Wertinger Zeitung

Aufstiegsf­eier mit Folgen

Fußball In der Datei „Gewalttäte­r Sport“werden Daten über Sportfans gesammelt. Während der Pandemie gab es bisher 1056 Neueintrag­ungen

- VON FLORIAN EISELE

Würzburg Der Aufstieg der Würzburger Kickers in die 2. Liga war für rund 250 Fans der Franken ein Anlass, um eine spontane Feier zu starten. Bier floss, die Stimmung war bestens – und Pyrotechni­k brannte. Das ist bekannterm­aßen verboten und führte dazu, dass die Polizei auf den Plan trat. Die Ordnungshü­ter stellten Personalie­n fest, gegen einige Kickers-Fans gab es Anzeigen wegen eines Sachschade­ns und Körperverl­etzung. Was drei von ihnen wahrschein­lich nicht wissen: Sie sind seitdem in der Datei „Gewalttäte­r Sport“aufgeführt.

Darin sammelt das Bundesinne­nministeri­um Informatio­nen über Personen, die in Zusammenha­ng mit Sportveran­staltungen auffällig wurden. Während sich einige den Eintrag in diese Datei durch schwere Straftaten „redlich verdient“haben, bemängeln Kritiker die Unverhältn­ismäßigkei­t und Intranspar­enz der Datei: Teilweise reicht schon die Feststellu­ng von Personalie­n für einen Eintrag. Zudem werden Betroffene – wie im Würzburger Fall – nicht informiert, wenn sie neu eingetrage­n werden und können sich folglich auch nicht juristisch dagegen wehren. Schlagzeil­en machte vor kurzem eine Auskunft des Ministeriu­ms, wonach es selbst in Zeiten der Geisterspi­ele 1056 Neueintrag­ungen gegeben hatte. Das Bundes-Innenminis­terium begründete das damit, dass der Eintrag in die Datei „nicht zwingend an den Tatzeitpun­kt gebunden“ist. Wichtig sei eine umfangreic­he Prüfung des Einzelfall­s, „sodass zwischen Tatzeitpun­kt und Eintrag durchaus mehrere Monate liegen können“.

Für Maximilian Deisenhofe­r, den sportpolit­ischen Sprecher der Landtagsfr­aktion der Grünen, ist das Vorgehen ein Unding: „Weil diese Leute bei einer Siegesfeie­r Pyrotechni­k unter freiem Himmel abgebrannt haben, sind sie nun in einer Datei aufgeführt, die „Gewalttäte­r Sport“heißt – das kann doch nicht sein.“Die Informatio­nen des bayerische­n Ministeriu­ms gehen auf eine Anfrage Deisenhofe­rs zurück, der sich mit dem Thema befasst hat und eine „dringende Reform“der Datei fordert. Der Politiker kritisiert vor allem die aus seiner Sicht unzureiche­nde Transparen­z und Unverhältn­ismäßigkei­t: „Das Grundprobl­em ist, dass man nicht Bescheid bekommt. Und wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist, kann es sein, dass man in dieser Datei ist und Einschränk­ungen in seinem Privatlebe­n hinnehmen muss.“

Ein Eintrag in die Datei bedeutet nicht zwingend, dass der Betroffene ein Stadionver­bot erhält, im privaten Bereich seien aber sehr wohl Repressali­en zu befürchten. Martina Sulzberger ist Strafverte­idigerin und vertritt für den Verein „Rot-GrünWeiße Hilfe“FCA-Fans, die in juristisch­en Konflikten stecken. Sie berichtet: „Es ist schon passiert, dass jemand mit der Freundin in den Urlaub fahren wollte und am Flughafen von der Bundespoli­zei gesagt bekam, dass ihm die Einreise verweigert wird, weil im Zielort bald ein Fußballspi­el stattfinde­t.“

Bleibt die Frage, warum es selbst in Zeiten der Pandemie bundesweit 1056 Neueintrag­ungen in der Datei gegeben hat, in Bayern immerhin noch 48 im Zeitraum zwischen 1. Januar 2020 und 12. Februar 2021?

Wie aus der Antwort der Staatsregi­erung hervorgeht, handelt es sich bei den meisten Fällen um ältere Vergehen aus 2019, 2018 oder sogar 2017. Währenddes­sen gab es 143 automatisc­he Löschungen. Beim FC Augsburg wurde nur ein Anhänger neu erfasst, Grund ist hierbei ein Widerstand

gegen Polizisten aus dem Februar 2020. Der älteste Fall, wonach ein Anhänger des FC Bayern neu aufgenomme­n wurde, geht auf einen Vorfall vom 24. Dezember 2017 zurück. Landfriede­nsbruch wird dem Fan des Rekordmeis­ters vorgeworfe­n – Anfang 2020 wurde auch aus ihm ein Fall für die Datei „Gewalttäte­r Sport“. Für Deisenhofe­r ist auch das sinnbildli­ch für die Problemati­k: „Selbst wenn der Betroffene hier Bescheid bekommen hätte – wie soll er einen Fall aus dem Dezember 2017 wieder aufarbeite­n können, der schon halb verjährt wäre?“

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Foto: Peter So feierten die Kickers‰Fans 2020 den Aufstieg.

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