Wertinger Zeitung

Sticheln und Stänkern

Union Wer wird Kanzlerkan­didat? Armin Laschet und Markus Söder liefern sich am Montag ein denkwürdig­es Fernduell. Während Laschet auf eine schnelle Einigung dringt, spielt Söder auf Zeit. Es ist ein Politspekt­akel, das nicht nur die beiden massiv beschädi

- VON ULI BACHMEIER UND STEFAN LANGE

Berlin/München Wissen die beiden, was sie da tun? Weiß Markus Söder, was er da tut? In CDU und CSU hat am Morgen nach dem sonntäglic­hen Laschet-Söder-Spektakel in Berlin das große Zittern begonnen. Hinter der offizielle­n Rhetorik, dass es doch eine feine Sache für die Union sei, zwischen zwei möglichen Kanzlerkan­didaten wählen zu können, macht sich am Montag die Sorge breit, dass auch der Sieger des offenen Duells am Ende angeschlag­en in den Bundestags­wahlkampf ziehen wird. Wer also wird um die Nachfolge von Angela Merkel kämpfen? Der bayerische Ministerpr­äsident oder der von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet? Am Abend dieses turbulente­n Tages sieht es danach aus, dass die Entscheidu­ng noch auf sich warten lässt.

Gleich in der Früh versucht Ralph Brinkhaus, der Vorsitzend­e der Unionsfrak­tion im Bundestag, noch einmal, Optimismus zu verbreiten. „Wir haben ein Luxusprobl­em“, sagt er im ARD-„Morgenmaga­zin“. Nicht wenige in CDU und CSU halten das für Schönredne­rei. Nach ihrer Lesart hat sich die Union in eine Sackgasse manövriert. Nicht einmal in der CSU sind alle davon überzeugt, dass Parteichef Markus Söder richtig gehandelt hat. Er habe gewusst, „dass Laschet unbedingt will“. Das ganze Theater – erst Verzögern und Verschlepp­en, dann Sticheln und Stänkern und zuletzt den großen Zampano markieren – sei unnötig gewesen. Es schade nicht nur der Union insgesamt, sondern auch der CSU.

„Alles nur“, so sagt ein ehemals führender CSU-Mann, „weil Söder auf dem Egotrip ist und sich nicht eingestehe­n kann, dass er Laschet den Vortritt lassen muss.“Der Union beschere das „einen miserablen Start in den Bundestags­wahlkampf“. Auch die CSU in Bayern werde zu spüren bekommen, was es bedeute, „mit einer ramponiert­en CDU“in den Bundestags­wahlzu ziehen. Für die bevorstehe­nde Wahlkampag­ne sei das eine schwere Hypothek. „Ausgerechn­et die einst so chaotische­n Grünen machen uns vor, was Harmonie und Geschlosse­nheit bedeutet. Wir können nur versuchen, das Chaos mit schönen Worten zu kaschieren.“

Als Armin Laschet vor dem Hintergrun­d dieser Gemengelag­e am Montagmorg­en in die CDU-Zentrale geht, ist er nicht wirklich siegessich­er. Zu sehr nagt noch die Kampfansag­e von Markus Söder an ihm, der tags zuvor seine Bereitscha­ft erklärt hat, auch Kanzlerkan­didat der Union zu werden. Laschet ist getroffen, er weiß, dass er nun schnell die Unterstütz­ung seiner Mannschaft braucht, um die Sache noch zu einem guten Ende zu bringen. Der Dringlichk­eit und Wichtigkei­t angemessen, hat er das Parteipräs­idium zur Präsenzver­anstaltung gebeten. Vor dem Konrad-AdenauerHa­us lungert die Journalist­enmeute. Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner ist eine der ersten, die sich vor die Mikrofone stellt – und die zur ersten Enttäuschu­ng für Laschet an diesem Tag wird.

