Protest mit Kinderschuhen
Corona Der bayerische Kinderschutzbund und der Sektenbeauftragte der evangelischen Kirche warnen vor der Aktion
München Kinderschuhe an Denkmälern, auf öffentlichen Plätzen und vor Rathäusern. Mal wenige Paare, mal Dutzende. Ordentlich nebeneinandergestellt. Dazu Teddybären, Luftballons sowie zahlreiche bunt bemalte Plakate. Auf denen steht, teils in Kinderschrift, zum Beispiel: „Ich möchte mich nicht gegen Corona testen lassen“oder „Freiheit für unsere Kinder!“Die „Aktion Kinderschuhe“gegen Anti-CoronaMaßnahmen, die sich vor allem auf Kinder und Eltern auswirken, sorgt bundesweit für Irritationen, zunehmend auch in Bayern.
Dort gab es etwa in Vöhringen (Kreis Neu-Ulm), Markt Rettenbach, Bad Wörishofen (Kreis Unterallgäu), Buchloe (Kreis Ostallgäu) oder Krumbach (Kreis Günzburg) derartige Proteste. Nach Ansicht von Experten täuscht deren harmloser Eindruck. Matthias Pöhlmann, der Beauftragte für Sektenund Weltanschauungsfragen der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, sagte unserer Redaktion: „Es ist gut belegt, dass die ,Aktion Kinderschuhe‘ aus der ,Querdenken‘-Bewegung heraus stammt. Sie ist geschmacklos und gefährlich. Gefährlich, weil sie einer Strategie der Verunsicherung folgt; geschmacklos, weil sie unheilvolle Erinnerungen an die Nationalsozialisten weckt, die 1,5 Millionen Kinder umbrachten. In den Konzentrationslagern türmten sich Berge von Kinderschuhen.“
Ihren Ausgangspunkt hatte die „Aktion Kinderschuhe“vermutlich Mitte März in Sachsen, wo es massive Proteste gegen erneute Schulschließungen gab. Zum Ablegen von Kinderschuhen war über soziale Netzwerke aufgerufen worden. Auf der Internetseite Corona-blog.net etwa fand sich dann am 23. März ein entsprechender Aufruf: „Wir tragen am 1. April Schuhe vor unsere Rathäuser“. Von einem „nicht mehr vermittelbaren Maßnahmen-Irrsinn“war die Rede, „der unsere
Kinder quält“. Gefordert wurde: „Stoppt die Maskenpflicht an Schulen. Stoppt den Lockdown. Stoppt die Isolation“.
Das „Medienportal“Coronablog.net lässt sich als Überblicksseite beschreiben, auf der unter anderem Inhalte aus der von den Verfassungsschutzbehörden in Teilen beobachteten „Querdenken“-Bewegung veröffentlicht werden oder zu ihnen verlinkt wird. Zur „Aktion Kinderschuhe“wird vor allem über
Telegram und Facebook aufgerufen, häufig ähnlich formuliert.
Auch der Verein „Eltern stehen auf“mit Vereinsadresse in Nürnberg verbreitet den Aufruf – mit der Bemerkung, „Schuhe und Holocaust in einen Assoziationszusammenhang zu bringen“, habe „mit unbewältigten Schuldgefühlen zu tun“. In der Bibel stehe der Schuh für Freiheit und Selbstbestimmung. „Warum also im christlichen Abendland nicht Kinderschuhe als Freiheitsmahnmal für die Jüngsten installieren?!“Der Sektenbeauftragte Pöhlmann erkennt hier das geschichtsrevisionistische Narrativ des „Schuldkults“, das Rechtspopulisten und Rechtsextreme verbreiten. Der Verein hält eine Maskenund Testpflicht an Schulen für physische und psychische Gewalt.
Wer sich an der „Aktion Kinderschuhe“, die mancherorts von Kommunalpolitikern geduldet oder unterstützt wurde, beteiligt, muss kein „Querdenker“sein. Teilnehmer distanzierten sich öffentlich oder gaben an, die Hintergründe der Aktion nicht zu kennen. Pöhlmann sagte dazu: „Sicher, nicht alle, die sich an der ,Aktion Kinderschuhe‘ beteiligen, sind ,Querdenker‘. Sie machen sich damit aber zu Unterstützern von Verschwörungsideologien und Holocaustrelativierung.“Alexandra Schreiner-Hirsch vom Kinderschutzbund Landesverband Bayern erklärte auf Anfrage: „Wir gehen davon aus, dass die meisten Eltern sich einfach für ihre Kinder einsetzen wollten und ihnen nicht bewusst war, dass sie von den Initiatorinnen und Initiatoren für andere Ziele instrumentalisiert wurden.“
Kinder dürften natürlich auch an Demos teilnehmen. Es liege jedoch in der Verantwortung der Eltern, hier je nach Alter „sehr sorgsam zum Wohle der Kinder auszuwählen“. „Je nachdem, was sie auf solchen Veranstaltungen Verstörendes erleben müssen, können noch mehr Ängste und Unsicherheiten bei den Kindern geschürt werden“, warnte Schreiner-Hirsch.