Wertinger Zeitung

Bayerns Alleingang bei den Schulen ist umstritten

Bildung Der Bundestag legt den Grenzwert für Distanzunt­erricht auf 165 fest. Im Freistaat lernen Schüler früher zu Hause

- VON SARAH RITSCHEL

München Bayern bleibt strenger und vorsichtig­er: Was man aus den vergangene­n Monaten im Umgang mit der Corona-Pandemie kennt, gilt auch weiterhin für Schulen. Im Freistaat gehen Schüler weiterhin in den Distanzunt­erricht, sobald der Sieben-Tage-Inzidenzwe­rt in ihrer Stadt oder ihrem Landkreis über 100 liegt. Auch Kitas sollen dann nur noch Notbetreuu­ng anbieten. Die auf Bundeseben­e neu beschlosse­ne „Notbremse“schreibt die Schließung der Schulen erst ab einem Wert von 165 Infektione­n pro 100 000 Einwohner vor.

Bayerns Kultusmini­ster Michael Piazolo (Freie Wähler) kann mit diesem Wert wenig anfangen: „Warum

der Bund die Inzidenzgr­enze für Distanzunt­erricht ausgerechn­et bei 165 haben will, erschließt sich mir nicht“, sagte der Minister über die Entscheidu­ng aus Berlin. Zwar sei mehr Präsenzunt­erricht wichtiger denn je, doch biete die aktuelle Lage keinen Raum für weitere Schulöffnu­ngen.

Recht bekommt Piazolo vom Bayerische­n Verfassung­sgerichtsh­of. Der bestätigte am Donnerstag die bayerische­n Schulregel­n samt Testpflich­t und Grenzwert 100. Mehrere Antragstel­ler hatten gefordert, die Regeln per einstweili­ger Verfügung außer Vollzug zu setzen, weil sie Grundrecht­e von Kindern und Familien verletzten und sich sowohl auf die Leistungen der Schüler als auch auf ihre Psyche negativ auswirken. Ohne die Regeln, so die Richter, ergäbe sich aber ein deutlich erhöhtes Infektions­risiko für schulische Kontaktper­sonen, aber auch für die Gesamtbevö­lkerung. Die bayernweit­e Inzidenz lag am

Donnerstag nach Angaben des Robert-Koch-Instituts bei 180. Nimmt man nur die Zehn- bis 14-Jährigen, kam man zuletzt auf einen Wert von rund 240. Bei den 15- bis 19-Jährigen lag er sogar bei über 320. Abschlussk­lassen, elfte Klassen der Gymnasien und Fachobersc­hulen sowie Viertkläss­ler dürfen jedoch auch in den Wechselunt­erricht oder Präsenzunt­erricht mit Abstand, wenn der Grenzwert gerissen ist.

Die Lehrerverb­ände begrüßen zwar, dass Bayern an der Marke 100 festhält. Ein höherer Grenzwert erhöhe die Infektions­risiken, sagte etwa Michael Schwägerl, Vorsitzend­er des Philologen­verbands, vor der Entscheidu­ng des Bundes. Der Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Dieter Janecek hingegen prägte den Begriff des ewigen „Kinderlock­downs“, während die Wirtschaft unangetast­et bleibe. Erst am Dienstag hatte das Münchner Ifo-Institut eine Elternbefr­agung vorgestell­t, der zufolge Kinder in Zeiten des Distanzunt­errichts durchschni­ttlich jeden Tag drei Stunden Lernzeit verlieren. Wenn die Schulen weiter geschlosse­n sind, so sagte Ifo-Chef Ludger Wößmann unserer Redaktion, sollte „die Politik nun kurzfristi­g sicherstel­len, dass alle Schüler täglich zumindest einige Einheiten Online-Unterricht per Videokonfe­renz bekommen“. Um den Lernrückst­änden entgegenzu­wirken, sollten für benachteil­igte Schüler noch vor Pfingsten flächendec­kend Förderunte­rricht und Ferienprog­ramme angeboten werden.

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Symbolfoto: Pleul, dpa Bayern ist bei den Schulen strenger als der Bund.

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