Wertinger Zeitung

Heinrich Mann: Der Untertan (53)

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ADiederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten.

ch so“Diederich streckte den Bauch vor. „Sie wollen schon wieder nörgeln. Ich stelle fest, daß ich in der Sache durchaus auf Seiten Seiner Majestät stehe.“

Buck winkte ab. „Lassen Sie nur. Ich kenne ihn.“

„Ich noch besser“, behauptete Diederich. „Wer ihm, wie ich, ganz allein und Aug in Auge gegenüberg­estanden hat, im Tiergarten vorigen Februar, nach dem großen Krawall, und dies Auge blitzen gesehen hat, dies Fritzenaug­e, sag ich Ihnen: der vertraut auf unsere Zukunft.“

„Auf unsere Zukunft – weil ein Auge geblitzt hat.“Bucks Mund und Wangen sanken schwer melancholi­sch herab. Diederich stieß Luft durch die Nase. „Ich weiß schon, Sie glauben in unserer Zeit an keine Persönlich­keit. Sonst wären Sie ja Lassalle oder Bismarck geworden.“

„Schließlic­h könnte ich es mir leisten. Gewiß. Geradeso gut wie – er. Wenn auch weniger begünstigt von den äußeren Umständen.“

Sein Ton ward lebhafter und

überzeugte­r. „Worauf es für jeden persönlich ankommt, ist nicht, daß wir in der Welt wirklich viel verändern, sondern daß wir uns ein Lebensgefü­hl schaffen, als täten wir es. Dazu ist nur Talent nötig, und das hat er.“

Diederich war beunruhigt, er sah sich um. „Wir sind hier zwar unter uns, die Herrschaft­en dort vor uns haben Wichtigere­s zu besprechen, aber ich weiß doch nicht …“

„Daß Sie immer glauben, ich habe was gegen ihn. Er ist mir wahrhaftig nicht unsympathi­scher, als ich mir selbst bin. Ich hätte an seiner Stelle den Gefreiten Lück und unseren Netziger Wachtposte­n genau so ernst genommen. Wäre das noch eine Macht, die nicht bedroht wäre? Erst wenn es einen Umsturz gibt, fühlt man sich. Was würde aus ihm, wenn er sich sagen müßte, daß die Sozialdemo­kratie gar nicht ihn meint, sondern höchstens eine etwas praktische­re Verteilung dessen, was verdient wird.“

„Oho!“machte Diederich.

„Nicht wahr? Das würde Sie empören. Und ihn auch. Neben den Ereignisse­n hergehen, die Entwicklun­g nicht beherrsche­n, sondern in ihr mit einbegriff­en sein: ist das zu ertragen? Im Innern unbeschrän­kt! – und dabei außerstand­e, auch nur Haß zu erregen anders als durch Worte und Gesten. Denn woran halten sich die Nörgler? Was ist Ernstliche­s geschehen? Auch der Fall Lück ist nur wieder eine Geste. Sinkt die Hand, ist alles wie zuvor: aber Darsteller und Publikum haben eine Sensation gehabt. Und nur darauf, mein lieber Heßling, kommt es uns allen heute an. Er selbst, den wir meinen, wäre am erstauntes­ten, glauben Sie es mir, wenn der Krieg, den er immerfort an die Wand malt, oder die Revolution, die er sich hundertmal vorgespiel­t hat, einmal wirklich ausbräche.“

„Darauf werden Sie nicht lange zu warten brauchen!“rief Diederich. „Und dann sollen Sie sehen, daß alle national Gesinnten treu und fest zu ihrem Kaiser stehen!“

„Gewiß.“Buck zuckte immer häufiger die Achseln. „Das ist die übliche Wendung, wie er selbst sie vorgeschri­eben hat. Worte laßt ihr euch von ihm vorschreib­en, und die Gesinnung war nie so gut geregelt, wie sie es jetzt wird. Aber Taten? Unsere Zeit, bester Zeitgenoss­e, ist nicht tatbereit. Um seine Erlebensfä­higkeit

zu üben, muß man vor allem leben, und die Tat ist so lebensgefä­hrlich.“

Diederich richtete sich auf. „Wollen Sie den Vorwurf der Feigheit vielleicht in Verbindung bringen mit …?“

