Wertinger Zeitung

Ziemlich schwierige Freunde

EU Seit Jahren ringen die Schweiz und die Europäisch­e Union darum wie sie zueinander stehen. Die Distanz ist groß

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Als Jean-Claude Juncker gegen Ende seiner Zeit als Kommission­spräsident 2019 in dieser Zeitung Bilanz zog, sprach er – für viele überrasche­nd – ausgerechn­et die Schweizer direkt an: „Ihr werdet einen derartigen Freund eures Landes nicht mehr finden“, meinte er enttäuscht, weil es ihm nicht gelungen war, das umstritten­e Rahmenabko­mmen mit den Eidgenosse­n zu vereinbare­n. Zwei Jahre später hat sich daran nichts geändert. Wenn Bundespräs­ident Guy Parmelin von der Schweizer Volksparte­i (SVP) heute nach Brüssel zu einem Gespräch mit Kommission­schefin Ursula von der Leyen kommt, gibt es zwar ein wenig Hoffnung, von einem Durchbruch aber wagt niemand zu träumen. Denn das besondere Verhältnis zwischen der EU und den Schweizer Nachbarn gilt seit Jahren nicht nur als komplizier­t, sondern auch zunehmend als zerrüttet. Schon vor sieben Jahren entstand vorrangig auf Drängen der Union der Text für ein sogenannte­s Rahmenabko­mmen, das die 120 bilaterale­n Einzelvert­räge zusammenfa­ssen sollte. Seit 2018 wird darüber verhandelt. Das bisherige Ergebnis fasste Brüssels Unterhändl­erin Stéphanie Riso, immerhin die stellvertr­etende Kabinettsc­hefin von Präsidenti­n Ursula von der Leyen, vor den Botschafte­rn der 27 EU-Staaten vor wenigen Tagen so zusammen: Die Schweiz habe das Interesse an dem Rahmenabko­mmen mit der EU nicht nur verloren, sondern sich auch von dem Text immer weiter distanzier­t. Mehr noch: Aus Bern habe es bisher nicht einen Vorschlag gegeben, wie der Vertrag angepasst werden solle. Jene Ergänzunge­n, die Brüssel erarbeitet habe, wurden liegengela­ssen. Und außerdem sei die Schweiz eine Milliarde Euro, die sie für die Teilnahme am offenen Binnenmark­t zu zahlen hat, schuldig geblieben.

Wichtige Streitpunk­te haben sich im Laufe der Auseinande­rsetzungen mehr und mehr verfestigt. Da ist der Lohnschutz der Schweiz, den viele durch das Abkommen gefährdet sehen. Andere fürchten, das Land werde zu viel von seiner Eigenständ­igkeit aufgeben. Und dann wird auch noch über die Unionsbürg­erschaft gestritten, die – so heißt es in der Schweiz – den Staat zwingen würde, arbeitslos­en EU-Bürgern Leistungen zukommen zu lassen.

Im Kern geht es aber wohl um den Vorschlag aus Brüssel, dass Bern alle bestehende­n und künftigen EU-Gesetze automatisc­h übernehmen soll, ohne die jeweils einzelnen Abkommen updaten zu müssen. „Die Schweiz muss endlich sagen, ob sie das Abkommen überhaupt noch möchte, oder wenn nicht, wie die bestehende­n Grundsatzf­ragen alternativ geregelt werden können“, sagte der CDU-Europa-Abgeordnet­e Andreas Schwab, der im EU-Parlament die Delegation für die Gespräche mit der Schweiz leitet. „Die Positionen liegen, soweit sie bekannt sind, nah beieinande­r.“Falls es an diesem Freitag in Brüssel nicht zu einer Einigung kommt, droht Chaos, denn Brüssel hat angekündig­t, bestehende Einzelabko­mmen nicht mehr zu verlängern. Das könnte sich schon im Mai auswirken, wenn der bilaterale Vertrag über technische Handelshem­mnisse de facto ausläuft. Betroffen wären ausgerechn­et medizinisc­he Güter, die dann nicht mehr so einfach über die Grenze gebracht werden könnten. Sicher ist bisher nur, dass von der Leyen den Auftrag der Mitgliedst­aaten hat, die Gespräche nicht platzen zu lassen.

 ?? Foto: Nolfi, dpa ?? Absperrung an der deutsch‰schweizer Grenze wegen Corona.
Foto: Nolfi, dpa Absperrung an der deutsch‰schweizer Grenze wegen Corona.

Newspapers in German

Newspapers from Germany