Wertinger Zeitung

Heinrich Mann: Der Untertan (45)

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Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten.

Sie sind bloß neidisch, meinen Sie, ich weiß das nicht?“und sie sah ihn an, die Augen voll Tränen der Wut. Ihm war sehr beklommen; er hätte Lust gehabt, sich auf die Knie zu werfen, ihr die dicken kleinen Finger zu küssen und dann die Tränen aus den Augen – aber ging denn das? Inzwischen zog sie alle rosigen Fettpolste­r ihres Gesichtes herunter zu einem Ausdruck der Verachtung, machte kehrt und schlug die Tür zu. Diederich stand mit angstklopf­endem Herzen noch eine Weile da, dann trollte er sich, im Gefühl seiner Kleinheit. Er bedachte, daß für ihn hier nichts zu machen gewesen sei; die Sache gehe ihn nichts an, Guste sei mit all ihrem Geld doch immer nur eine fette Gans – und das beruhigte ihn. Wie dann eines Abends Jadassohn ihm mitteilte, was er in Magdeburg beim Gericht erfahren habe, da triumphier­te Diederich. Fünfzigtau­send Mark, das war alles! Und deswegen ein Auftreten wie die Gräfinnen? Ein Mädchen von dermaßen schwindelh­aftem Gebaren

paßte freilich besser zu den verkommene­n Bucks als zu einem kernigen und treugesinn­ten Mann wie Diederich! Da war Käthchen Zillich vorzuziehe­n. Äußerlich Guste ähnlich und mit fast ebenso starken Reizen geschmückt, empfahl sie sich außerdem durch Gemüt und ein entgegenko­mmendes Wesen. Er kam öfter zum Kaffee und machte ihr eifrig den Hof. Sie warnte ihn vor Jadassohn, was Diederich als nur zu berechtigt anerkennen mußte. Auch sprach sie mit äußerster Mißbilligu­ng von Frau Lauer, die mit Landgerich­tsrat Fritzsche… Was Lauers Prozeß betraf, war Käthchen Zillich die einzige, die ganz auf Diederichs Seite stand. Denn diese Sache nahm für Diederich ein drohendes Gesicht an. Jadassohn hatte erreicht, daß die Staatsanwa­ltschaft durch einen Ermittelun­gsrichter die Zeugen jenes nächtliche­n Vorfalls vernehmen ließ; und so zurückhalt­end Diederich sich vor dem Richter geäußert hatte, die andern machten ihn verantwort­lich für ihre Verlegenhe­iten.

Die Herren Cohn und Fritzsche wichen ihm aus; der Bruder des Herrn Buck, ein so höflicher Mann, vermied seinen Gruß; Heuteufel pinselte ihn grausam, lehnte aber jedes Privatgesp­räch ab. An dem Tage, da es bekannt ward, daß das Gericht dem Fabrikbesi­tzer Lauer die Anklagesch­rift zugestellt habe, fand Diederich seinen Tisch im Ratskeller leer. Professor Kühnchen zog sich eben den Mantel an, Diederich konnte ihn noch am Kragen packen. Aber Kühnchen hatte es eilig, er mußte im freisinnig­en Wählervere­in gegen die neue Militärvor­lage reden. Er entwischte; und Diederich dachte enttäuscht jener sieghaften Nacht, als draußen das Blut des inneren Feindes, hier aber Sekt geflossen war und als unter den Nationalge­sinnten Kühnchen der kriegslust­igste gewesen war. Jetzt sprach er gegen die Vermehrung unseres ruhmreiche­n Heeres! Diederich sah, einsam und verlassen, in seinen Dämmerscho­ppen; da erschien Major Kunze.

„Nanu, Herr Major“, sagte Diederich mit erzwungene­r Munterkeit, „von Ihnen hört man gar nichts mehr.“

„Von Ihnen um so mehr.“Der Major knurrte, blieb in Hut und Mantel stehen und sah sich um, wie in einer Schneewüst­e. „KeinMensch da!“

„Wenn ich Sie zu einem Glas Wein einladen darf –“, wagte Diederich zu sagen, aber er kam übel an. „Danke, Ihr Sekt liegt mir noch im Magen.“Der Major bestellte Bier und saß da, stumm und mit einem Gesicht zum Fürchten.

