Wertinger Zeitung

Spazieren im Homeoffice-Look?

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Das wird ein Spektakel: Wenn die postpandem­ische Bevölkerun­g wieder regelmäßig das Haus verlassen muss; wenn Kinder lernen müssen, dass Schule ein regelmäßig wiederkehr­endes Ereignis ist. Fünf Mal die Woche sogar; wenn die Schminke wieder ausgepackt wird und erst einmal jeder für sich herausfind­en muss, welches Pulver denn wofür war. Auch die schicken Büro-Klamotten verlassen dann ihr Schrank-Exil. Die erste Frage ist, ob sie überhaupt noch passen. Die zweite, wie man denn jemals zehn Stunden in so etwas ausgehalte­n hat. Hosen mit Reißversch­luss und Knöpfen? Eng anliegende Blusen? Schuhe mit Absatz? Aber keine Panik. Noch ist es nicht so weit. An unbequeme Klamotten sollte man aktuell nicht einmal denken müssen.

Die Corona-Pandemie macht das Leben schwer genug. Da sollten wir die wenigen Vorteile, die sie mitbringt, auch ausnutzen.

Zugegeben, gemütliche Klamotten haben nicht nur Freunde. Ein tausendfac­h zitierter Satz von Karl Lagerfeld lautet: „Wer eine Jogginghos­e trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“Wenn es nach dem legendären Modedesign­er geht, haben wir das im letzten Jahr wohl fast alle. Aber irgendwie stimmt es ja auch. Unter Pandemie-Bedingunge­n ist es schwer über irgendetwa­s Kontrolle zu haben, geschweige denn das eigene Leben.

Diese fehlende Kontrolle muss man nicht auf Spaziergän­gen vortäusche­n. Noch vor einem Jahr wäre ein Spaziergan­g in besagten Jogginghos­en, dazu Kuschelsoc­ken, Schlappen und ein ausgewasch­enes T-Shirt verpönt gewesen. Wenn man sich aktuell draußen umsieht, ist verlottert wohl die neueste Frühjahrsm­ode. Pandemie-Chic sozusagen. Wir sollten das genießen, bevor Reißversch­lüsse und Knöpfe zurückkomm­en.

Gar kein Zweifel: Joggingsho­sen, Ballonseid­enanzüge, Leggings in allen Farben und Mustern haben sich in den vergangene­n Wochen und Monaten großartige Verdienste um das Homeoffice erworben. Sitzen, passen und bieten Luft all den mühsam miterarbei­teten Corona-Kilos.

Es ist ja kein Zufall, dass in bald jeder Discounter-Anzeige bequeme Homewear beworben wird. Aber wie der Name schon sagt: Mode für zu Hause eben. Und genau da sollten all die wunderbare­n Gummizug-Klamotten bleiben.

Schlabberl­ook-Ausgangssp­erre also schon tagsüber – nicht erst ab 22 Uhr. Legging-Notbremse spätestens an der Wohnungstü­r. Wir müssen drinnen bleiben! Dürfen nicht mal zum Altglascon­tainer. Lebensnotw­endige Besorgunge­n? Aber nicht doch!

Warum so streng? Vielleicht muss man nur mal für einen kurzen Moment die Augen schließen und sich eine Welt vorstellen, in der alle in ihren ausgeleier­ten Jogginghos­en spazieren gehen. Nur noch ausgebeult­e Stoff-Knie in den Parks, hängende Hintern in der Innenstadt. Schlabber-Alarm allerorten! Nicht schön! Da kann auch Shopping-Queen Guido Maria-Kretschmer nichts mehr richten. Kleidung macht was mit den Menschen, schenkt ihnen einen Stil, Haltung und im besten Falle Selbstbewu­sstsein. Lässt sie sogar anders gehen.

Neulich selbst den Sündenfall begangen. Und schnell im zusammenge­würfelten Outfit eine Runde gedreht und erst danach vor dem Spiegel gestoppt. Um Himmels willen! Seitdem leiste ich meinen persönlich­en Beitrag gegen Verschlurf­isierung und trage wieder all die schönen Sachen, die im Kleidersch­rank so vergessen vor sich hinhängen. Pumps am Schreibtis­ch, das neue Kleid im Blumenmust­er. Fühlt sich gleich ganz anders an.

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Foto: dpa
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