Wertinger Zeitung

Corona‰Frust bei den Jüngsten

Gesellscha­ft Kinder und Jugendlich­e leiden unter den Einschränk­ungen der Pandemie. Einsamkeit, Langeweile und Familienst­reit belasten den Gefühlshau­shalt. Wie eine junge Familie die Pandemie erlebt und was Politiker verbessern wollen

- VON ANDREAS DENGLER Symbolfoto: Alexander Kaya

Augsburg Kurz vor 8 Uhr an einem Schultag. Die achtjährig­e Katharina Jakob frühstückt mit ihrer Mama Anna und ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester Johanna. „Mama, wann wird Corona wieder weniger?“, fragt Katharina. Ein kurzes Stocken. Die Antwort bleibt die Mutter schuldig. Sobald der Esstisch abgeräumt ist, wird die Küche zum Klassenzim­mer. Katharina besucht die zweite Klasse, das Hin und Her zwischen Distanz- und Präsenzunt­erricht gehört zu ihrem Alltag. Ein ganz normales Schuljahr hat das Mädchen aus dem Landkreis Augsburg bisher nicht erlebt. „Keiner hat mehr die Energie, die Kinder zu motivieren“, sagt Mutter Anna Jakob. Sie klingt erschöpft.

Nicht nur Katharinas Familie ist nach einem Jahr Pandemie geschlauch­t. Mehr als 128000 Beratungen führte das Sorgentele­fon „Nummer gegen Kummer“im vergangene­n Jahr. Kinder, Jugendlich­e und Eltern wählten die Nummer, weil ihnen die Corona-Situation zu schaffen machte. Einsamkeit, Langeweile, Familienst­reit und die psychische Belastung waren die Gründe, warum Kinder und Jugendlich­e die Beratungss­telle anriefen oder online anschriebe­n. Mehr als 33 000 Eltern, so viele wie noch nie zuvor, meldeten sich wegen der Betreuungs­situation, des Distanzunt­errichts, der gesundheit­lichen und finanziell­en Folgen oder der Konflikte innerhalb der Familie beim Elterntele­fon. Aus den Anrufen entwickelt­en sich 18000 Eltern-Beratungen. Das sind 64 Prozent mehr als noch im Jahr 2019.

Katharinas Mutter kann diese Sorgen gut verstehen. Sie ist selbststän­dige Maßschneid­erin für Brautund Festtagsmo­de. Im Moment ruht ihr Geschäft. Brautkleid­er sind in der Pandemie wenig gefragt und Nähkurse bei den geltenden Regeln nicht möglich. Das Schlimmste sei, dass sie nicht planen könne, weder beruflich noch familiär, sagt die 36-jährige Mutter. Denn um ihr Unternehme­n aus der Krise zu führen, müsste sie erst wissen, wie es für ihre Töchter weitergeht.

Das Institut für Sozialpäda­gogische Forschung in Mainz führte unter den 559 Jugendämte­rn in Deutschlan­d eine Umfrage zu den Folgen der Corona-Pandemie für

Kinder, Jugendlich­e und Familien durch. Es kommt zum Ergebnis, dass Kinder zwischen sechs und 13 Jahren besonders stark von den Auswirkung­en der Pandemie betroffen sind. Die Folgen für die Bildung sind laut der Studie schon längst ein Mittelschi­chtproblem.

Das zeigt sich auch bei Familie Jakob: Die kleine Schwester hüpft durchs Zimmer, wenn Katharina ihre Rechenaufg­aben löst. „Das soziale Lernen in der Klasse fehlt sehr“, sagt Jakob. Große Wissenslüc­ken befürchtet die Mutter für die Tochter aber noch nicht.

„Wir sind privilegie­rt“, gesteht Anna Jakob. Ihr Ehemann hat trotz Kurzarbeit ein sicheres Einkommen und sie kann die Betreuung der

Töchter übernehmen. Das Einfamilie­nhaus mit Garten bietet der jungen Familie Freiheit trotz geltender Beschränku­ngen. Dennoch, die Kinder seien frustriert, beschreibt die Mutter die Situation. Vor den beiden Töchtern versucht sie, keine Angst vor dem Coronaviru­s zu verbreiten. „Mein Mann und ich legen großen Wert darauf, sie nicht zu belasten.“Psychische Auffälligk­eiten blieben bei den Mädchen zum Glück bisher aus.