Klöckner ist nicht nur Ministerin, sie ist auch stellvertr­etende CDUVorsitz­ende. Sie könnte sich an diesem kalten Morgen hinstellen und die Hand für ihren Chef heben. „Armin Laschet soll Kanzler werden“, könnte Klöckner sagen. Sie müsste es sogar sagen, um das Durcheinan­der in der Partei zu beenden, um Klarheit zu schaffen und die CSU in die Schranken zu weisen. Viel zu lange schon haben sie und die anderen CDU-Granden geschwiege­n.

Doch Klöckner sagt nichts dergleiche­n. „Wir sind in Zeiten, die sehr unsicher sind. Da hätte man gerne Klarheit. Und dafür werden wir auch sorgen“, erklärt sie lediglich, um dann in den Sitzungssa­al zu eilen. Ein Kreuz hängt dort an der Wand, ein wenig Frieden täte der CDU und der Union gerade gut.

Die Rebellion einzelner Bundestags­abgeordnet­er, Söders Auflehnung gegen ihn – all das hat Laschet demontiert. Erinnerung­en werden wach an seine Vorgängeri­n Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die ebenfalls von Einzelmein­ungen zermürbt wurde und dann entnervt hinschmiss. Doch Entspannun­g gibt es für Laschet auch im weiteren Verlauf des Tages nicht.

Das Präsidium stellt sich zwar hinter den CDU-Vorsitzend­en. Man habe Laschet bedeutet, „dass wir ihn für außergewöh­nlich geeignet halten und ihn gebeten, mit Markus Söder jetzt gemeinsam den weiteren Weg zu besprechen, wie wir das machen“, erklärt der hessische Ministerpr­äsident und Parteivize Volker Bouffier. Teilnehmer berichten, dass sich fast alle Präsidiums­mitglieder zu Wort gemeldet haben und mehrere von ihnen deutlich gemacht hätten, dass die aktuellen Umfragen nicht die Entscheidu­ng über die Kandidaten­frage bestimmen sollten.

Das ist ein Seitenhieb gegen Markus Söder, der seine Kandidatur unter anderem mit dem Hinweis auf sinkende Umfragewer­te der Union und starke persönlich­e Werte für sich selbst begründet hatte. Doch das Präsidium stimmt nicht ab, die CDU-Spitze fasst keinen klaren Beschluss. Eine Abstimmung war zwar nicht vorgesehen, sie hätte aber das entscheide­nde Signal sein können. Die CDU jedoch verhält sich wie ein Fußballspi­eler, der frei vorm Tor steht und das Spiel entscheide­n könnte, zum Torschuss aber nicht genug Courage hat.

Das Trauerspie­l geht anschließe­nd im Bundesvors­tand weiter. Tilman Kuban, Chef der Jungen Union und einst ein Unterstütz­er von Friedrich Merz, fordert „eine schnelle Entscheidu­ng jetzt“. Kuban sagt auch: „Wir sollten heute Armin Laschet ein starkes Verhandlun­gsmandat geben und geschlosse­n sein.“Doch auch der CDU-Vorstand traut sich nicht.

Und deren Generalsek­retär Paul Ziemiak? Setzt zumindest einen Stich gegen Söder. Spricht nicht nur von der „breiten Unterstütz­ung“für Laschet, sondern ergänzt: „Es geht um die Fähigkeit zu führen, aber auch um die Fähigkeit zusammenzu­führen.“Ein Kanzlerkan­didat brauche Integratio­nskraft – die habe Armin Laschet. Umgekehrt heißt das wohl: Söder hat sie nicht.

Laschet spricht nach Ziemiak, gibt sich betont kämpferisc­h und hält eine Art Bewerbungs­rede, die offenbar Richtung München adressiert ist. „Man muss Politik aus eikampf nem Grundverst­ändnis heraus machen, das nicht auf Umfragen schaut“, kontert er Söders Bemerkung vom Sonntag. Und er lenkt geschickt auf kommende Zeiten, in denen wohl andere Qualitäten gefragt sind als ein lautstarke­s CoronaMana­gement. „Was passiert eigentlich nach der Pandemie?“, fragt Laschet und nennt Themen wie Europa, das Klima oder die wirtschaft­liche Lage. Laschet spricht es nicht aus, aber die Botschaft kommt an: Das sind Probleme, die nur er lösen kann.

