Mehr als bügeln, kochen, putzen
Die Hauswirtschaft steckt in der Krise. Das zeigt sich an der bayernweit einzigartigen Fachschule in Kaufbeuren, der die Schüler ausgehen. Und das spürt man in Kliniken und Heimen, wo Mitarbeiter händeringend gesucht werden. Warum wollen so wenige den Job
Wenn man so will, lässt sich das Problem direkt vor dem Büro der Schulleitung ablesen. Dort, im ersten Stock der Technikerschule in Kaufbeuren, hängen die Fotos der Abschlussklassen. Fotos, die junge Frauen im traditionellen Dirndl und in hübschen Kleidern zeigen, wie sie stolz in die Kamera lächeln. In den 1990er Jahren, da waren es noch große Gruppen – mal 20, mal 25 Schülerinnen, die hier den Techniker in Hauswirtschaft machten. Doch dann, mit den Jahren, wurden die Personen auf den Bildern immer weniger. Schulleiter Paul Dosch schaut etwas nachdenklich auf die Bilderwand und sagt: „Vor fünf Jahren ging der Kampf so richtig los.“Der Kampf um die Schülerinnen und Schüler, die jede Schule braucht, wenn sie existieren will.
Die Schule sorgt sich um ihren Fortbestand. Aber es hängt noch so viel mehr an den Hauswirtschafterinnen und Hauswirtschaftern. Krankenhäuser und Seniorenheim sind von den Fachkräften abhängig, Hotels ebenso wie Cateringdienst. Weil es eben Menschen braucht, die in den Großküchen und Kantinen arbeiten, in der Wäscherei und der Reinigung.
An der Technikerschule für Ernährungsund Versorgungsmanagement in Kaufbeuren machen aktuell zehn junge Frauen und ein Mann ihre Fortbildung. Doch das Problem ist: Danach kommt nichts mehr. In diesem Herbst ist an der bayernweit einzigartigen Hauswirtschaftsfachschule kein neuer Jahrgang zustande gekommen – das erste Mal in 30 Jahren. Michaela Schülein, die stellvertretende Schulleiterin, streicht sich eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht, die Augen hinter ihren Brillengläsern sind ernst, wenn sie sagt: „Das ist für eine Schule fatal.“Weil ja nicht nur Unterricht nicht stattfinden kann. Sondern, weil es ja auch um den Standort selbst geht. Kein neuer Jahrgang, kein neues Absolventenfoto – und irgendwann auch keine Schule mehr.
Dabei besteht das Problem ja nicht nur an der Fachschule in Kaufbeuren, wo die hauswirtschaftlichen Führungskräfte von morgen ausgebildet werden. Es beginnt schon eine Stufe eher, bei der Ausbildung zur Hauswirtschafterin oder zum Hauswirtschafter. Wer einen Beleg dafür braucht, muss sich nur die Statistiken anschauen. An den Berufsfachschulen für Hauswirtschaft zählte man im Jahr 2010 in Bayern 1169 Absolventen. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 430. Und auch in Pflegeheimen, Krankenhäusern oder landwirtschaftlichen Betrieben machen immer weniger junge Menschen eine duale Ausbildung zur Hauswirtschafterin oder zum Hauswirtschafter. 81 Absolventen waren es 2022 im Freistaat – zwei Drittel weniger als noch 2010.
Was aber sind die Gründe dafür? Liegt es daran, dass generell immer weniger junge Menschen eine Lehre machen? Dass viele an die Universitäten und Hochschulen drängen? Oder hat die Hauswirtschaft ein Imageproblem?
In Kaufbeuren geht Michaela Schülein die Stufen hinunter zu den Praxisräumen. Erst 2018 ist die Schule in einen Neubau, hier am Grünen Zentrum in Kaufbeuren unweit der B12, gezogen. Mit Lernbedingungen, die sie „einmalig“nennt – eine Großküche etwa und eine Wäscherei auf zwei Räumen samt Schmutzschleuse und Durchladewaschmaschine. „Die technische Ausstattung, die wir hier haben, ist schon richtig cool“, sagt Schülein.
Aber ja, die Sache mit dem Image, die beginnt für die 34-Jährige, die Jeans zum dunklen Blazer trägt, schon mit dem Wort – Hauswirtschaft. „Für junge Leute ist der Begriff einfach angestaubt“, sagt sie. Vor ein paar Jahren, als die Ausbildung zum Hauswirtschafter neu aufgestellt wurde, hat man tatsächlich über eine neue Berufsbezeichnung nachgedacht. Die einen sprachen
sich für Begriffe wie „Ernährung“und „Versorgung“aus, andere dafür, dass das Wort „Management“vorkommt. Am Schluss ist es bei „Hauswirtschaft“geblieben – weil, wie Fachleute argumentieren, kein Begriff diese Bandbreite abbilde.
