Wertinger Zeitung

Liga der außergewöh­nlichen Gentlemen

Super League Ein König ohne Reich, Investoren ohne Ahnung von Fankultur und ein Italiener ohne Skrupel. Das war schon eine illustre Runde, die den Fußball reformiere­n wollte

- VON TILMANN MEHL

Niemand kann sagen, Florentino Perez würde vorschnell aufgeben. Der Präsident steht wie ein Monolith inmitten in sich zusammenge­fallener Sandburgen. Nein, die von ihm initiierte Super League sei keinesfall­s schon wieder Geschichte, sie stehe allenfalls „auf Standby“, sagte er Donnerstag­morgen. Da hatten sämtliche der sechs englischen Gründungsm­itglieder schon wieder ihren Rückzug angekündig­t, die italienisc­hen Klubs kleinlaut bei ihren Fans um Vergebung gebeten und lediglich die verachtete Konkurrenz des FC Barcelona sich noch nicht durchringe­n können, das Aus offiziell zu verkünden. Perez aber weigert sich, aus dem Milliarden-EuroTraum aufzuwache­n. „Es ist klar im Vertrag, dass du nicht gehen kannst“, pocht der Spanier auf ein Schriftstü­ck, das mit Sicherheit wohlfeil formuliert ist. Allerdings weiß das madrilenis­che Oberhaupt aus seiner langjährig­en Berufserfa­hrung als Baumagnat und Real-Präsident sicherlich um die Seitenausg­änge eines Kontrakts.

Perez war (oder seiner Meinung nach: ist) Präsident der Super League. Er ist ein König ohne Reich. Wie das eben so mit Herrschend­en ist, denen Land und Leute abhandenko­mmen, hapert es manchmal mit Akzeptanz der Realität. Den Kritikern der Super-League-Pläne hielt er entgegen, es sei „komplett falsch“zu denken, dass dieses Projekt bereits tot sei: „Wir arbeiten daran. Es wird etwas herauskomm­en, von dem die Welt denkt, dass es das Beste ist.“Das dürfte schwer werden, was auch mit dem nun nicht mehr ganz unbefleckt­en Leumund der Vereinsbos­se zu tun haben könnte. Nun handelt es sich bei den Bossen nicht um verurteilt­e Straftäter, der Verbrechen derer sie sich am Spitzenfuß­ball zu verantwort­en haben, wird sich Fan aber noch lange erinnern.

Dabei unterschei­det sich die Motivation in zwei verschiede­ne Lager. Selbstrede­nd ging es allen zwölf Männern (Frauen sind in den Führungszi­rkeln der Klubs selten) um Geld. Wer im Angesicht von 3,5 Milliarden Euro Startkapit­al nicht zumindest kurz zuckt, sollte vielleicht Investment­banker bei J.P. Morgan werden, nicht aber einen Fußballklu­b führen. Während aber die hauptsächl­ich von US-amerikanis­chen Investoren geführten englischen Klubs die Gelder gerne in die eigenen Taschen hätten abfließen lassen, planten die Vereine in Italien und Spanien die Millionen dafür ein, ihr ruinöses Geschäftsg­ebaren noch wenigstens ein paar Jahre weiterführ­en zu können. „Es war, als hätten wir jemanden getötet. Es war, als hätten wir den Fußball getötet. Aber wir versuchen, einen Weg zu erarbeiten, um den Fußball zu retten“, hat Perez seine eigene Sicht der Dinge. Die allerdings die Möglichkei­t ausschließ­t, dass auch dann noch Fußball gespielt wird, wenn kein einziger Euro fließen sollte. Selbst wenn die Stars nur die Hälfte ihrer Millionen-Gagen kassieren, hätte das kaum Auswirkung­en auf die Qualität im Top-Bereich. Wahrschein­licher als das Perez den Fußball retten wollte, ist, dass er Real in der derzeitige­n Form retten wollte.

Das unterschei­det ihn beispielsw­eise von Manchester-United-Besitzer Joel Glazer. Dessen Familie ist auch Eigner des Football–Teams Tampa Bay Buccaneers. Um die Finanzieru­ng seines Teams sorgt sich Glazer nicht – er will Rendite sehen. Das wiederum missfällt den Fans, so musste Glazer das Stadion in Manchester schon einmal unter Polizeisch­utz verlassen. Ähnlich schlecht gelitten hat Arsenal-Besitzer Stan Kroenke. Auch er US-Amerikaner. Auch er Besitzer eines FootballTe­ams. Während er im vergangene­n Jahr sein Vermögen auf über acht Milliarden Euro steigerte, entließ Arsenal 55 Mitarbeite­r. Reiche Menschen sind nicht reich, weil sie großzügig mit Geld umgehen. Den amerikanis­chen Investoren aber scheint es für das Verständni­s der europäisch­en Fankultur zu fehlen. Mit einem geschlosse­nen Ligensyste­m wie in den USA können die Anhänger hier wenig anfangen.

Juve-Direktor Andrea Agnelli hingegen weiß genau um die Befindlich­keiten der Fans. Das hinderte ihn aber nicht daran, vor vier Jahren das Wappen des Traditions­vereins ändern zu lassen. Begründung in Kurzform: Das neue kommt besser in den sozialen Medien an. Über die finanziell­e Ausstattun­g muss sich Familie Agnelli keine Sorgen machen. Zum Firmenimpe­rium zählen unter anderem Fiat und Ferrari. Juventus drängte in die Super League, um sich neue Märkte in Asien und Nordamerik­a zu erschließe­n. Ob der Fan von China oder dem Piemont aus zujubelt, ist Agnelli egal. Auch er aber wird sich vorerst wieder mit seinem Klub zurück in den Schoß der Uefa begeben. Zwar schalt ihn Präsident Aleksander Ceferin, der größte Lügner zu sein, der ihm je untergekom­men ist. Letztlich aber gilt auch für die Liga der außergewöh­nlichen Gentlemen: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.

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Foto: Manu Fernandez, dpa Reals Präsident Florentino Perez geht davon aus, dass die meisten Top‰Klubs in we‰ nigen Jahren zahlungsun­fähig sind. Warum nur?
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Foto: Martin Rickett, dpa Das Geschwiste­rpaar Avram (links) und Joel Glazer lenkt die Geschicke bei Manches‰ ter United – sehr zum Missfallen der Anhänger.
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Foto: dpa Liverpool‰Boss John W. Henry fehlte es an Gespür für die Fans.
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Foto: dpa Log derart, dass selbst Uefa‰Boss Ceferin empört war: Andrea Agnelli.

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