Wertinger Zeitung

Es könnte Millionen Gewinner des DFB-Debakels geben

Der Machtkampf an der Spitze wird Präsident Fritz Keller wohl den Job kosten. Im besten Fall steht aber auch eine Erneuerung des kompletten Verbands bevor

- VON TILMANN MEHL time@augsburger‰allgemeine.de

Fritz Keller hat sich als Präsident des Deutschen FußballBun­des unmöglich gemacht. Er repräsenti­ert einen Verband mit über sieben Millionen Mitglieder­n. Der Präsident des DFB wird nicht an Titeln gemessen, er braucht kein hervorrage­nder Fußballer gewesen zu sein. Seine herausrage­nde Aufgabe ist es, mit Würde dem Verband vorzustehe­n. Das kann Keller nicht mehr, nachdem er seinen Kontrahent­en Rainer Koch mit dem Nazi-Richter Roland Freisler verglich. Es war eine ungeheuerl­iche verbale Entgleisun­g Kellers – schließlic­h schickte Freisler tausende Menschen in den Tod. Wer sich derart enthemmt äußert, kann nicht mehr stellvertr­etend für sieben Millionen Menschen auftreten.

Dabei vereinte Keller viele Fähigkeite­n in sich, die dem DFB auf dem Weg aus der gesellscha­ftlichen

Bedeutungs­losigkeit gut zu Gesicht hätten stehen können.

Charismati­sch, moralisch integer und gut vernetzt schien er die optimale Wahl nach den bleiernen Jahren unter Reinhard Grindel gewesen zu sein. Der biedere Ex-Politiker traute sich weder, den Unrat des Sommermärc­hens fachgerech­t zu entsorgen, noch war er gewillt, einem immer heterogene­r werdenden Verband eine Form zu geben, in der sich jeder und jede wiederfind­en konnte. Keller hingegen packte an.

Einigen Verbandsve­rtretern ging das nach den bürokratis­ch verwaltete­n Jahren zu energisch. Doch der DFB-Präsident hätte die Energie gehabt, Gräben zu überwinden und gänzlich unliebsame­s Personal auszutausc­hen. Zudem hatte er das hehre Ziel, ein Präsident aller Mitglieder zu sein. Frauen und Männer, Kinder und Erwachsene, Deutsche und Ausländer – Keller wollte einen. Dass er es nicht geschafft hat, liegt an der Beleidigun­g, mit der er Koch überzogen hat.

Der Vizepräsid­ent geht somit vorerst als Sieger aus dem Machtkampf

hervor. Sein Widersache­r Keller ist erledigt. Doch Koch wird es schwer haben, daraus Profit zu schlagen.

Er steht für den alten DFB. Einen unbeweglic­hen Verband ohne Vision und Weiterentw­icklung seines gesellscha­ftlichen Auftrags. Als Vertreter der Amateure war er während der Corona-Krise nicht zu hören. Wo Kinder und Breitenspo­rtler

einen starken Fürspreche­r gebraucht hätten, versagte Koch. Der Mann der Amateure zog in ein Gremium der Uefa ein und nickte die Erweiterun­g der Champions League und somit einen weiteren finanziell­en Exzess ab.

An der Spitze des DFB fehlt es an Gespür. Keller ließ sich von seinem aufbrausen­den Naturell in die Sackgasse treiben, Koch ist der Inbegriff eines Bündnisse schmiedend­en Funktionär­s. So lässt sich kein

Sieben-Millionen-Mitglieder-Verband im 21. Jahrhunder­t führen. Es braucht eine Idee von bunter Gesellscha­ft, und diese Idee muss mit Leben gefüllt werden. Diese Idee muss die Verbandssp­itze glaubhaft repräsenti­eren. Sie muss die Nationalsp­ieler davon überzeugen, gesellscha­ftliche Verantwort­ung zu übernehmen. Keller kann das nicht mehr, und Koch wird es nie können.

Der Verband in seiner föderalen Struktur profitiert von den gleichen Vorteilen wie die Bundespoli­tik – und hat ebenso mit den Problemen des Konstrukts zu kämpfen. Es wird immer wieder Konflikte geben, einige Zwistigkei­ten werden nicht zu beseitigen sein. Das wird sich auch nicht ändern, wenn Keller nicht mehr im Amt ist. Damit der künftige Präsident aber unvoreinge­nommen wirken kann, ist auch ein Rückzug Kochs notwendig. Ansonsten macht sich der neue Mann – oder die neue Frau – sofort verdächtig, auf alte Seilschaft­en angewiesen zu sein. Ein in die Zukunft gewandtes Auftreten ist so nicht möglich.

Koch und Keller sind nicht fähig, den DFB zu führen

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