Andererseits: „Hauswirtschaft“klingt eben immer auch nach Schulküche und Probekochen, nach waschen, putzen und bügeln, nach dem, was doch jeder kann. Und ein bisschen nach der längst vergangenen Zeit, als junge Frauen zuhauf an die Hauswirtschaftsschulen strebten, wo man lernte, einen Haushalt angemessen zu führen – quasi als Vorbereitung auf das spätere Eheleben.
Johannes Menzinger ist, wenn man so will, der krasse Gegenentwurf zu damals. Der 23-Jährige mit den dunklen Locken hat Koch gelernt, hat bereits auf Schloss Elmau und im Ausland gearbeitet. Jetzt steht er im Finish-Bereich der Wäscherei, wo an diesem Nachmittag gebügelt, gemangelt und zusammengelegt wird. Alle tragen weiße Schürzen, wie immer, wenn Wäschemanagement und Textilservice auf dem Stundenplan stehen. Zu viert ziehen sie ein Bettlaken nach dem anderen durch die Heißmangel. Auf dem Tisch dahinter wird die Flachwäsche zusammengelegt und wandert dann in die Fächer der Rollwagen.
Aber das allein ist es ja nicht, versucht Fachlehrerin Inge Habel zu erklären. „Unsere Schüler müssen wissen, wie ein Wäschekreislauf in einem Großhaushalt funktioniert.“Sie müssten kalkulieren, wie viel Kilogramm Wäsche etwa jeder Bewohner eines Seniorenheims benötigt, wie viel Schmutzwäsche insgesamt anfällt – Bettwäsche, Handtücher, Arbeitskleidung, Geschirrtücher –, wie viel Personal und Ausstattung in der Wäscherei benötigt werden. Schülein sagt: „Das ist ja das Geniale an der Hauswirtschaft, dass man immer versucht, das große Ganze zu sehen und zu managen.“
Auf der anderen Seite des Raums steht Elena Immle jetzt an der aufblasbaren Puppe, die sie den „Finisher“nennen. Sie streift das blau-karierte Hemd über das Gerät, schließt die Knöpfe, spannt Kragen, Ärmel und die Seiten fest und drückt mit dem Fuß gegen die Maschine. Die Puppe bläst sich auf, es rumpelt, zischt und dampft. 30 Sekunden später ist das Hemd trocken und glatt.
Elena Immle beginnt zu erzählen. Dass sie am liebsten in der Großküche arbeiten möchte. Oder auf einem Hof mit Direktvermarktung. Oder doch etwas ganz anderes. Und dass die Mischung dessen, was man hier lerne, das Spannende sei – das Praktische einerseits, aber auch Betriebsmanagement und Büro-Organisation, Betriebswirtschaft und Mitarbeiterführung, Materialplanung und Qualitätsmanagement.
Immer wieder hat sie sich Sprüche im Freundeskreis anhören müssen. Was man denn in einer Hauswirtschaftsschule so mache? Warum man dafür eine jahrelange Ausbildung brauche? Das alte Klischee eben. „Die denken tatsächlich, dass wir nur kochen und putzen. Aber der Fachbereich ist so umfangreich. Bloß das ist den Menschen so nicht bewusst.“
Laura Haffmanns kennt das alles. Dass so viele junge Menschen gar nichts mit Hauswirtschaft anfangen können. Und welche Folgen das in der Praxis hat. Stellen können nicht adäquat besetzt werden, Fachkräfte fehlten in so vielen Bereichen, sagt Haffmanns, die Vorsitzende des Bundesverbands hauswirtschaftlicher Berufe ist. Viele der älteren Hauswirtschafterinnen gehen in den nächsten Jahren in Rente, aber es kommen zu wenige nach.
Zugleich aber steigt der Bedarf an hauswirtschaftlichen Fachkräften. Schon weil in immer weniger Familien täglich gekocht wird. Weil immer mehr Arbeit in Großküchen anfällt, wenn Kindergartenkinder
und Schüler außer Haus essen. Weil immer mehr Seniorinnen und Senioren Unterstützung im Haushalt brauchen – häufig noch bevor ein ambulanter Pflegedienst ins Haus kommt. Weil es auch in Seniorenheimen, Krankenhäusern und Kureinrichtungen Fachkräfte in der Großküche und in der Reinigung braucht. Arbeitsminister Hubertus Heil hat zuletzt staatliche Gutscheine für Putzdienste und Alltagshelfer ins Gespräch gebracht, etwa für Familien mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen. Nur, woher sollen die kommen?
