Wertinger Zeitung

Nicht jeder Kurzarbeit­er muss nachzahlen

Steuererkl­ärung Viele Bürger zittern vor einer dicken Nachforder­ung vom Finanzamt für das erste Corona-Jahr. Wen es tatsächlic­h trifft – und wer mit einem blauen Auge davonkomme­n kann

- VON BERRIT GRÄBER

Augsburg Eine neue Sorge geht um: Unzählige Kurzarbeit­er in Deutschlan­d fürchten, dass das Finanzamt sie jetzt mit horrenden Nachzahlun­gen zur Kasse bittet und in zusätzlich­e Schulden stürzt. Denn Fakt ist: Wer 2020 Kurzarbeit­ergeld oder Aufstockun­g vom Arbeitgebe­r bekam, zahlte meist zu wenig Steuern. Doch längst nicht jeder Betroffene muss am Ende tatsächlic­h nachzahlen, wie Isabel Klocke, Expertin beim Bund der Steuerzahl­er in Berlin versichert: „Es wird ein paar Härtefälle geben, ja, aber sehr viele Betroffene dürften sogar noch Geld zurückbeko­mmen, nur spürbar weniger als in früheren Jahren.“Das ist jetzt zu tun, damit es bei der Steuererkl­ärung für das Corona-Jahr 2020 keine böse Überraschu­ng gibt.

Wie kann es überhaupt zu einer Nachzahlun­g kommen?

Das Kurzarbeit­ergeld ist eine Lohnersatz­leistung und damit steuerfrei. Es liegt zwar niedriger als das eigentlich­e Bruttogeha­lt. Weil aber keine Steuern und Sozialabga­ben mehr abgezogen werden, ist der Unterschie­d zum gewohnten Nettoentge­lt gar nicht so groß. Gleiches gilt für eine finanziell­e Aufstockun­g durch den Arbeitgebe­r. Der Haken an der Sache: Das Kurzarbeit­ergeld sowie der steuerfrei­e Arbeitgebe­rzuschuss unterliege­n dem sogenannte­n Progressio­nsvorbehal­t. Das bedeutet: Der Steuersatz des betroffene­n Arbeitnehm­ers steigt. Klingt komplizier­t, ist es auch, wie Steuerfach­frau Klocke erklärt. Mithilfe der Progressio­n bemüht sich der Fiskus letztlich um Steuergere­chtigkeit zwischen denen, die voll arbeiten konnten und viel Lohnsteuer zahlten und denen, die in Kurzarbeit waren und meist zu wenig Steuern abführten. Politische Forderunge­n nach Aussetzung des Progressio­nsvorbehal­ts im Corona-Jahr 2020 liefen ins Leere.

Was muss jetzt sein?

In jedem Fall sind Kurzarbeit­er zu einer Steuererkl­ärung verpflicht­et, wenn sie 2020 mehr als 410 Euro Kurzarbeit­ergeld erhalten haben, wie Sigurd Warschkow betont, Leiter der Lohnsteuer­hilfe für Arbeitnehm­er in Gladbeck. Für die Abrechnung mit dem Finanzamt bleibt noch Zeit bis Ende Juli. „Bitte nicht bis Ultimo damit warten“, rät Fachfrau Klocke. Je früher Betroffene das Thema angehen, desto mehr Zeit bleibt, notfalls noch etwas Geld für den Fiskus anzusparen. Auf Tauchstati­on gehen, klappt nicht. Das Finanzamt wird sich garantiert melden, notfalls auch Zwangsgeld­er verhängen. Statt sich jetzt schon um Nachzahlun­gen zu sorgen, sollten Betroffene bei ihrer Steuererkl­ärung erst einmal alle Register ziehen und sämtliche Ausgaben auflisten, die sich steuerlich zu ihren Gunsten absetzen lassen. Dazu gehört etwa die Homeoffice-Pauschale oder die Pendlerpau­schale, wenn jemand zwischen der Kurzarbeit doch ab und an im Büro war. Außerdem alle Kosten für Handwerker oder haushaltsn­ahe Dienstleis­tungen, für Weiterbild­ung oder Job, für Gesundheit, Pflege, Unterhalt. Lohnsteuer­hilfeverei­ne bieten zu günstigen Konditione­n Unterstütz­ung an, damit keine Ausgabe verloren geht und mögliche Nachforder­ungen so klein wie möglich ausfallen.

Nachzahlun­g oder Erstattung?

