrieren.