Wertinger Zeitung

Machtpoker in der Union

Bundestags­wahl Die CDU stellt sich hinter ihren Vorsitzend­en Armin Laschet und will ihn möglichst schnell zum Kanzlerkan­didaten ausrufen. Doch die CSU bremst eine Entscheidu­ng aus. Söder will bis Ende der Woche warten

- VON CHRISTIAN GRIMM, MARGIT HUFNAGEL, SIMON KAMINSKI, MICHAEL POHL U. MICHAEL STIFTER

Berlin/München Fast war es schon so etwas wie eine Antrittsre­de als nächster Bundeskanz­ler. Als Armin Laschet am Montagmitt­ag vor die Kameras tritt, zählt er selbstbewu­sst auf, welchen Weg Deutschlan­d mit ihm beschreite­n würde. Mehr Europa, Umweltschu­tz in Verbindung mit Wirtschaft­spolitik, soziale Gerechtigk­eit – es sind die großen Dinge, die der CDU-Chef in den Blick nimmt, nicht mehr das Klein-Klein der Personalst­reitereien, so das Signal. Laschet hat durchaus Grund dazu: Auch wenn die CDU noch nicht offiziell abgestimmt hat, so scheint der Weg für ihn als Kanzlerkan­didat geebnet. Die Partei-Führungsgr­emien erteilen ihm vollen Rückhalt. „Es gibt eine breite Unterstütz­ung für Armin Laschet als Kanzlerkan­didaten von CDU und CSU“, sagt CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak nach Beratungen von Präsidium und Bundesvors­tand. Deshalb will Laschet auch nicht lange warten. „Alle Fakten liegen auf dem Tisch. Deshalb wollen wir schnell eine Lösung mit der CSU suchen“, sagt er. Doch sosehr sich Laschet und sein Herausford­erer um die Kandidatur, Markus Söder, auch um demonstrat­ive Harmonie bemühen: In der Union ist ein offener Machtkampf entbrannt.

Denn der Bayer will trotz der deutlichen Signale aus der CDU nicht aufgeben. „Bei mir geht nichts mit Biegen und Brechen“, sagt Söder und hält das Spiel erst mal offen. Erst Ende der Woche soll eine Entscheidu­ng fallen. Es ist ein Affront gegen Laschet und die große Schwesterp­artei. Er habe von den Landesverb­änden, aus der Fraktion, aber auch aus der Bevölkerun­g deutliche Rückendeck­ung erhalten, erklärt Söder seine Position. Auch die seien Teil der Union, nicht nur das Präsidium selbst. Deshalb sieht er in seiner Haltung auch keinen Widerspruc­h oder gar einen Wortbruch nach seiner Ankündigun­g, selbst zurückzust­ecken, wenn die CDU dies will. Man könne sich nicht abkoppeln von der Mehrheit der Menschen. Tatsächlic­h sind auch nicht alle Bundestags­abgeordnet­en der CDU glücklich mit dem

Verhalten der Parteispit­ze. Auf die Frage, ob Söders selbstbewu­sster Auftritt Irritation­en in Berlin ausgelöst habe, sagt ein CDU-Parlamenta­rier unserer Redaktion: „In der Fraktion gibt es vor allem Irritation­en über das CDU-Präsidium, viele Kollegen werden aus ihren Kreisverbä­nden bestürmt.“

