Wertinger Zeitung

Die Inflation bleibt noch lange hoch

Experten gehen davon aus, dass die Teuerung in diesem Jahr zwar schrittwei­se sinkt, aber dennoch weit über den Zielwerten der Europäisch­en Zentralban­k verharrt. Immerhin lohnt sich Sparen wieder. Und es gibt höhere Zinsen.

- Von Stefan Stahl

Um das Verhältnis von Anspruch und Wirklichke­it einer Institutio­n zu ermessen, hilft ein Blick in die Online-Rubrik „Über uns“. Dort preist sich die Europäisch­e Zentralban­k selbstbewu­sst an: „Wir sorgen für stabile Preise. Wir halten die Inflation unter Kontrolle.“Weiter heißt es dort: „So versuchen wir, Ihnen die Planung von Spar- und Konsuments­cheidungen zu erleichter­n.“Soweit der Anspruch der Notenbank, die nach ihren Statuten eine Teuerung von zwei Prozent anstrebt.

Die Realität sieht anders aus: Die Inflation im Euroraum sinkt zwar und hat wohl im Oktober 2022 mit 10,6 Prozent ihr vorläufige­s Rekord-Hoch erreicht. Die Teuerung bleibt aber mit geschätzte­n 8,5 Prozent im Januar bedenklich hoch. Dass die Inflation zurückgeht, führen Experten vorwiegend auf staatliche Subvention­en für Energie zurück und nicht so sehr auf die Aktivitäte­n der Europäisch­en Zentralban­k. Auch wenn die EZB die Zinsen erneut um 0,5 Prozentpun­kte auf 3,0 Prozent nach oben gewuchtet hat und in gleicher Dosis im März nachlegen will, schlägt diese Therapie noch nicht richtig an. Das verwundert Fachleute wie Commerzban­kChefvolks­wirt Jörg Krämer kaum.

Denn die Europäisch­e Zentralban­k hat erst im Juli 2022 zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt die Zinsen angehoben. Volkswirt Krämer ist klar, dass Zinsschrit­te erst mit deutlicher Verzögerun­g von zwei bis drei Jahren richtig wirken können. Ein solcher Prozess, der wieder zu der anvisierte­n Teuerung von zwei Prozent führt, erfordert Ausdauer: Denn ehe die Teuerung massiv einknickt, muss sich im Zuge von Zinserhöhu­ngen die Konjunktur auf längere Zeit abkühlen, auch weil wie jetzt Kredite immer teurer werden und dies dann die Kaufund

Kredit-Laune der Menschen bremst. Damit die Preise im Zaum gehalten werden, sollten nach dem Lehrbuch die Arbeitslos­enzahlen steigen und die Lohnabschl­üsse maßvoller ausfallen. Doch beides ist in diesem Jahr kaum zu erwarten. Wegen des Arbeitskrä­ftemangels sind Beschäftig­te heiß begehrt und können spürbar höhere Gehälter verlangen. So fordern Gewerkscha­ften wie Verdi in der Tarifrunde für den Öffentlich­en Dienst satte 10,5 Prozent. Post-Beschäftig­te streiten sogar für 15 Prozent. Ordentlich hohe Tarifabsch­lüsse sind für die Arbeitgebe­r nicht zu vermeiden. Das könnte die Konsumlust der Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r etwas ankurbeln und verhindern, dass das Inflations­feuer erlischt. Krämer geht gegenüber unserer Redaktion davon aus, dass die Teuerung in Deutschlan­d im Verlauf dieses Jahres fallen wird, weil die Energiepre­ise auch wegen staatliche­r Kostenbrem­sen langsamer steigen. Er erwartet, dass die Inflation im Durchschni­tt auf 6,5 Prozent in diesem Jahr zurückgeht. Aber Krämer warnt: „Abgesehen von der Energie dürfte der Preisansti­eg in diesem Jahr hartnäckig hoch bleiben.“Die Teuerung sei noch lange nicht besiegt. Der Commerzban­k-Chefvolksw­irt verweist auf Umfragen der Bundesbank: „Nicht zuletzt wegen des zögerliche­n Agierens der EZB sind die Inflations­erwartunge­n der Deutschen für die kommenden fünf Jahre auf 5,0 Prozent gestiegen.“Krämer glaubt, dass „mehrere Jahre mit deutlich über zwei Prozent Inflation vor uns liegen“.

Dabei hat die US-Notenbank früher und entschiede­ner als die Europäisch­e Zentralban­k reagiert. Nach einer weiteren Anhebung am Mittwoch um 0,25 Prozentpun­kte liegen die Zinsen in Amerika nun in einer Spanne von 4,5 bis 4,75 Prozent, also ein ganzes Stück höher als im Euroraum. Der Druck auf die EZB bleibt folglich hoch, an der US-Notenbank Maß zu nehmen. Auch wenn die Inflation zum lästigen Dauergast zu werden droht, der einfach nicht nach Hause gehen will, gibt es für die Menschen Erleichter­ung an anderer Stelle: Sparen lohnt sich immer mehr. Der Zins feiert ein Comeback. Max Herbst von der FMH Finanzbera­tung sagt dazu unserer Redaktion: „Tagesgeld wird wieder sexy. Hier gehen die Zinsen im Mittelwert von 0,7 auf 1,5 Prozent weiter nach oben.“Neukunden würden zum Teil mit 2,3 Prozent gelockt. Und wie verhalten sich noch zinsknausr­ige Sparkassen und Genossensc­haftsbanke­n? Herbst sagt voraus: „Die müssen sicher nachziehen, wenn sie nicht Kundinnen und Kunden verlieren wollen.“Der Experte glaubt, dass die EZB bis zur Sommerpaus­e die Zinsen auf 4,0 Prozent anhebt und daraufhin vielleicht noch einmal in kleineren Schritten nachlegt. Dann dürfte Tagesgeld wirklich sexy werden.

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Foto: Imago Die EZB erhöht weiter die Zinsen.

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