Das ist aber nicht in allen Familien so. Unicef veröffentl­ichte vor kurzem den Bericht zur Lage der Kinder in Deutschlan­d im Jahr 2021. Der Report mit dem Titel „Kinder – unsere Zukunft!“warnt vor gravierend­en Konsequenz­en für das kindliche Wohlbefind­en. Die Corona-Pandemie verschärft bestehende Probleme und stellt Eltern vor große Herausford­erungen, ihre Kinder bestmöglic­h zu unterstütz­en. Laut des Berichts waren schon vor der Pandemie mehr als jedes fünfte Mädchen und nahezu jeder siebte Junge im Alter von 15 Jahren unzufriede­n mit seinem Leben.

Nach einem Jahr Corona-Pandemie sind die Zahlen gestiegen. Ein solches Bild zeichnet zumindest die Copsy-Studie des Universitä­tsklinikum­s Hamburg-Eppendorf. Vier von fünf Kindern und Jugendlich­en fühlen sich demnach durch die Corona-Pandemie belastet. Fast jedes dritte Kind ist infolge der Pandemie psychisch auffällig – so lautet das

Ergebnis der breit angelegten Studie.

Sind Kinder und Jugendlich­e also die Vergessene­n der Corona-Pandemie? Der Freie-Wähler-Landtagsab­geordnete Fabian Mehring hält nichts von der Debatte, wer der größere Krisenverl­ierer ist. „Zu Recht wurde in der Pandemie viel über die Senioren und über die Wirtschaft gesprochen, aber jetzt muss die Jugend und deren Zukunft zum Thema werden“, sagt er.

Mit einem Antrag fordern Freie Wähler und CSU einen Ausbau der psychiatri­schen, psychother­apeutische­n und psychosozi­alen Versorgung­sangebote für Kinder und Jugendlich­e in Bayern. Im Moment wird das Vorhaben im Landtag im

Ausschuss für Arbeit und Soziales behandelt. „Die soziale Belastung von Kindern und Jugendlich­en während der Corona-Pandemie ist enorm“, sagt Mehring. Der Antrag ist nur eine von vielen geplanten Maßnahmen, die Kindern und Jugendlich­en während und nach der Pandemie helfen soll.

Der Vorsitzend­e der Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Landesjuge­ndämter, Lorenz Bahr, fordert ebenfalls mehr Unterstütz­ung für die Jugend. Die Corona-Pandemie werfe die Kinder- und Jugendhilf­e um fünf Jahre zurück, erklärt Bahr. „Keiner kann die persönlich­e Entwicklun­g in zwei Jahren Kindheit, die verloren gegangen sind, nachholen.“Die Aufgabe der Jugendämte­r sei es, in den kommenden Monaten zusätzlich­e Angebote zu bieten, um Kindern, Jugendlich­en und Familien wieder Halt im Alltag zu geben.

Mehr Kinderschu­tz will auch das Kinder- und Jugendstär­kungsgeset­z ermögliche­n. Im Bundestag wurde die Änderung des Achten Sozialgese­tzbuchs

Corona‰Folgen sind längst ein Mittelschi­chtproblem

Nun soll die Prävention gestärkt werden

bereits verabschie­det, in den kommenden Wochen muss es den Bundesrat passieren. „Ich hoffe sehr, dass es noch in dieser Legislatur­periode abgeschlos­sen wird“, sagt die SPD-Bundestags­abgeordnet­e Ulrike Bahr, die den Entwurf mit ausgearbei­tet hatte.

Bereits vor der Corona-Krise wurde an einer Aktualisie­rung des Gesetzes gefeilt. Die Pandemie habe die Situation vieler Familien verschärft, sagt Bahr. „Es ist jetzt umso wichtiger, die Belange von Kindern und Jugendlich­en zu schützen“, erklärt die Augsburger Abgeordnet­e. Mit der Überarbeit­ung des Gesetzes werde der Staat nicht nur seiner Fürsorgepf­licht gerecht, sondern auch Partner von Kindern und Jugendlich­en. Es gehe um besseren Kinderschu­tz, und zwar für alle Kinder und Jugendlich­en in Deutschlan­d, fasst die SPD-Politikeri­n das geplante Sozialgese­tz zusammen.

Die Gesetzesän­derung sieht unter anderem eine Stärkung der Kitas, ein breiteres Freizeitan­gebot und eine bessere Prävention vor. Damit profitiere­n nicht nur Kinder aus einem schwierige­n Umfeld, sondern auch Kinder wie Katharina und ihre Schwester. Im Moment hat Katharina nur einen Wunsch: Sie will zum Turnen. Aber das ist erst möglich, wenn Corona wieder weniger ist.

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Kinder und Jugendlich­e kämpfen besonders hart mit den Einschränk­ungen während der Corona‰Pandemie.

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