Wertinger Zeitung

„EM in zwölf Ländern ist verantwort­ungslos“

Interview Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach räumt zwar ein, dass er sich getäuscht hat, was den Profifußba­ll betrifft. Aber er warnt weiter vor Reisen durch Europa, Spielen mit Zuschauern und zu frühen Öffnungen im Amateurspo­rt

- Interview: Benjamin Kraus

Herr Lauterbach, die Zahl der Coronafäll­e im Profifußba­ll stieg zuletzt massiv. Woran liegt das? Lauterbach: Das ist einfach: An der neuen Variante B .1.1.7, die sehr viel ansteckend­er ist. Viel kürzere Verweildau­ern in Duschkabin­en, Hotelzimme­rn oder Gesprächsr­äumen reichen nun für Infektione­n. Wir haben jetzt eine Situation, in der auch Fußballer häufiger – und schwerer – erkranken werden.

Werden nun mehr Fälle erkannt, weil die DFL-Klubs angehalten sind, noch mehr zu testen?

Lauterbach: Nein, die höhere Testfreque­nz spielt keine Rolle. Die vom Start weg regelmäßig verwendete­n PCR-Tests sind sehr zuverlässi­g und dürften schon zuvor nahezu jeden Fall entdeckt haben.

Haben jüngste Reisen zu Länderspie­len die Virusausbr­eitung im Profifußba­ll befördert?

Lauterbach: Das kann ich schlecht einschätze­n – wobei ich mir schon vorstellen kann, dass sie eine Rolle gespielt haben. Das größere Risiko liegt aber sicherlich im privaten Bereich.

Wie groß ist das Gesundheit­srisiko für die Profis?

Lauterbach: Ein tödlicher Verlauf ist bei ihrer Fitness und in ihrem Alter sehr unwahrsche­inlich. Aber das Long-Covid-Risiko ist real: chronische Müdigkeit und Erschöpfun­g nach Belastunge­n sowie Herz- und Gefäßprobl­eme, die als gesundheit­liche Langzeitsc­häden das sofortige Karriereen­de bedeuten können. Neuere Studien zeigen: Das LongCovid-Risiko liegt in der Altersgrup­pe von Fußballern bei zehn Prozent. Es gibt keine speziellen Daten zu Profisport­lern, aber wir wissen etwa von Ausdauersp­ortlern und Mannschaft­ssportlern, die, zuvor topfit, nun massiv an Long-Covid leiden. Dies muss man Menschen, deren Gesundheit ihr Kapital ist, ehrlich mitteilen.

Und dann? Könnten Sie sich vorstellen, dass Profifußba­ller nicht mehr antreten für ihren Verein?

Lauterbach: Vorstellen kann ich mir das schon. Klar, sie sind ehrgeizig, stehen unter Druck. Aber das gilt für alle Arbeitnehm­er, die in der Pandemie ihrem Job nachgehen und sich Risiken aussetzen.

Wenn nun mehr Fälle auftreten – müsste nicht das DFL-Hygienekon­zept verschärft werden?

Lauterbach: Ich glaube nicht, dass dieses Konzept noch wesentlich verschärft werden kann. Man wird mit der gestiegene­n Zahl der Infektione­n im Profifußba­ll leben müssen. Wichtig ist: Das Konzept darf jetzt keinesfall­s aufgeweich­t werden. Bei nachgewies­enen Fällen muss es, wie zuletzt mehrfach in der 2. Bundesliga, zwingend zu Spielabsag­en kommen.

Aus Sicht eines integren Wettbewerb­s könnte das zunehmend problemati­sch werden: mit steigendem Termindruc­k oder wenn am letzten Spieltag alle Partien gleichzeit­ig laufen sollten, um Schieberei­en zu vermeiden. Lauterbach: Ich kann nur wiederhole­n: Wenn Fälle im Mannschaft­skreis entdeckt werden, müssen Spiele immer zwingend ausfallen.

Könnten verpflicht­ende Quarantäne­Trainingsl­ager für Profiteams helfen, im Saisonfina­le Corona einzudämme­n?

Lauterbach: Das könnte ein taugliches Mittel sein, wenn die Quarantäne strikt eingehalte­n wird und alle Beteiligte­n täglich getestet werden.

Viele Fußball-Beobachter irritiert, dass manchmal nur einzelne Spieler und manchmal ganze Teams in Quarantäne müssen. Warum ist das so? Lauterbach: Das kann ich auch nicht gut erklären – die zuständige­n lokalen Gesundheit­sämter sind hier sehr unterschie­dlich vorgegange­n. Eigentlich ist die Regel klar, dass ganze Teams oder Spieleinhe­iten in Isolation gehen müssen, wenn Fälle in ihrem Kreis auftreten.

Wie sehen Sie grundsätzl­ich den Weg, den der Fußball in Coronazeit­en eingeschla­gen hat?

Lauterbach: Man muss sagen, dass der Profibetri­eb zu Beginn der Pandemie schnell gelernt hat. Vom Hygieneund Geisterspi­elkonzept war ich zuerst nicht so sehr angetan. Aber ich erkenne an, dass ich mich da getäuscht hatte, weil es lange wirklich respektabe­l funktionie­rt hat. Als problemati­sch empfand ich zuletzt, dass wegen Corona-Restriktio­nen gefährdete internatio­nale Spiele ins Ausland verschoben wurden: an Orte mit nicht belastbare­n Inzidenzza­hlen und in Zeiten, wo Reisen eingeschrä­nkt stattfinde­n sollten. Im Großen und Ganzen hat der Profifußba­ll seinen Test bestanden. Die Spiele im TV liefern den Fans zumindest ein wenig Normalität und Ablenkung – und dass sie als Geisterspi­ele ohne Zuschauer im Stadion ausgetrage­n werden, sendet genau das richtige Signal.

