Der neue SiemensChef schwimmt sich frei
Porträt Roland Busch ist ein anderer Managertyp als sein Vorgänger Joe Kaeser, der bis heute immer wieder politisch Position bezieht. Busch spielt als Physiker vor allem seine technologische Kompetenz aus und ist ein Teamspieler
München Joe Kaeser weiß, wie es geht. Mit einigen griffigen, zugespitzten und persönlich gehaltenen Sätzen findet er schlafwandlerisch sicher den Weg in die Medien. So erzählte der 63-Jährige im Februar nach seinem Abschied als SiemensChef, dass er es vom Arbeiterkind im Bayerischen Wald zum Vorstandsvorsitzenden gebracht habe, um sogleich kritisch zu ergänzen: „Es wäre wünschenswert, wenn Arbeiterkinder heute noch solche Karrieren schaffen könnten.“Wer in der Welt der Topmanager aufwachse und schon ein Elternteil im Vorstand saß, habe sicher einen Vorteil. Doch Kaeser, der sich mittlerweile im Siemens-Kosmos auf den Aufsichtsratsvorsitz der Energiesparte konzentriert, fügte hinzu: „Es ist auch ein Vorteil, wenn man die Welt nach und nach für sich erobert.“Mit ein paar Sätzen erzählt der Manager eine Geschichte und verknüpft damit eine Botschaft.
Die Vorzüge seines Nachfolgers Roland Busch schilderte Kaeser kurz und knackig, indem er ihm schmunzelnd attestierte, „Hubraum im Hirn“zu haben. Der alte Siemens-Chef hätte auch Politiker oder Journalist werden können. Der promovierte Physiker Busch hingegen ist bisher nicht durch Selbstbekenntnisse, kritische Twitter-Kommentare gegen AfD-Politikerinnen wie Alice Weidel oder lustvoll-ironische Wortspiele wie Kaeser aufgefallen. Insofern ist der rund zwei Meter große, durchtrainierte Franke ein Gegenentwurf zu seinem niederbayerischen Vorgänger. Busch, 56, gilt aber nicht als verkopfter Zeitgenosse. Er geht offen und ohne Allüren auf Menschen zu und wirkt dabei trotz seiner Körpergröße so gar nicht einschüchternd. Dabei mag es eine Rolle spielen, dass der gebürtige Erlanger mit einem ausdauernd-gewinnbringenden Lächeln ausgestattet ist, was ihm hilft, auch komplizierte technische Themen wie Künstliche Intelligenz und die Vorzüge digitaler Fabriken sympathisch rüberzubringen und seine Gesprächspartner durchaus für abstrakte Themen zu begeistern. Auch wenn sich ein derart großer Mensch zu kleineren herunterbeugt, verringert ein gewinnendes Lächeln Distanzen. In den rund drei Monaten, die er alleine an der Siemens-Spitze als erster Physiker seit dem 1992 abgetretenen Karlheinz Kaske steht, fällt auf: Busch setzt auf das „Team Siemens“, wie er am Freitag auch bei der Präsentation sehr guter Quartalszahlen sagte. In Mitarbeiterkreisen in München ist denn auch zu hören: Der Neue könne delegieren, gebe Beschäftigten Freiräume und vertraue ihnen. Wie es im Umfeld der Konzernzentrale am Wittelsbacherplatz heißt, werde auch wieder kritischer und offener im Management unter dem „Teamspieler Busch“diskutiert. Wer sich umhört, erfährt also viel Gutes über den ersten Siemensianer, auch wenn er sich zumindest noch nicht wie sein erfolgreicher Vorgänger wirkungsvoll öffentlich in Szene setzt.
Hinter den Kulissen habe Busch, wie es heißt, aber schon einiges vorangebracht. Er will Siemens eben als „Mister Technik“stärker als Konzern ins Bewusstsein der Menschen rücken, der auf wichtige Fragen der Zeit rasch die besten technologischen Antworten findet, ob es um Klimaschutz geht oder darum, eine Fabrik dank den Instrumenten der Digitalisierung so wettbewerbsfähig zu machen, dass die Inhaber damit Arbeitsplätze sichern können. Gerne erzählt Busch die Geschichte, wie Siemens Biontech dabei unterstützt hat, in der Rekordzeit von fünf Monaten das bestehende Werk in Marburg für die Produktion des
Impfstoffs umzurüsten. Seine Devise könnte, analog zum Werbespruch des Arzneimittelherstellers Ratiopharm, lauten: „Dafür gibt’s doch Siemens.“Dabei wirkt der neue Mann an der Konzernspitze zumindest nach außen hin unerschrocken – und das trotz der Bürde, den Tanker Siemens zu lenken, der wie vielleicht nur noch Volkswagen sinnbildhaft für Deutschland steht. An Selbstbewusstsein scheint es ihm nicht zu mangeln, sagte er doch im Interview mit dem einen ausnahmsweise fast schon kaeserhaften griffigen und auch auf sich bezogenen Satz: „Ich habe keine Angst vor Google und Microsoft.“
Dass Busch derart viel Wohlwollen aus den Mitarbeiterreihen, also auch von Betriebsrats- und Gewerkschaftsseite, entgegenschlägt, hängt sicher maßgeblich damit zusammen, dass er keine neuen StellenabbauProgramme plant. Nach all den Umbauten, Abspaltungen und Restrukturierungen herrscht bei Siemens nach dem rastlosen Wirken Kaesers ausnahmsweise mal Ruhe.
Dabei scheint Busch mehr getrieben von Technologie als, wie sein Vorgänger, vom Kapitalmarkt zu sein. Solange die Zahlen gut sind, funktioniert das. Aber wehe, wenn der Gewinn bröckelt. Dann sind schon viele Siemens-Chefs unter Druck geraten. Busch tankt Kraft vor Dienstbeginn im Siemens-Fitnessstudio. Entspannen kann der Vater zweier erwachsener Kinder beim Zeichnen, gerne mit Bleistift. Bodenständig ist er auch, lebt der Manager doch nach wie vor in Erlangen, wo man auch einen seiner Vorgänger, Heinrich von Pierer, treffen kann. Viel mehr Privates lässt sich Busch nicht entlocken. Seine Twitter-Aktivitäten wirken weitaus gebändigter als jene Kaesers.