Wertinger Zeitung

Vom Alltag an der Zapfsäule

Porträt Über den Waschanlag­en-Pinkler kann Tankstelle­nbetreiber­in Michaela Morhart mittlerwei­le lachen. Über andere Aufnahmen ihrer Überwachun­gskamera nicht

- VON PHILIPP KINNE

Zusmarshau­sen Ein Auge wirft Michaela Morhart immer auf die Zapfsäulen. Wer kommt als Nächstes? Die Betreiberi­n der Avia-Tankstelle in Zusmarshau­sen hat in all den Jahrzehnte­n hinter der Kasse ein gutes Gespür für die Menschen. Etwa 700 Kunden kommen jeden Tag in ihr Geschäft. Aus ganz unterschie­dlichen Gründen. Vom netten Stammgast bis zum Tank-Schwindler ist alles dabei. Morhart gibt Einblick in den teils kuriosen Alltag an der Zapfsäule.

Auf einem Ordner hat sie die „Highlights“der vergangene­n Jahre allesamt gespeicher­t – auch für die Polizei. Heute kann Morhart über die meisten kuriosen Clips lachen.

Zum Beispiel über den Mann, der mitten in der Waschanlag­e steht und pinkelt. „Das war ein auswärtige­r Busfahrer“, sagt Morhart. Den habe sie danach nie wieder gesehen. „Das war gleich am ersten Tag, als wir die Kamera neu hatten“, erinnert sie sich. Die habe sie nicht ohne Grund installier­t. Denn es gibt auch vieles zu sehen, das für Kopfschütt­eln sorgt.

Ein junger Mann kommt mitten in der Nacht mit einem Fahrrad zur Tankstelle. Er nimmt das Rad über seinen Kopf und wirft es mit voller Wucht gegen die Eingangstü­r. Dann haut er ab. Die Polizei stellt ihn wenig später, offenbar war er berauscht. Doch gerade als Morhart eine neue Tür eingebaut hatte, kam er zurück. Die Aufnahmen zeigen, wie er erneut ein Fahrrad dagegen werfen möchte. „Zum Glück konnten mein Hausmeiste­r und eine Mitarbeite­rin ihn aufhalten“, sagt die Tankstelle­nbetreiber­in. Natürlich habe sie den Mann angezeigt. Genauso wie den, der wochenlang jeden Sonntag eine Flasche Jack Daniels klaute. Oder den, der eines Nachts mit Steinen gegen die Schiebetür geworfen hat. Die Aufnahmen zeigen einen vermummten jungen Mann, der immer wieder Steine wirft und gegen die Scheibe tritt. „Ich bin mir sicher, der wollte einbrechen“, meint Morhart. Doch irgendwann hört er auf und rennt daMorhart: „Da bekommt man schon Angst.“

Auf Morharts Schreibtis­ch liegt ein dicker Ordner mit allen Zwischenfä­llen. 13 waren es allein in diesem Jahr. Während die 57-Jährige ihn durchblätt­ert, wechselt sie ins Tankstelle­n-Fachjargon. „Wegfahrer“fänden sich in dem Ordner zum

Beispiel, sagt die Chefin. Also Leute, die tanken und dann einfach davonfahre­n.

Auch davon hat Morhart einen besonderen Fall auf Band. Die Aufnahme zeigt eine Frau, die nachts an die Zapfsäule fährt. Sie wirkt betrunken, kann sich während des Tankens kaum auf den Beinen halvon. ten. Noch während der Zapfhahn im Auto steckt, steigt sie wieder in den Wagen und gibt Gas. Die Folge: „Damals sind 300 Liter Benzin ausgelaufe­n“, erinnert sich die Tankstelle­n-Chefin. Ein Ausnahmefa­ll.

Häufiger seien die sogenannte­n „Nichtzahle­r“, die zwar ins Geschäft kommen, dann aber nicht die ganze Rechnung begleichen. Und schließlic­h: „Säulenverw­echsler“, welche die falsche Rechnung begleichen.

Ob mit Absicht oder nicht, lasse sich nicht immer sagen. Die allermeist­en Fälle werden aufgeklärt. Die Polizei Zusmarshau­sen berichtete zuletzt, dass Tankbetrug zunehme. Morhart könne das aber nicht bestätigen.

Seit mehr als 30 Jahren arbeitet die Schwabmünc­hnerin schon in der Branche. Seit mittlerwei­le elf Jahren betreibt sie die Tankstelle in Zusmarshau­sen. Man merkt ihr an, dass ihre Arbeit sie erfüllt. Denn neben all den kuriosen Szenen an der Zapfsäule seien es vor allem die zwischenme­nschlichen Momente, für die es sich lohne, sagt Morhart. Die Stammkunde­n, die zum Kaffee kommen. Die ältere Dame, die immer Lotto spielen möchte. Oder das Paar aus Düsseldorf, das bei jeder Fahrt in den Urlaub einen Halt in Zusmarshau­sen macht. Stolz ist Morhart auch auf ihr Sortiment, das immer ein wenig aktueller sei als andere. Vom Energiedri­nk, über Haushaltsw­aren, Zigaretten oder Handyladek­abel bis hin zum Backshop und Paketservi­ce.

Ob sich ihre Arbeit in der Pandemie verändert hat? „Anfangs ja“, sagt Morhart. Im ersten Lockdown, als man ohne triftigen Grund nicht mehr das Haus verlassen durfte, sei es schlimm gewesen. Mittlerwei­le habe sich die Situation aber wieder weitestgeh­end normalisie­rt. Allerdings: „Wir merken schon, dass viele im Homeoffice sind.“Doch Morhart will nicht jammern. Sie sei froh, dass sie ihr Geschäft nicht schließen musste – wie viele andere.

Ordner auf dem Schreibtis­ch mit allen Zwischenfä­llen

 ?? Foto: Philipp Kinne ?? Seit elf Jahren betreibt Michaela Morhart die Avia‰Tankstelle in Zusmarshau­sen. Etwa 700 Kunden kommen jeden Tag in ihr Ge‰ schäft. Vom netten Stammgast bis zum Tank‰Schwindler ist alles dabei.
Foto: Philipp Kinne Seit elf Jahren betreibt Michaela Morhart die Avia‰Tankstelle in Zusmarshau­sen. Etwa 700 Kunden kommen jeden Tag in ihr Ge‰ schäft. Vom netten Stammgast bis zum Tank‰Schwindler ist alles dabei.

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