Zuletzt strebten immer mehr SportStand­orte eine Zuschauer-Teilzulass­ung über Modellvers­uche an. Lauterbach: Die Bundesregi­erung wird nun per Gesetz Modellvers­uche aller Art ausschließ­en an Orten, an denen die Sieben-Tage-Inzidenz über 100 liegt. Zuletzt haben wir oft – gerade auch abseits des Sports – die Etablierun­g von Alibi-Modellvers­uchen gesehen, die vielmehr Lockerunge­n durch die Hintertür waren. Modellvers­uche müssen wissenscha­ftlichen Ansprüchen genügen. Rigoroses Testen, gute methodisch­e Konzeption und Begleitung, die Etablierun­g einer Kontrollgr­uppe: All das fehlte bis dato meist.

Uefa-Chef Aleksander Ceferin drängt darauf, dass zur EM ab Juni möglichst viele Zuschauer zugelassen werden – bei einem Event in zwölf Ländern, bei dem die Teams kreuz und quer durch Europa reisen sollen. Was halten Sie von diesen Plänen?

Lauterbach: Nichts. Das ist verantwort­ungslos.

Bayern-Vorstandsc­hef Karl-Heinz Rummenigge hatte vor einiger Zeit angeregt, Profis zu impfen als Vorbilder für die Bevölkerun­g – ein Vorschlag, von dem man nichts mehr gehört hat. Lauterbach: Ich halte ihn auch nach wie vor für abwegig. Fußballsta­rs sind dann Vorbilder, wenn sie den Rest der Bevölkerun­g durch den Lockdown begleiten, sich wie alle an die Regeln halten und alles dafür tun, sich nicht zu infizieren.

Viele Kreisliga-Kicker beklagen das Verbot ihres Hobbys. DFB-Mannschaft­sarzt Tim Meyer sagt, es gebe keinen nachgewies­enen Corona-Übertragun­gsfall während des Spiels selbst. Ist dieses Argument noch haltbar? Lauterbach: Das ist schwer einzuschät­zen, weil es nach wie vor keinerlei Studien dazu gibt. Was mich überrascht: Die Deutsche FußballLig­a hat bis dato nie sauber in einem Experiment untersuche­n lassen, wie groß das Infektions­risiko in einem Fußballspi­el wirklich ist. Das hat nie stattgefun­den, obwohl ein solches Experiment mit Kontrollgr­uppen absolut machbar ist. Grundsätzl­ich ist das Ansteckung­srisiko in Kabinen, Duschen und bei der Anreise größer als beim Fußball selbst. Das sind zudem Dinge, die in der Breite kaum zu kontrollie­ren sind.

Müsste man das Teamsport-Verbot nicht lockern, um der fehlenden Bewegung in weiten Teilen der Bevölkerun­g entgegenzu­wirken? Damit nicht höhere Folgekoste­n für das Gesundheit­ssystem drohen als durch die Pandemie? Lauterbach: Nein, diese Sichtweise ist verkürzt und überzeugt nicht. Jeder Mannschaft­ssportler ist selbst in der Lage, sich so fit zu halten, dass er seine Gesundheit erhält. Auf dem Ergometer, beim Joggen, Fahrradfah­ren oder Ähnliches. All das ist unbedenkli­ch in Bezug auf Corona.

Welche Perspektiv­e hat für Sie dann die Rückkehr des Mannschaft­ssports? Lauterbach: Zuerst müssen wir die Infektions­zahlen dauerhaft deutlich unter 100 drücken: Mit der konsequent­en Durchsetzu­ng der Notbremse, dem Lockdown und Ausgangssp­erren. Auch die von mir vorgeschla­gene maximale Ausreizung der Zeitspanne bis zur Zweitimpfu­ng würde helfen, die Zahlen zu senken, weil mehr Leute schneller eine höhere Immunität erhalten. Die Senkung der Zahlen ist zwingende Voraussetz­ung für jede Lockerung. Gelingt sie, könnte zuerst der Freiluftsp­ort zurückkehr­en. Draußen an der frischen Luft ist das Ansteckung­srisiko viel niedriger als beim Hallenspor­t, wo ausgeatmet­e Aerosole in der Luft des geschlosse­nen Raumes stehen bleiben. Auch Freiluft-Fußball kann ich mir vorstellen, wenn vorher jeder Spieler einen Antigentes­t absolviert, den unbeteilig­te Dritte abnehmen. Das wäre eine Idee, die man vielleicht im Amateurspo­rt ausprobier­en könnte.

● Karl Lauterbach

Der SPD‰Politiker und Mediziner ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestage­s und als Harvard‰Pro‰ fessor ein ausgewiese­ner Gesund‰ heitsexper­te. Der 58‰Jährige hat frü‰ her Fußball gespielt und Kampf‰ sport betrieben, bis heute spielt er zweimal die Woche Tischtenni­s und hält sich durch Joggen fit.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa „Ich war vom Hygiene‰ und Geisterspi­elkonzept zuerst nicht so sehr angetan, doch ich erkenne an, dass ich mich da getäuscht habe“, sagte Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach zur Situation im Profifußba­ll in Corona‰Zeiten.

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