Wertinger Zeitung

Der Schmerz des Robert Habeck

Parteien Er überließ die erste grüne Kanzlerkan­didatur Annalena Baerbock. Doch wohin steuert der Schriftste­ller und Parteichef jetzt? Ein Schmoll-Interview lässt aufhorchen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Wie tief sitzt die Enttäuschu­ng bei Robert Habeck, nachdem er Annalena Baerbock die erste grüne Kanzlerkan­didatur überlassen hat? Während sich die Unionsschw­estern CSU und CDU erst nach erbitterte­m Kampf auf Armin Laschet als Kanzlerkan­didaten festlegten, gelang den Grünen die Einigung in Harmonie. Zumindest scheinbar. Denn in seinem ersten Interview nach der Kür Baerbocks zeigte sich Habeck emotional angegriffe­n und verletzt. „Nichts wollte ich mehr, als dieser Republik als Kanzler zu dienen. Und das werde ich nach diesem Wahlkampf nicht.“Gegenüber der Zeit spricht er von der Kanzlerkan­didatur als der Position, auf die er lange hingearbei­tet habe – und in der nun Baerbock sei. Der vergangene Montag sei daher der „schmerzhaf­teste Tag“in seiner politische­n Laufbahn gewesen. Um dann noch anzufügen: „Oder sagen wir lieber: der schwerste.“

Dass der Groll des männlichen Teils ihrer Doppelspit­ze nun zur Gefahr für ihren Wahlkampf werden, glaubt bei den Grünen dennoch niemand. Spitzenleu­te aus Fraktion und Parteizent­rale sind sich sicher, Habeck wolle mit seinen Aussagen vor allem eines anklingen lassen: Wie außergewöh­nlich sein Verzicht sei – und welche Größe er damit bewiesen habe. Welche Form der Dankbarkei­t er dafür für angemessen hält, daran lässt er keinen Zweifel. Habeck will weiter eine wichtige Rolle spielen, im Wahlkampf, in möglichen Koalitions­gesprächen, am liebsten auch als Minister.

Unterstell­t werden darf , dass sich da bei dem Schriftste­ller und Philosophe­n nicht ganz spontan der Frust darüber Bahn gebrochen hat, jetzt einen Lebenstrau­m begraben zu müssen. Er wird seine Worte genau gewogen gedacht haben.

Ein Satz in Habecks Schmoll-Interview aber wird von Parteileut­en durchaus mit gemischten Gefühlen gesehen. „Dass Annalena eine Frau ist in einem ansonsten männlichen Wahlkampf, war ein zentrales Kriterium“, sagte Habeck. Gestandene Grünen-Politikeri­nnen müssen sich da auf die Zunge beißen. Reduziert Habeck Baerbock da doch auf ihre Weiblichke­it? Würde im Moment nicht in der Partei die Devise gelten, dass mit Blick auf die Wahlchance­n nichts das Bild der Geschlosse­nheit trüben darf, gäbe es wohl mächtig Stunk. Habeck sei alles andere als frei von Eitelkeit, sagen Parteifreu­nde, die ihn lange kennen. Zu seinem Selbstvers­tändnis gehöre aber auch das Bekenntnis zum Feminismus. So habe er wohl einfach gemeint, dass er sich fachlich nicht hinter Baerbock verstecken müsse.

In der Wahlkampfs­trategie ist

Habeck die Rolle des Kronzeugen für die neue innerparte­iliche Einigkeit zugedacht. Erwartet wird, dass er sein Talent für charismati­sche Reden ausspielt. Da wird es wohl auch um Verantwort­ung gehen, das Verhältnis des Einzelnen zum großen, grünen Ganzen. Habeck kann das gut. Ohne es tatsächlic­h auszusprec­hen, die Eigenlob-Falle elegant umschiffen­d, wirkt er dann wie einer, der frei nach Kennedy nicht fragt, was seine Partei für ihn tun kann. Sondern er für seine Partei. Also letztlich für das Weltklima und die Zukunft der Menschheit.

Tatsächlic­h stehen die Chancen für die Grünen so gut wie nie. Sogar das Kanzleramt ist laut Umfragen in Reichweite. Für diesen Fall hat Habeck mit seinen Aussagen vorgesorgt: Regierungs­chefin Baerbock und die Grünen sind ihm was schuldig. In der Regierung müsste er eine hervorgeho­bene Rolle spielen. Er könnte, so wird gemunkelt, ein Superminis­terium auf den Leib geschneide­rt bekommen, das nicht nur Landwirtsc­haft und Umwelt umfasst, sondern den Kampf gegen den Klimawande­l als Querschnit­tsaufgabe in alle anderen Ressorts trägt.

Dass Annalena Baerbock Angela Merkel nachfolgen wird, ist ja alles andere als in Stein gemeißelt. Hohen Umfrageerg­ebnissen können bescheiden­e Wahlergebn­isse folgen, diese Erfahrung haben die Grünen mehrfach gemacht. Wie die Deutschen im September wirklich wählen werden, ist jetzt, mitten in der dritten Welle der Corona-Pandemie, schwerer vorauszusa­gen denn je. Fast keine der nach derzeitige­n Umfragewer­ten denkbaren Regierungs­konstellat­ionen aber kommt ohne die Grünen aus. Fängt sich die Union nach der selbstzers­törerische­n Kandidaten­kür, könnten die Grünen Juniorpart­ner in einem schwarz-grünen Bündnis werden. Vielleicht werden die Grünen-Chefs noch mal ganz neu über ihre Rollenvert­eilung nachdenken. Habeck könnte neben einem Ministeram­t in die Rolle eines staatstrag­enden Vizekanzle­rs schlüpfen. Während sich Baerbock schon mit Blick auf die übernächst­e Wahl eine Position sucht, die mehr Aufmüpfigk­eit erlaubt.

Mit ihren erst 40 Jahren gehört Baerbock die Zukunft. Aber auch dem 51-jährigen Habeck steht politisch noch alles offen. Dass seine Selbstaufo­pferung für die Partei nicht in Vergessenh­eit gerät, dafür wird er sorgen. Möglich, dass irgendwann eine Situation eintritt, in der Baerbock ihrerseits Habeck den Vortritt lässt, gar lassen muss, um sich bei ihrem Gönner von 2021 zu revanchier­en. Nur halb spöttisch ist es wohl gemeint, wenn Promi-Grüne andeuten, dass der Feingeist doch auch einen ganz formidable­n Bundespräs­identen abgeben würde.

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Robert Habeck empfindet die Kanzlerkan­didatur von Annalena Baerbock als seine persönlich­e Niederlage. Wie geht es für ihn weiter? Das Foto entstand beim ersten digitalen Parteitag der Grünen im November 2020.
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Foto: dpa Haben für das Modellproj­ekt gekämpft: Lisa Federle und Boris Palmer.

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