Unterstütz­ung erhält Söder auch von seinem einstigen Rivalen Manfred Weber. „Markus Söder hat das Zeug zum Kanzler und genießt viel Vertrauen in der Bevölkerun­g“, sagt der stellvertr­etende CSU-Chef und Europapoli­tiker unserer Redaktion. Was aus Sicht seiner Anhänger am stärksten für den bayerische­n Ministerpr­äsidenten spricht, sind seine Siegchance­n bei der Bundestags­wahl. „Umfragen sind nicht alles, aber sie sind ein deutlicher Maßstab“, sagt Söder selbst. Er weiß, dass die Zahlen für ihn sprechen. In einer aktuellen Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa gaben 36 Prozent Söder als gewünschte­n Bundeskanz­ler an, wenn sie freie Auswahl hätten. Nur desaströse drei Prozent nannten Laschet, während beispielsw­eise die beiden potenziell­en Grünen-Kanzlerkan­didaten Robert Habeck und Annalena Baerbock auf elf beziehungs­weise zehn Prozent kamen. „Die Union muss jetzt selbst darüber befinden, ob sie mit Markus Söder die Chance wahren will, bei der kommenden Bundestags­wahl die stärkste Partei zu bleiben, oder ob sie mit Armin Laschet eine verheerend­e Niederlage riskieren will“, sagt Forsa-Chef Manfred Güllner. Auch der Politikwis­senschaftl­er Heinrich Oberreuthe­r denkt nicht, dass sich Söder vom Meinungsbi­ld in der CDU beeindruck­en lässt. „Ich glaube, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist“, sagt er. „Für Söder ist diese Empfehlung eine Erschwerni­s, allerdings ist es eben nur eine Empfehlung, keine Entscheidu­ng, die in Stein gemeißelt ist.“

Tatsächlic­h ist bei den Konservati­ven die Furcht in den letzten Wochen enorm gewachsen, im September unterzugeh­en und nach anderthalb Jahrzehnte­n aus dem Kanzleramt verdrängt zu werden. Der Berliner Landesverb­and der CDU plädiert deshalb am Montag für Söder als gemeinsame­n Kandidaten. Auch in der Bundestags­fraktion gibt es eine Gruppe, die ihn eher als Zugpferd sieht als den eigenen Parteichef. Hier scheint Söder noch eine Chance zu wittern. Während Laschet es nicht unbedingt für nötig hält, mit dem CSU-Rivalen in der Bundestags­fraktion vorstellig zu werden, will dieser gerne noch einmal „hineinhorc­hen“– und womöglich doch noch den einen oder anderen CDU-Abgeordnet­en auf seine Seite ziehen. Um seinen vermeintli­chen Wortbruch gegenüber Laschet zu verdecken, hob Söder mehrfach darauf ab, dass der Kandidat die breite Unterstütz­ung der gesamten Partei brauche und nicht nur die der Spitze. Man könne keine Partei mehr „nur von oben führen“.

Beeindruck­en lassen will sich Laschet davon nicht, schon gar nicht von den Verweisen auf die Umfragen. „Man muss Politik aus einem Grundverst­ändnis heraus machen, das nicht auf Umfragen schaut“, sagt er. Tatsächlic­h ging der Rheinlände­r auch überrasche­nd als Sieger aus der Landtagswa­hl 2017 hervor, als er die eigentlich beliebte SPDMiniste­rpräsident­in

Der Koalitions­partner reagiert genervt

Hannelore Kraft im sozialdemo­kratischen Stammland NRW überholte.

Genervt reagiert inzwischen der Koalitions­partner. Die SPD kritisiert den Kampf um die Kanzlerkan­didatur der Union angesichts der zuspitzend­en Corona-Pandemie als unverantwo­rtlich. „Der offene Machtkampf lähmt CDU und CSU, während ihrer öffentlich­en Raufereien um die Kanzlerkan­didatur gerät für Laschet und Söder die Pandemiebe­kämpfung völlig in den Hintergrun­d“, sagt SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil unserer Redaktion. „Ein solch egoistisch­es Verhalten ist absolut unverantwo­rtlich und wird der schwierige­n Lage in unserem Land nicht gerecht“, kritisiert Klingbeil. Der ehrwürdige Satz „Erst das Land, dann die Partei“gelte in der Union offenbar nicht mehr. „Während Laschet und Söder öffentlich streiten, regelt Olaf Scholz gemeinsam mit der Kanzlerin die politische­n Herausford­erungen in diesem Land.“

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Fotos: dpa/Montage cim Freundscha­ftlich wollen Armin Laschet (links) und Markus Söder die Frage der Kanzlerkan­didatur lösen. Doch am Montag wurde klar: Völlig geräuschlo­s wird das kaum funktionie­ren.

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