Sein aktuell größtes Problem bleibt indes bestehen. „Wir haben verabredet, dass das CDU-Präsidium heute keinen Beschluss fasst, sondern dass wir ein Meinungsbi­ld einholen“, bekräftigt der Aachener. Nun wolle man sehr schnell mit der CSU sprechen und eine gemeinsame Lösung finden. Wann diese auf dem Tisch liegen wird, vermag Laschet nicht zu sagen. „Es muss nicht heute sein. Es sollte nur sehr bald sein“, sagt er.

In der CSU hatten nicht wenige insgeheim auf einen einstimmig­en Beschluss für Laschet gehofft. Damit könnte Söder seine Zusage wahr machen und auf die Kanzlerkan­didatur verzichten – ohne Gesichtsve­rlust und ohne der Union weiteren Schaden zuzufügen. Jetzt, kurz vor der Sitzung des CSU-Vorstands am Montagnach­mittag in München, misstrauen sogar viele aus den Reihen derer, die Söder für den besseren und erfolgvers­prechender­en Kandidaten halten, ihrem eigenen Vorsitzend­en. Den Streit auf die Spitze zu treiben und Laschet eine Niederlage zuzufügen, so sagen sie, hätte unweigerli­ch eine neuerliche Schwächung der ohnehin schwer angeschlag­enen Schwesterp­artei CDU zur Folge. Über kurz oder lang müsste Laschet den Parteivors­itz wieder abgeben und die Richtungsk­ämpfe in der CDU würden neu entflammen. Unter diesen Bedingunge­n in den Bundestags­wahlkampf zu ziehen, könne auch ein Spitzenkan­didat Söder nicht wollen.

Nach dem einhellige­n Votum der CDU-Führung sei zudem klar, „dass die Messe jetzt gelesen ist“, sagt ein altgedient­er CSU-Mann. „Söder hat eine Zusage gegeben. Daran sollte er sich jetzt halten.“

Seine treuesten Unterstütz­er und auch die, die ihn aus weniger hehren Motiven lieber in Berlin sehen würden, halten dagegen. Bis zur heißen Phase des Wahlkampfs, so argumentie­ren sie, werde noch viel Zeit ins Land gehen. Das kurze Hickhack sei schnell wieder vergessen. Und wenn die Union sich geschlosse­n hinter Söder stelle, könne man das Ruder auch wieder herumreiße­n. Er sei eindeutig der bessere Kandidat. Außerdem wisse ohnehin niemand, was bis zum Herbst noch alles passiere.

Einige Opposition­spolitiker in Bayern beobachten den Zank in der Union am Montag fast schon mit Vergnügen. „Die Union hat doch das Problem, dass keiner der Kandidaten Begeisteru­ngsstürme auslöst“, sagt Martin Hagen, Fraktionsc­hef der FDP im Landtag. Sein Kollege Ludwig Hartmann von den Grünen sieht das ähnlich: „Für uns Grüne ist es letztlich egal, ob Söder oder Laschet.“

SPD-Landeschef­in Natascha Kohnen dagegen hat wenig Verständni­s für die Personalde­batte: „Die Union sollte das jetzt schnell klären, damit wir den Menschen in der Corona-Politik wieder Sicherheit geben können. Deshalb sage ich: Zurück zur Sachpoliti­k!“Ähnlich äußert sich der Bundesvors­itzende der Grünen, Robert Habeck. Ihm liege nichts an Streitigke­iten bei CDU und CSU um die Kanzlerkan­didaten-Frage. „Wir brauchen eine handlungsf­ähige konservati­ve Partei in Deutschlan­d“, sagt er. „Deshalb haben wir kein Interesse am Versinken der Union in ihren eigenen Querelen.“

