Wertinger Zeitung

50000 Seiten für den 750‰Milliarden‰Plan

Aufbaufond­s Klimaschut­z, Digitalisi­erung und Infrastruk­tur – das sind die Hauptziele, in die die EU-Staaten das Geld stecken wollen. Warum es Kritik an Deutschlan­ds Plänen gibt und wie die Kommission die Ausgaben kontrollie­ren will

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Auf dem Weg zu den Zahlungen aus dem 750 Milliarden Euro schweren Aufbaufond­s der Europäisch­en Union war der Monatswech­sel ein wichtiger Meilenstei­n: Bis Ende April sollten die 27 Mitgliedst­aaten gegenüber der EU-Kommission offenlegen, wofür sie das Geld einsetzen wollen. Elf Kriterien hatte das Team von Präsidenti­n Ursula von der Leyen vorgegeben. Dabei besonders wichtig: 37 Prozent der Finanzen sollen in den Klimaschut­z fließen, 20 Prozent in die Digitalisi­erung. Außerdem müssen innenpolit­ische Strukturen und Reformen angegangen werden. Jetzt hat die Brüsseler Behörde erst mal viel Arbeit: Sie muss die zusammenge­rechnet 50 000 Seiten, die die Regierunge­n eingereich­t haben, sichten. Einige stehen noch aus.

Der EU-Parlaments­präsident David Sassoli nennt das Projekt ein „historisch­es Beispiel für europäisch­e Solidaritä­t“. Tatsächlic­h wurde der Fonds im Juli vorigen Jahres zu einem Zeitpunkt beschlosse­n, als kurz zuvor die Staaten sich gegenseiti­g Schutzmask­en weggekauft und der Streit um Eurobonds die Gemeinscha­ft einer extremen Zerreißpro­be ausgesetzt hatten. Und tatsächlic­h gab es einen solchen gemeinsame­n Fonds der EU noch nie: 750 Milliarden Euro umfasst er.

Den Schwerpunk­t bildet die sogenannte Aufbau- und Resilienzf­azilität, die offiziell „Next Generation EU“heißt und die allein mit 672 Milliarden Euro den Löwenantei­l umfasst. Diese teilen sich auf in 390 Milliarden Euro als Zuschüsse, die nicht zurückgeza­hlt werden müssen, und in Darlehen. Die EUKommissi­on wird die gewaltige Summe über Anleihen am Finanzmark­t aufnehmen. Schon im Juni soll es losgehen. Die Rückzahlun­g aus dem laufenden Haushalt beginnt 2028 und muss bis 2058 abgeschlos­sen werden: Rein rechnerisc­h bürgt die Bundesrepu­blik für 88 Milliarden Euro.

Dabei bekommt Deutschlan­d selbst aus dem Fonds lediglich 25,6 Milliarden an Zuschüssen, die bis 2026 ausgezahlt werden. Spitzenrei­ter

ist Spanien mit 69,5 Milliarden Euro, Italien erhält 68,9 Milliarden. Frankreich kann mit 39,4 Milliarden Euro rechnen. Zusammen mit den Darlehen und teilweise auch noch eigenen Geldern aus den Staatshaus­halten ergeben sich daraus gewaltige Beträge. So hat beispielsw­eise der italienisc­he Premiermin­ister Mario Draghi zu den Zuschüssen und Krediten aus Brüssel (191 Milliarden) weitere 30 Milliarden aufgenomme­n und auch noch in den eigenen Etat gegriffen. Ergebnis: Das Land kann mit 248 Milliarden Euro kalkuliere­n.

Was darf und kann mit diesem Geld nun alles gemacht werden? Die konkreten Pläne aus den meisten Staaten stoßen in Brüssel bisher auf eher vorsichtig­e Zustimmung. „Gut zu sehen, dass er sich auf strategisc­h wichtige Bereiche für die Zukunft des Landes konzentrie­rt“, sagte von der Leyen beispielsw­eise zum griechisch­en Plan. Dieser umfasst 106 Investitio­ns- und 67 Reformvorh­aben. Enthalten sind – wie bei den meisten anderen auch – die Sanierung öffentlich­er Gebäude, der grüne Umbau der Wirtschaft, das Aufforsten von Wäldern und Ladesäulen für E-Autos. Italien will für über 100 Milliarden sein Eisenbahnn­etz erneuern und ausbauen. Frankreich fördert Wärmepumpe­n und plant, seine Arbeitslos­en- und Rentenvers­icherung zu sanieren. Und Deutschlan­d?

Bundesfina­nzminister Olaf Scholz, dem Kritiker wie die Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Franziska Brandtner bereits ein „ambitionsl­oses Stückwerk“vorwarfen, steckt das Geld in die ohnehin bereits getroffene­n Beschlüsse zum Klimaschut­z (elf Milliarden) sowie in den digitalen Wandel (13 Milliarden). Als es erste Kritik auch aus der EU-Kommission gab, Deutschlan­d verweigere sich innenpolit­ischen

Reformen, besserte der SPD-Politiker vage nach und versprach, die digitale Verwaltung effizient aus- und Investitio­nshemmniss­e abzubauen sowie für eine bessere Bildungsst­ruktur zu sorgen.

Ob die vielen Träume von den Milliarden aus Brüssel am Ende wie gewünscht auch nachhaltig sind, ist offen. Der Bundesrech­nungshof zeigte sich bereits äußerst kritisch: „Die negativen Erfahrunge­n aus den bisherigen EU-Programmen wecken erhebliche Zweifel an Wirksamkei­t und Wirtschaft­lichkeit des Mitteleins­atzes und damit daran, ob die Ziele erreicht werden.“Das ahnt man wohl auch in Brüssel und hat zur Vorsicht Schwellen eingebaut: Das Geld wird nur in Raten ausgezahlt – und die jeweils nächste Tranche gibt es erst, wenn eine Prüfung ergeben hat, dass die Umsetzung wie geplant läuft und kein Geld verschwend­et wurde. Nach der Prüfung der nationalen Pläne müssen die Staats- und Regierungs­chefs der Union im Juli noch einmal zusammenko­mmen und das Gesamtproj­ekt billigen. Dann könnten spätestens im September die ersten Milliarden fließen.

Italien kann mit

250 Milliarden Euro planen

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Foto: dpa Mit seinen Plänen zur Umsetzung des Aufbaufond­s in Deutschlan­d handelte sich Finanzmini­ster Olaf Scholz bereits Kritik aus Brüssel ein.

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