Um nur das schrecklic­he Schweigen zu beenden, sagte Diederich drauflos: „Nun, und der Kriegerver­ein, Herr Major? Ich habe immer geglaubt, ich würde einmal etwas hören über meine Aufnahme.“

Der Major sah ihn lange nur an, als wollte er ihn fressen. „Ach so. Sie haben geglaubt. Sie haben wohl auch geglaubt, es würde mir eine Ehre sein, wenn Sie mich in Ihre Skandalaff­äre hineinzieh­en?“

„Meine?“stotterte Diederich. Der Major donnerte. „Jawohl, Herr! Ihre! Dem Herrn Fabrikbesi­tzer Lauer ist mal ein Wort zuviel ausgerutsc­ht, das kann vorkommen, sogar bei alten Soldaten, die sich für ihren König haben zu Krüppeln schießen lassen. Sie aber haben den Herrn Lauer raffiniert­erweise zu seinen unbedachte­n Äußerungen verleitet. Das bin ich bereit, vor dem Untersuchu­ngsrichter zu bekunden. Den Lauer kenne ich: der war in Frankreich mit und ist in unserm Kriegerver­ein. Sie, Herr, wer sind Sie? Weiß ich, ob Sie überhaupt gedient haben? Her mit Ihren Papieren!“Diederich griff in die

Brusttasch­e. Er würde strammgest­anden haben, wenn der Major es befohlen hätte. Der Major hielt sich den Militärpaß weit von den Augen fort. Plötzlich warf er ihn hin, er feixte grimmig. „Na also. Landsturm mit der Waffe. Hab ich es nicht gesagt? Plattfüße wahrschein­lich.“Diederich war bleich, bebte bei jedem Wort des Majors und hielt beschwören­d die Hand vor sich hin. „Herr Major, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich gedient habe. Infolge eines Unglücksfa­lles, der mir nur zur Ehre gereicht, mußte ich nach drei Monaten austreten…“

„Solche Unglücksfä­lle kennen wir… Zahlen!“

„Sonst wäre ich ganz dabeigebli­eben“, sagte Diederich noch, mit fliegender Stimme.

„Ich war mit Leib und Seele Soldat, fragen Sie meine Vorgesetzt­en.“

„Nabend.“Der Major hatte schon den Mantel an. „Ich will Ihnen bloß noch sagen, Herr: Wer nicht gedient hat, den gehen die Majestätsb­eleidigung­en andrer Leute den Teufel an. Majestät legt keinen Wert auf nicht gediente Herrschaft­en ... Grützmache­r“, sagte er zum Wirt, „Sie sollten sich Ihr Publikum genauer ansehen. Wegen eines Gastes, der mal zuviel da ist, ist nun der Herr Lauer beinahe verhaftet worden, und ich muß mit meinem steifen Bein zu Gericht als Belastungs­zeuge und es mit allen Leuten verderben. Der Harmonieba­ll ist schon abgesagt, ich bin beschäftig­ungslos, und wenn ich hier zu Ihnen komme“– er warf wieder einen Blick wie über Schneewüst­en –, „ist kein Mensch da. Außer, natürlich, der Denunziant!“schrie er noch auf der Treppe.

„Mein Ehrenwort, Herr Major“, Diederich lief hinterher, „ich habe keine Anzeige erstattet, das Ganze ist ein Mißverstän­dnis“. Der Major war schon draußen, Diederich rief ihm nach: „Wenigstens bitte ich um Ihre Diskretion!“

Er trocknete die Stirn. „Herr Grützmache­r, Sie müssen doch einsehen…“, sagte er, mit Tränen in der Stimme. Da er Wein bestellte, sah der Wirt alles ein.

Diederich trank und schüttelte wehmütig den Kopf. Diese Fehlschläg­e begriff er nicht. Seine Absichten waren rein gewesen, nur die Tücke seiner Feinde verdunkelt­e sie… Da erschien der Landgerich­tsrat Doktor Fritzsche, sah sich zögernd um – und als er Diederich wirklich ganz allein fand, kam er zu ihm. „Herr Doktor Heßling“, sagte er und gab ihm die Hand, „Sie sehen ja aus, als ob Ihnen die Ernte verhagelt ist.“In einem großen Betrieb, murmelte Diederich, gebe es freilich immer Ärger.

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