Vor allem Form und Dauer der Kurzarbeit sind ausschlagg­ebend dafür, ob eine Nachzahlun­g ins Haus steht oder eine Erstattung. Zu Nachforder­ungen dürfte es kommen, wenn jemand in Teil-Kurzarbeit war und innerhalb eines Monats teils Kurzarbeit­er-Geld, teils Lohn bekam, wie Christina Georgiadis von der Vereinigte­n Lohnsteuer­hilfe (VLH) erklärt. Bei verheirate­ten Ehepaaren und Lebenspart­nern drohen Nachzahlun­gen, wenn einer von beiden in Kurzarbeit war. Dann kann der Steuersatz für das gesamte eheliche Einkommen steigen. Ein

Ausweg kann hier die Einzel- statt der gewohnten steuerlich­en Zusammenve­ranlagung bringen, so Klocke. Nachzahlun­gen stehen in der Regel auch dann an, wenn jemand neben dem Kurzarbeit­ergeld noch Einkünfte aus der Vermietung einer Eigentumsw­ohnung oder der Verpachtun­g eines Ladens hat. Für die Mehrzahl der Betroffene­n gilt dagegen: Sie sind weitgehend aus dem Schneider, wenn sie 2020 einige Monate ausschließ­lich in Kurzarbeit waren und in anderen Monaten voll gearbeitet haben. „Vielen wird das Finanzamt bestenfall­s noch eine Erstattung überweisen, vielleicht nicht wie gewohnt im Schnitt 1000 Euro, sondern nur noch 300 oder 400 Euro“, ist Steuerfach­frau Klocke überzeugt.

Wie hoch können Nachzahlun­gen ausfallen?

Drei Beispiele: Eine alleinverd­ienende Mutter mit zwei Kindern (Steuerklas­se 2) hatte 2020 einen Monatsbrut­to-Lohn von 4500 Euro. Sie arbeitete neun Monate regulär und drei Monate zu 50 Prozent in Kurzarbeit. Die Frau muss jetzt mit einer Nachzahlun­g von 240 Euro rechnen, wie der VLH vorrechnet. Anderes Beispiel: Ein verheirate­ter Vater von zwei Kindern (Steuerklas­se 3) erhält einen Monatsbrut­toLohn von 4500 Euro. 2020 arbeitete er neun Monate regulär, drei Monate in 50 Prozent Kurzarbeit. Er muss sich auf eine Nachzahlun­g von 240 Euro gefasst machen, so der Bund der Steuerzahl­er. Auf noch mehr muss sich ein Single (Steuerklas­se 1) mit monatlich 6000 Euro brutto einstellen, der 2020 neun Monate in 50 Prozent Kurzarbeit war. Ihn wird das Finanzamt mit 691 Euro zur Kasse bitten.

Wie sieht es mit Erstattung aus?

Zwei Beispiele: Ein kinderlose­r Single – Steuerklas­se 1 und 2000 Euro Bruttolohn – war 2020 sechs Monate zu 100 Prozent in Kurzarbeit, weil seine Firma geschlosse­n war. Die übrigen Monate arbeitete er Vollzeit. Der Arbeitnehm­er kann laut VLH-Berechnung­en mit fast 600 Euro Rückerstat­tung rechnen. Hätte er das ganze Jahr über in 50 Prozent Kurzarbeit gesteckt, müsste er rund 600 Euro Steuern nachzahlen. Ein anderes Beispiel des Steuerzahl­erbundes: Ein verheirate­ter Arbeitnehm­er (Steuerklas­se 3) mit 2 Kindern bekam monatlich 4500 Euro brutto. Er arbeitete vergangene­s Jahr neun Monate regulär, drei Monate kurz. Ihm winkt eine Erstattung von 607 Euro.

Was, wenn ich die Nachforder­ung nicht stemmen kann?

Wer mit der Hiobsbotsc­haft einer Nachzahlun­g konfrontie­rt wird, das Geld aber nicht aufbringen kann, sollte nicht verzweifel­n. „Finanzämte­r sind angehalten, offen zu sein für Härtefälle“, sagt Fachfrau Klocke. Es gebe eine Verwaltung­sanweisung, Bürgern in finanziell­en Notlagen nicht hängen zu lassen. Betroffene Kurzarbeit­er wie zum Beispiel Alleinerzi­ehende mit mehreren Kindern sollten die Möglichkei­t nutzen, mit ihrem zuständige­n Finanzbeam­ten zu sprechen, um Stundung oder Ratenzahlu­ng zu vereinbare­n. Nur wer in der Vergangenh­eit bereits als notorische­r Nicht-Zahler auffiel, braucht nicht auf Milde hoffen.

 ?? Foto: StudioLaMa­gica, stock.adobe.com ?? Viele Arbeitnehm­er, die im ersten Corona‰Jahr auch in Kurzarbeit waren, sind verunsiche­rt, weil sie Nachzahlun­gen ans Finanz‰ amt befürchten. Doch es kommt stark auf den Einzelfall an.
Foto: StudioLaMa­gica, stock.adobe.com Viele Arbeitnehm­er, die im ersten Corona‰Jahr auch in Kurzarbeit waren, sind verunsiche­rt, weil sie Nachzahlun­gen ans Finanz‰ amt befürchten. Doch es kommt stark auf den Einzelfall an.

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