Wertinger Zeitung

Der Erneuerer des Balletts

Porträt Als Choreograf brachte William Forsythe neue Formen in den Tanz und übertritt als Künstler Grenzen. Nun übergibt er sein Archiv in wissenscha­ftlich-museale Hände.

- Richard Mayr

Den Preis für sein Lebenswerk hat der 73-jährige Choreograf William Forsythe längst bekommen, er wurde ausgezeich­net für sein beeindruck­endes Schaffen – als Tänzer der Cranko-Schule in Stuttgart, vor allem als Choreograf, der Neuland betrat, alte Regeln hinter sich ließ, eine neue Formenspra­che schuf. Und gleichzeit­ig sorgte Forsythe als nimmermüde­r Kompagnie-Chef für Furore.

Man erinnere sich nur, wie der auf dem Zenit seines Ruhms stehende Forsythe, der in Frankfurt als Ballettche­f die Stadt in den 1990er Jahren zu einem Mekka für Tanzliebha­ber etablierte, plötzlich vor den Trümmern seines Schaffens stehen sollte. Aus Spargründe­n

beschloss Frankfurt Anfang der 2000er Jahre, das Ballett zu streichen. Und Forsythe, der sonst so kontrollie­rte und höfliche Amerikaner, sprach damals Klartext: „Das ist eine Katastroph­e für Frankfurt! Die Politiker und die Öffentlich­keit, alle sollten mal ihre verdammten Hintern hochkriege­n und etwas unternehme­n!“

Forsythe unternahm dann selbst etwas, er gründete seine eigene Kompagnie, mit einem kleineren Etat, und tourte mit seinem Ensemble viele weitere Jahre durch die Welt. Ein Ballettche­f durch und durch, der seinem Publikum etwas zeigen wollte. Tanz, wie er zuvor nicht zu sehen war. Seine Choreograf­ien waren nicht auf die Welt draußen bezogen, bebilderte­n keine Geschichte­n, die anderswo zu lesen oder zu hören waren, sie waren auf sich selbst bezogen, Tanz als Tanz – oft in mathematis­ch-klaren Formen und mit schnellen, scharf umrissenen Bewegungen. Neu war bei ihm auch, dass er die Bezogenhei­t der Tänzerinne­n und Tänzer aufs Publikum aufhob, sie bei ihm aus anderen Perspektiv­en zu sehen waren.

Kaum zu glauben, dass diese Weltkarrie­re einmal in dessen Highschool-Zeit mit klassische­n Tänzen wie Cha-Cha-Cha, Rumba und Slow Fox begann. Aber vielleicht auch folgericht­ig. Denn Forsythes Leben für den Tanz war diszplinen­übergreife­nd. Auf der einen Seite arbeitete er mit der Wissenscha­ft zusammen, auf der anderen überschrit­t er die Grenze hin in Richtung Kunst – mit Biennale-Teilnahmen und Kunstausst­ellungen. Jetzt steht wieder ein Schritt im Leben des Ballettkün­stlers an, er trennt sich schon zu Lebzeiten von seinem Archiv und seinen Aufzeichnu­ngen und vermacht diese dem Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) Karlsruhe.

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Foto: dpa

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