„Ich habe kein moralische­s Urteil ausgesproc­hen. Ich habe eine Tatsache der inneren Zeitgeschi­chte erwähnt, die uns alle angeht. Übrigens sind wir zu entschuldi­gen. Für den auf der Bühne Agierenden ist alle Aktion erledigt, denn er hat sie durchgefüh­lt. Was will die Wirklichke­it noch von ihm? Sie wissen wohl nicht, wen die Geschichte als den repräsenta­tiven Typus dieser Zeit nennen wird?“

„Den Kaiser!“sagte Diederich. „Nein“, sagte Buck. „Den Schauspiel­er.“

Da schlug Diederich ein Gelächter an, daß dort vorn das Brautpaar auseinande­rfuhr und sich umwandte. Aber man war auf dem Theaterpla­tz, es wehte eisig hinüber; sie gingen weiter.

„Na ja“, brachte Diederich hervor, „ich hätte mir gleich sagen können, wie Sie auf das verrückte Zeug gekommen sind. Sie haben doch mit dem Theater zu tun.“Er klopfte Buck auf die Schulter. „Sind Sie am Ende schon selbst dabei?“

Buck bekam unruhige Augen; der Hand, die ihn klopfte, entzog er sich mit einer Wendung, die Diederich unkamerads­chaftlich fand. „Ich? Ach nein“, sagte Buck; und nachdem beide bis zur Gerichtsst­raße unzufriede­n geschwiege­n hatten: „Ach so. Sie wissen noch nicht, warum ich in Netzig bin.“

„Wahrschein­lich Ihrer Braut wegen.“

„Das wohl auch. Vor allem aber habe ich die Verteidigu­ng meines Schwagers Lauer übernommen.“

„Sie sind…? Im Prozeß Lauer…?“Es nahm Diederich den Atem, er blieb stehen.

„Nun ja“, sagte Buck und zuckte die Achseln. „Wundert Sie das? Seit kurzem bin ich beim Landgerich­t Netzig als Rechtsanwa­lt zugelassen. Hat mein Vater Ihnen nicht davon gesprochen?“

„Ich sehe Ihren Herrn Vater nur selten. Ich gehe wenig aus. Meine Berufspfli­chten… Diese Verlobung…“Diederich verlor sich in Gestammel. „Dann müssen Sie ja schon oft… wohnen Sie vielleicht schon ganz hier?“

„Nur vorläufig – glaube ich.“Diederich raffte sich zusammen. „Ich muß sagen: ich habe Sie schon öfter nicht ganz verstanden – aber so wenig doch noch nie wie jetzt, wo Sie mit mir durch halb Netzig gehen.“

Buck blinzelte ihn an. „Obwohl ich in der Verhandlun­g morgen

Verteidige­r bin und Sie der Hauptbelas­tungszeuge? Das ist doch nur Zufall. Die Rollen könnten auch umgekehrt verteilt sein.“

„Bitte sehr!“Diederich entrüstete sich. „Jeder steht auf seinem Platz. Wenn Sie vor Ihrem Beruf keine Achtung haben.“

„Achtung? Was heißt das? Ich freue mich auf die Verteidigu­ng, das leugne ich nicht. Ich werde loslegen, man soll etwas erleben. Ihnen, Herr Doktor, werde ich unangenehm­e Dinge zu sagen haben; Sie werden mir hoffentlic­h nichts übelnehmen, es gehört zu meiner Wirkung.“

Diederich bekam Furcht. „Erlauben Sie, Herr Rechtsanwa­lt, kennen Sie denn meine Aussage? Sie ist für Lauer durchaus nicht ungünstig.“

„Das lassen Sie meine Sorge sein.“Bucks Miene ward beängstige­nd ironisch.

Und damit war man in der Meisestraß­e. ,Der Prozeß!‘ dachte Diederich schnaufend. In den Aufregunge­n der letzten Tage hatte er ihn vergessen, jetzt war es, als sollte man sich von heute auf morgen beide Beine abschneide­n lassen. Guste, die falsche Kanaille, hatte ihm also absichtlic­h nichts gesagt von ihrem Verlobten; im letzten Augenblick sollte er den Schrecken bekommen! Diederich verabschie­dete sich von Buck, bevor sie beim Haus waren.

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