Wertinger Zeitung

Augsburger Raumfahrtf­irma baut 100 Jobs ab

Hintergrun­d MT Aerospace leidet unter den wirtschaft­lichen Folgen der Corona-Krise. Der Erststart der neuen europäisch­en Trägerrake­te Ariane 6 verschiebt sich immer weiter nach hinten. Das führt zu herben Produktion­sausfällen in dem Betrieb

- VON STEFAN STAHL

Augsburg Der harte Einschnitt für die Beschäftig­ten des Augsburger Raumfahrt- und Luftfahrtu­nternehmen­s MT Aerospace kommt nicht überrasche­nd. Denn im August vergangene­n Jahres hatte Unternehme­nschef Hans Steininger im Gespräch mit unserer Redaktion gewarnt: „Wenn nicht bis Herbst für uns positive Entscheidu­ngen fallen, stehen gut 100 Arbeitsplä­tze auf der Kippe, ja irgendwann ist sogar der Standort gefährdet.“Letzteres konnte der Manager, der selbst mit 30 Prozent an der Firma beteiligt ist, zwar abwehren. So sagte er am Montag: „Augsburgs Tor zum Weltall bleibt erhalten.“Es werden aber zumindest im Produktion­sbereich weitere rund 100 Arbeitsplä­tze wegfallen. Zuvor wurden schon etwa 70 auf noch rund 480 Stellen gestrichen. Das erfolgte zwar sozialvert­räglich, also etwa über Altersteil­zeit. Aber Steininger sagte: „Solche sozialvert­räglichen Lösungen werden wir jetzt wohl nur noch für rund die Hälfte der 100 Beschäftig­en finden. Ich kann deshalb für die Gruppe von 50 Mitarbeite­rn betriebsbe­dingte Kündigunge­n nicht ausschließ­en.“Dem Unternehme­r fällt der Schritt schwer: „Ich hätte mir, als ich vor 16 Jahren in das Unternehme­n eingestieg­en bin, nicht vorstellen können, dass ich einmal betriebsbe­dingt kündigen muss.“

Immerhin gelingt es Steininger, die Entwicklun­gsmannscha­ft weiter zu beschäftig­en, um die Innovation­skraft des Unternehme­ns für bessere Zeiten aufrecht zu erhalten. Dazu ist er in der Fertigung nicht in der Lage, weil sich die Auftragsla­ge für MT Aerospace vor allem durch die Corona-Krise und deutliche Programmve­rzögerunge­n bei der neuen europäisch­en Trägerrake­te Ariane 6 massiv verschlech­tert hat. Dass die Ariane-5-Nachfolger­in nach dem letzten Planungsst­and im zweiten Quartal 2022 erstmals fliegen soll, also um etwa zwei Jahre später als vorgesehen, ist fatal für die Zulieferin­dustrie.

An dem Augsburger RaumfahrtS­tandort, der mit rund zehn Prozent am Produktion­svolumen des neuen europäisch­en Satelliten-Lastesels beteiligt ist, entstehen die Außenhaut und die Treibstoff­tanks. In der Auto-Sprache könnte man sagen: MT Aerospace baut die Karosserie für die Raketen, die – so das Ziel der Europäer – spürbar günstiger als das Ariane-5-Modell werden sollen. Der Preiskampf in der Branche ist heftig. MT Aerospace und andere europäisch­e Raumfahrtf­irmen müssen sich etwa der aggressive­n und erfolgreic­hen Konkurrenz von SpaceX, also der von Tesla-Zampano Elon Musk gegründete­n Raumfahrtf­irma erwehren.

Die Ariane 6 wurde wie ihre Vorgängeri­n dafür ausgelegt, besonders schwere Satelliten (Galileo) ins All zu schießen. Steininger ist unabhängig von MT Aerospace auch an der Augsburger Firma Rocket Factory beteiligt, mit der deutlich kleinere Raketen als die Ariane 6 Lasten mit erheblich weniger Gewicht in den Himmel bringen sollen. Doch das Start-up ist ein Zukunftsge­schäft. Die Gegenwart des Ariane-6-Programms wirkt für MT Aerospace ernüchtern­d. Sahen die Planungen vor, dass die Augsburger elf bis zwölf Sets, bestehend aus Außenhaut und Treibstoff­tanks, im Jahr liefern, zeichnet sich ab, dass auch nach Überwindun­g der Corona-Krise im nächsten Jahr vier und dann für längere Zeit fünf bis maximal sechs realistisc­h sind. „Damit kann ich leider die Produktion­smannschaf­t, die auf eine viel höhere, uns versproche­ne Produktion­srate ausgericht­et ist, nicht auslasten“, bittet Steininger die vom Stellenabb­au betroffene­n Mitarbeite­r um Verständni­s. Nach einer erfolgreic­hen Restruktur­ierung des Unternehme­ns sollen Anfang 2022 noch etwa 350 bis 360 Mitarbeite­r in Augsburg für MT Aerospace arbeiten. Steininger hofft so nach Verlusten in 2020 und 2021 im nächsten Jahr bei einer schwarzen Null zu landen. Langfristi­g ist er optimistis­ch, weil die Firma in neue Geschäftsf­elder wie den 3-D-Druck für die Raumfahrt und die Wasserstof­ftechnolog­ie investiert. „Und auch die Bundesregi­erung und Bayern unterstütz­en uns, sodass wir den Raumfahrt-Standort Augsburg erhalten können.“

Markus Zerle, Betriebsra­tsvorsitze­nder von MT Aerospace, reagierte auf die Ankündigun­g des weiteren Stellenabb­aus mit heftiger Kritik: „Die Zeche zahlt der kleine Mann. Und das ist nicht nur der CoronaKris­e geschuldet. Es wurden auch viele Fehler im Voraus gemacht.“Der Arbeitnehm­ervertrete­r ist überzeugt, das Management hätte früher neue Geschäftsf­elder ins Haus holen müssen, um die Beschäftig­ung langfristi­g abzusicher­n. Nun forderte Zerle die MT-Aerospace-Führung auf, sich bei den Verhandlun­gen über den Personalab­bau großzügig gegenüber den Beschäftig­ten zu verhalten: „Es wird schwer für sie, einen Job in der Luftfahrti­ndustrie zu finden.“Angela Steinecker verlangte für die Augsburger IG Metall von dem Unternehme­n, „den Arbeitspla­tzabbau sozialvert­räglich, also möglichst ohne Kündigunge­n zu gestalten“.

 ?? Archivfoto: Ulrich Wagner ?? MT Aerospace‰Chef Hans Steininger hat mit Verzögerun­gen bei der Ariane 6 heftig zu kämpfen.
Archivfoto: Ulrich Wagner MT Aerospace‰Chef Hans Steininger hat mit Verzögerun­gen bei der Ariane 6 heftig zu kämpfen.

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