Dass der Machtkampf in der Union ein schnelles Ende finden wird, zeichnet sich am späten Nachmittag allerdings nicht ab. Aus der laufenden Sitzung des CSU-Präsidiums heißt es, Söder halte „mit Wucht“an seiner Bewerbung um die Kandidatur fest. Er mache keinerlei Anstalten, zugunsten des CDU-Vorsitzend­en zu verzichten und schwöre die CSU-Führung mit Nachdruck auf seinen Kurs ein. Widerspruc­h habe es nicht gegeben. Kurz vor der Pressekonf­erenz fasst ein Teilnehmer das Ergebnis des Tages so zusammen: „CDU für Laschet, CSU für Söder.“

Kurz nach 16.30 Uhr kommen Markus Söder und CSU-Generalsek­retär Markus Blume zur Pressekonf­erenz. Blume sagt: „Heute ist nicht der Tag der Entscheidu­ng, sondern der Beginn der Beratung.“Das CSU-Präsidium habe eindeutig für Söder votiert. Man habe Respekt vor Armin Laschet, aber Söder sei aus Sicht der CSU der „bestgeeign­ete Kandidat“, sagt Blume. Und es gebe „eine Mehrheitsm­einung in der deutschen Bevölkerun­g“. Damit ist klar, dass Söder weiterhin auf seinen Vorsprung in den Umfragen setzt und die Hoffnung, in der CDU damit durchzudri­ngen, noch nicht aufgegeben hat.

Söder räumt ein, dass die Situation für die Union „nicht einfach“sei. Er wertet die Ergebnisse der Sitzungen bei CDU und CSU als „wichtiges Signal“, weist aber darauf hin,

Die CDU verhält sich wie ein Kicker vorm freien Tor

Die Opposition beobachtet das alles fast mit Vergnügen

dass es „auch andere Signale“aus Landesverb­änden der CDU gebe. Den Vorwurf, er halte seine Zusage nicht ein oder er sei gar „wortbrüchi­g“geworden, lässt Söder nicht gelten. Er habe immer gesagt, dass es ihm „um eine breite Mehrheit“in der Union gehe. „Wir brauchen keinen endlosen Prozess, aber einen zielführen­den“, sagt er. Weder das Präsidium der CDU noch das der CSU hätten einen Beschluss gefasst. Nun sei es auch wichtig, andere Stimmen zu hören – aus der Unionsfrak­tion im Bundestag zum Beispiel und auch „von der Basis“. Eine Mitglieder­befragung allerdings soll es nicht geben. Dafür sei die Zeit bis zur Wahl zu kurz.

Sein zentrales Argument spart sich der CSU-Vorsitzend­e bis zum Schluss der Pressekonf­erenz auf. Nicht auf seine oder die persönlich­en Ambitionen von Laschet komme es an. „Es gibt nur ein echtes Problem“, sagt Söder, „ob am Ende unsere Entscheidu­ng und unser Angebot von den Wählerinne­n und Wählern gut akzeptiert wird.“Eine schnelle Einigung zu erzielen, sei nicht unbedingt entscheide­nd. „Auch bei erfolglose­n Wahlen sind Kandidaten vorher einstimmig nominiert worden.“

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Fotos: Sean Gallup, Lukas Barth, Getty Images Bayerns Ministerpr­äsident und CSU‰Chef Markus Söder: Aus der laufenden Sitzung des CSU‰Präsidiums heißt es, er halte „mit Wucht“an seiner Bewerbung um die Kandidatur fest.
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Nordrhein‰Westfalens Ministerpr­äsident und CDU‰Chef Armin Laschet hält am Montag eine Art Bewerbungs­rede um die Kanzler‰ kandidatur, die offenbar Richtung München adressiert ist.

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