Aus Haffmanns’ Sicht ist die Bezahlung eines der großen Probleme. Das Einstiegsgehalt eines ausgebildeten Hauswirtschafters liegt bei 1800 bis 2200 Euro brutto im Monat. Andere bekämen nur etwas mehr als den Mindestlohn. „Uns fehlt einfach die Anerkennung der Politik“, sagt Haffmanns. „Auch, weil wir im Stillen agieren.“
Für die Landfrauen, die sich im Bayerischen Bauernverband zusammengeschlossen haben, ist es an der Zeit, dass die hauswirtschaftlichen Berufe endlich mehr Anerkennung und Wertschätzung bekommen. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass das Sozialwesen aufgewertet werden müsste – und dazu gehöre eben nicht nur die Pflege, sondern auch die Hauswirtschaft. „Gerade in Krankenhäusern oder Altenheimen müssen Hauswirtschaft und Pflege Hand in Hand gehen. Es geht nichts ohne hauswirtschaftliche Berufe“, hat Anneliese Göller unlängst als scheidende Landesbäuerin betont. In einem Positionspapier fordern die Landfrauen mehr Geld für die Hauswirtschafterinnen, aber auch attraktive und gut bezahlte Aufstiegsmöglichkeiten.
Auf den Flyern, mit denen die Technikerschule in Kaufbeuren um neue Schüler wirbt, steht: „Alle Türen stehen Dir offen!“Unten, am Schwarzen Brett, haben sie die Erfolgsgeschichten aufgereiht. Der junge Mann, der jetzt Köche auf einem Kreuzfahrtschiff ausbildet, die ehemalige Schülerin, die jetzt die hauswirtschaftliche Leitung in einem Krankenhaus hat. Oder die Absolventin, die es zur Hausdame in einem Vier-Sterne-Hotel gebracht hat.
In der Schul-Großküche steht heute Lachsfilet mit Karottenhaube auf dem Speiseplan, dazu Gemüsereis und Kräutersoße, davor eine Blumenkohlsuppe und
ein Salatbuffet. Es geht nicht nur darum, ein Menü mit acht Bestandteilen für zig Personen fertigzustellen, sondern um viel mehr – um Materialplanung und Kostenkalkulation, Qualitätsmanagement und das Hygienekonzept, darum, dass jeder Mitarbeiter die richtigen Handgriffe tut, damit alle im Zeitplan bleiben. Leonie Kustermann füllt eine helle Dessertmasse in kleine Gläser. Gegenüber, in der Gemüsezeile, schnippelt Pia Hartmann Karotten. Konzentriert und in Ruhe. In einer Reha-Klinik will sie später einmal arbeiten, erzählt sie. Und dass es da viele Möglichkeiten gebe – Diätküche mit Patienten, der
„Für junge Leute ist der Begriff Hauswirtschaft“einfach angestaubt.“
Michaela Schülein Stellvertretende Schulleiterin
„Es sind doch alle froh, wenn es was zu essen gibt und es sauber ist.“
Pia Hartmann Schülerin
Reinigungsbereich, die Gestaltung der Zimmer. Und dass sie es oft nicht nachvollziehen kann, dieses Gerede über Kochen und Putzen, das Klischee eben. „Es sind doch alle froh, wenn es was zu essen gibt und es sauber ist.“
Michaela Schülein nickt, sie hätte es nicht besser sagen können. „In welchem Beruf hat man es denn schon, dass man Menschen glücklich macht?“
Yvonne Zwingler ist überzeugt, dass es Menschen braucht, die für die Hauswirtschaft brennen. Menschen, die andere begeistern. Im bayerischen Landwirtschaftsministerium, wo Zwingler für die Berufsbildung zuständig ist, haben sie Botschafter für die Hauswirtschaft installiert. Vorbilder, die auch andere junge Menschen überzeugen. Denn die werden dringend gebraucht. „Der Markt ist leer“, sagt Zwingler. Regelmäßig bekommt sie Anfragen von Hotels, von Tagungszentren oder einem Hersteller für Großküchengeräte, wann Hauswirtschafter ihre Ausbildung beenden. „Der Arbeitsmarkt braucht die Absolventen.“
Auch die aus Kaufbeuren, wo im Herbst ein neuer Jahrgang starten soll. Und wenn nicht? Bildungsberaterin Yvonne Zwingler lässt die Frage nicht gelten. Sie sagt: „Wir sind überzeugt, dass es weitergeht. Es muss auch weitergehen.“