Vom Alltag an der Zapfsäule
Porträt Über den Waschanlagen-Pinkler kann Tankstellenbetreiberin Michaela Morhart mittlerweile lachen. Über andere Aufnahmen ihrer Überwachungskamera nicht
Zusmarshausen Ein Auge wirft Michaela Morhart immer auf die Zapfsäulen. Wer kommt als Nächstes? Die Betreiberin der Avia-Tankstelle in Zusmarshausen hat in all den Jahrzehnten hinter der Kasse ein gutes Gespür für die Menschen. Etwa 700 Kunden kommen jeden Tag in ihr Geschäft. Aus ganz unterschiedlichen Gründen. Vom netten Stammgast bis zum Tank-Schwindler ist alles dabei. Morhart gibt Einblick in den teils kuriosen Alltag an der Zapfsäule.
Auf einem Ordner hat sie die „Highlights“der vergangenen Jahre allesamt gespeichert – auch für die Polizei. Heute kann Morhart über die meisten kuriosen Clips lachen.
Zum Beispiel über den Mann, der mitten in der Waschanlage steht und pinkelt. „Das war ein auswärtiger Busfahrer“, sagt Morhart. Den habe sie danach nie wieder gesehen. „Das war gleich am ersten Tag, als wir die Kamera neu hatten“, erinnert sie sich. Die habe sie nicht ohne Grund installiert. Denn es gibt auch vieles zu sehen, das für Kopfschütteln sorgt.
Ein junger Mann kommt mitten in der Nacht mit einem Fahrrad zur Tankstelle. Er nimmt das Rad über seinen Kopf und wirft es mit voller Wucht gegen die Eingangstür. Dann haut er ab. Die Polizei stellt ihn wenig später, offenbar war er berauscht. Doch gerade als Morhart eine neue Tür eingebaut hatte, kam er zurück. Die Aufnahmen zeigen, wie er erneut ein Fahrrad dagegen werfen möchte. „Zum Glück konnten mein Hausmeister und eine Mitarbeiterin ihn aufhalten“, sagt die Tankstellenbetreiberin. Natürlich habe sie den Mann angezeigt. Genauso wie den, der wochenlang jeden Sonntag eine Flasche Jack Daniels klaute. Oder den, der eines Nachts mit Steinen gegen die Schiebetür geworfen hat. Die Aufnahmen zeigen einen vermummten jungen Mann, der immer wieder Steine wirft und gegen die Scheibe tritt. „Ich bin mir sicher, der wollte einbrechen“, meint Morhart. Doch irgendwann hört er auf und rennt daMorhart: „Da bekommt man schon Angst.“
Auf Morharts Schreibtisch liegt ein dicker Ordner mit allen Zwischenfällen. 13 waren es allein in diesem Jahr. Während die 57-Jährige ihn durchblättert, wechselt sie ins Tankstellen-Fachjargon. „Wegfahrer“fänden sich in dem Ordner zum
Beispiel, sagt die Chefin. Also Leute, die tanken und dann einfach davonfahren.
Auch davon hat Morhart einen besonderen Fall auf Band. Die Aufnahme zeigt eine Frau, die nachts an die Zapfsäule fährt. Sie wirkt betrunken, kann sich während des Tankens kaum auf den Beinen halvon. ten. Noch während der Zapfhahn im Auto steckt, steigt sie wieder in den Wagen und gibt Gas. Die Folge: „Damals sind 300 Liter Benzin ausgelaufen“, erinnert sich die Tankstellen-Chefin. Ein Ausnahmefall.
Häufiger seien die sogenannten „Nichtzahler“, die zwar ins Geschäft kommen, dann aber nicht die ganze Rechnung begleichen. Und schließlich: „Säulenverwechsler“, welche die falsche Rechnung begleichen.
Ob mit Absicht oder nicht, lasse sich nicht immer sagen. Die allermeisten Fälle werden aufgeklärt. Die Polizei Zusmarshausen berichtete zuletzt, dass Tankbetrug zunehme. Morhart könne das aber nicht bestätigen.
Seit mehr als 30 Jahren arbeitet die Schwabmünchnerin schon in der Branche. Seit mittlerweile elf Jahren betreibt sie die Tankstelle in Zusmarshausen. Man merkt ihr an, dass ihre Arbeit sie erfüllt. Denn neben all den kuriosen Szenen an der Zapfsäule seien es vor allem die zwischenmenschlichen Momente, für die es sich lohne, sagt Morhart. Die Stammkunden, die zum Kaffee kommen. Die ältere Dame, die immer Lotto spielen möchte. Oder das Paar aus Düsseldorf, das bei jeder Fahrt in den Urlaub einen Halt in Zusmarshausen macht. Stolz ist Morhart auch auf ihr Sortiment, das immer ein wenig aktueller sei als andere. Vom Energiedrink, über Haushaltswaren, Zigaretten oder Handyladekabel bis hin zum Backshop und Paketservice.
Ob sich ihre Arbeit in der Pandemie verändert hat? „Anfangs ja“, sagt Morhart. Im ersten Lockdown, als man ohne triftigen Grund nicht mehr das Haus verlassen durfte, sei es schlimm gewesen. Mittlerweile habe sich die Situation aber wieder weitestgehend normalisiert. Allerdings: „Wir merken schon, dass viele im Homeoffice sind.“Doch Morhart will nicht jammern. Sie sei froh, dass sie ihr Geschäft nicht schließen musste – wie viele andere.
Ordner auf dem Schreibtisch mit allen Zwischenfällen