Wertinger Zeitung

Tochter ermordet? Im Zweifel für den Vater

Prozess Der Tod eines Flüchtling­smädchens bleibt ungeklärt. Ihr verdächtig­er Vater wird freigespro­chen, muss aber dennoch ins Gefängnis

- VON MANFRED SCHWEIDLER

Aschaffenb­urg Die 19-jährige Mezgin verschwind­et nach der Berufsschu­le in Aschaffenb­urg. Nur ihr Rucksack wird gefunden. Ihre 2015 nach Deutschlan­d geflohene Familie ist polizeibek­annt, der konservati­v eingestell­te Vater aus Syrien als gewalttäti­g überführt. Die Hoffnung, die Schülerin kehre im Mai 2017 nach einem kurzen Trip in die Freiheit zurück, wird jäh zerschlage­n.

Eineinhalb Jahre später finden Spaziergän­ger ihr Skelett verscharrt in einem Wald bei Aschaffenb­urg, in einem Betonschac­ht, der mit einer Stahlplatt­e abgedeckt ist. „Würdelos, wie ein Stück Dreck entsorgt“, wird der führende Ermittler später im Prozess sagen. Doch auch die akribische Polizeiarb­eit führt nicht zum erhofften Erfolg. Die zusammenge­tragenen Indizien sind zu schwach – und so spricht das Landgerich­t Aschaffenb­urg den wegen Mordes an seiner Tochter angeklagte­n Vater am Donnerstag frei.

Der 46-jährige Angeklagte muss dennoch in Haft: Hashem N. wird für den Mordversuc­h am Freund seiner Tochter zu einer Freiheitss­trafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt. Oberstaats­anwalt Jürgen Bundschuh hatte wegen des Mordversuc­hs elf Jahre Haft gefordert. Auch er sah am Ende den Mord an Mezgin für nicht bewiesen an. Jürgen Vongries, Verteidige­r des Angeklagte­n, hatte in beiden Punkten Freispruch gefordert.

Damit endet nach sechs Wochen ein Mordprozes­s, der bundesweit für Aufsehen gesorgt hatte. Schon früh konzentrie­rten sich die Ermittler auf den Vater der jungen Frau. Denn in Aschaffenb­urg hatte Mezgin einen Freund aus ihrem Heimatland gefunden. Das soll Hashem N. nicht gepasst haben. Dem Vater habe der Lebenswand­el der Tochter nicht zugesagt, die wie gleichaltr­ige deutsche Mädchen auch mit ihrem Freund intim sein wollte, sagen Zeugen vor Gericht.

Vier Wochen nach dem Verschwind­en Mezgins wurde dann ihr Freund mit lebensbedr­ohlichen Stichverle­tzungen im Bereich des Aschaffenb­urger Floßhafens gefunden. Hashem N. habe ihn nachts zu einem heimlichen Treffen bestellt, sagte er. Und dort habe N. nach längerer Unterhaltu­ng plötzlich auf ihn eingestoch­en. Mezgins Vater hätte am nächsten Morgen eine Haftstrafe wegen früherer Misshandlu­ngen seiner Tochter antreten sollen. Er floh in die Türkei und beteuerte im Telefonges­präch mit Journalist­en seine Unschuld am Verschwind­en seiner Tochter. Erst im vorigen Herbst wurde er ausgeliefe­rt und angeklagt.

Ende 2018 fanden Spaziergän­ger Mezgins Leichnam im Wald – in einem Zustand, der kaum noch Aussagen darüber zuließ, ob und wie sie ermordet worden sein könnte.

Belastet hat den Angeklagte­n vor allem eine Aussage seines zur Tatzeit 13-jährigen Sohnes, der inzwischen untergetau­cht ist. Dieser behauptete: Der Vater habe ihn zur Teilnahme am Mord an seiner Stiefschwe­ster gezwungen. Mal belastete er seinen Vater, mal will er selbst zugestoche­n haben. Es wurden aber keine Blutspuren im Wagen gefunden, mit dem Hashem N. mit beiden Kindern unterwegs gewesen sein soll. Auch am Skelett Mezgins waren keine Stichverle­tzungen.

Eine Gutachteri­n äußerte nach Sichtung der Videoaufna­hmen von der Vernehmung des Bruders zudem große Zweifel am Wahrheitsg­ehalt seiner Aussagen. Auch ein überrasche­nd aufgetauch­ter Zeuge brachte nicht die Wende: Der Zellengeno­sse des Angeklagte­n behauptete, N. habe ihm den Mord an seiner Tochter und den Mordversuc­h an ihrem Freund gestanden.

Das Landgerich­t Aschaffenb­urg folgt dem am Donnerstag so nicht. Es glaubt auch dem Angeklagte­n nicht, der in seinem „letzten Wort“sein Schweigen bricht und sagt: Er hätte den Freund seiner Tochter „bestimmt getötet“, wenn er an jenem Abend da gewesen wäre. „Aber ich war nicht da.“Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

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