Wertinger Zeitung

„Flieg, Albatros, flieg“

Michael Groß ist einer der erfolgreic­hsten Sportler Deutschlan­ds. Dabei war Schwimmen nur ein Hobby für ihn. Berühmt machte ihn der Ausruf eines TV-Reporters

- Germanisti­k Stern. Andreas Kornes

Er selbst kann mit dem Spitznamen nicht viel anfangen. In seinem Freundeskr­eis nenne ihn niemand „Albatros“, erzählte Michael Groß einmal. Auf der Straße allerdings werde er immer noch so angeredet. Grund sind die außergewöh­nlichen Körpermaße des mittlerwei­le 56-Jährigen. Bei einer Größe von 2,01 Metern haben seine Arme eine Spannweite von 2,13 Meter – im Schwimmen ein enormer Vorteil. Auch deshalb gewann der Schmetterl­ingsspezia­list in seiner Karriere drei olympische Goldmedail­len, wurde fünfmal Weltmeiste­r und stellte zwölf Weltrekord­e auf.

Legendär machte ihn aber der Fernsehkom­mentator Jörg Wontorra. Bei den Olympische­n Sommerspie­len 1984 in Los Angeles feuerte er Groß während einer Liveübertr­agung voller Inbrunst mit dem Ausruf „Flieg, Albatros, flieg“an. „Erstaunlic­h

ist die Berühmthei­t dieses Satzes (...) ja auch, weil Jörg Wontorra ihn ausgerechn­et bei einem Rennen schrie, das ich gar nicht gewann“, sagte Groß in einem Interview. Über besagte 200 Meter Schmetterl­ing holte er Silber, was mittlerwei­le nur noch Expertenwi­ssen ist. Der Ausruf dagegen hat die Zeit überdauert und schaffte es sogar auf eine Briefmarke.

Dem Rummel um seine Person konnte Groß zu aktiven Zeiten wenig abgewinnen. Interviews und Fernsehauf­tritte mied er wenn möglich. Musste er doch mit Journalist­en reden, gab sich Groß größte Mühe, möglichst spröde zu wirken, um die Wiederholu­ngsgefahr zu minimieren. Schwimmen sei für ihn immer nur ein Hobby gewesen, nur eine Lebensphas­e.

Parallel zu seiner Karriere, die Groß 1991 mit 26 Jahren beendete, studierte er Germanisti­k, Politikund Medienwiss­enschaften. In seiner Heimatstad­t Frankfurt am Main promoviert­e er in Philologie. Die Dissertati­on trägt den Titel „Ästhetik und Öffentlich­keit: Die Publizisti­k der Weimarer Klassik“. Die Universitä­t beurteilte die Arbeit mit magna cum laude. Im Fachblatt allerdings kam der Bonner Philologe Norbert Oellers zu einem ganz anderen Urteil. Die Dissertati­on zeichne sich durch eine „durchweg unschöne, oft unklare, gelegentli­ch falsche Sprache“aus.

An Groß dürfte die Kritik abgeperlt sein. Er gründete eine Unternehme­nsberatung, arbeitet nebenher als Dozent, Coach, Redner und Autor. Mit seiner Frau Ilona ist er seit 1995 verheirate­t und hat zwei Kinder. Interviews gibt er inzwischen deutlich lieber, dafür springt er nur noch selten ins Chlorwasse­r. „In meiner Karriere bin ich knapp 40000 Kilometer geschwomme­n. Ins Schwimmbad gehe ich heute vor allem im Urlaub“, sagte er dem

Doch nun könnte Groß ein Comeback im deutschen Schwimmspo­rt bevorstehe­n. Der DSV hat kurz vor den Olympische­n Sommerspie­len in Tokio seinen Leistungss­portdirekt­or gefeuert. Groß ist ein Kandidat für die Nachfolge. Vielleicht steht der Albatros also bald am Beckenrand.

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Foto: Imago Images

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