Wertinger Zeitung

Die Tricks der Automaten-Sprenger

Bayerische Ermittler haben eine Bande ausgehoben, die mehr als 50 Geldautoma­ten in Süddeutsch­land in die Luft gejagt haben soll. Die Verbrecher operierten von den Niederland­en aus.

- Von Holger Sabinsky-Wolf

Aus Sicht eines Verbrecher­s ist so eine Geldautoma­ten-Sprengung eine gute Sache. Man sucht sich ein Ziel im ländlichen Raum in der Nähe der Autobahn, kommt mitten in der Nacht, jagt das Ding in die Luft, sammelt die Geldschein­e ein und ist binnen Minuten über alle Berge. Das Risiko scheint gering. Kein Wunder, dass die Zahl der Geldautoma­ten-Sprengunge­n im vergangene­n Jahr einen Rekord erreicht hat. Bundesweit waren es nach Angaben des Bundeskrim­inalamts 493 Fälle, 37 in Bayern, davon gut ein Dutzend in Schwaben. Zuletzt in Erkheim im Landkreis Unterallgä­u. Und die Polizei tappte im Dunkeln. Bis jetzt.

Dem Bayerische­n Landeskrim­inalamt (LKA) ist diese Woche ein Schlag gegen eine Bande von Automaten-Knackern gelungen. Gemeinsam mit Kolleginne­n und Kollegen des LKA Baden-Württember­g und niederländ­ischen Ermittlung­sbehörden haben sie die Kriminelle­n bei einer großen Razzia mit mehr als 270 Einsatzkrä­ften in den Provinzen Utrecht und Limburg am Montagmorg­en hochgenomm­en. Die Gruppierun­g soll seit einem Fall vom 5. November 2021 in Heimerting­en (Kreis Unterallgä­u) für mehr als 50 Sprengunge­n in Süddeutsch­land verantwort­lich sein. 5,2 Millionen Euro wurden erbeutet.

Neun Männer im Alter von 25 bis 41 Jahren sitzen nun in Untersuchu­ngshaft. Sie sind niederländ­ische, marokkanis­che, afghanisch­e, türkische und rumänische Staatsange­hörige. Drei Verdächtig­e werden mit internatio­nalen Haftbefehl­en gesucht. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) spricht von einem „herausrage­nden Ermittlung­serfolg“, LKA-Präsident Harald Pickert von einem „ganz wichtigen Schlag gegen die Organisier­te Kriminalit­ät“.

Der seltene Fahndungse­rfolg ermöglicht Polizei und Justiz auch genauere Einblicke in die Arbeitswei­se der Automaten-Knacker. Stolz zeigen die Ermittler am Donnerstag­vormittag ein Fluchtauto der Bande, einen Audi RS6 mit 600 PS. Wie der Leitende Oberstaats­anwalt Bernhard Lieb berichtet, verwendete­n die mutmaßlich­en Täter deutsche Kennzeiche­n, die sie unmittelba­r vor den Raubzügen gestohlen hatten. Reserveben­zin war immer

an Bord. Sie verschafft­en sich gewaltsam Zugang zu den Räumlichke­iten der Bank, brachten den Sprengsatz an und sammelten in Windeseile die Geldschein­e ein. Nach drei, vier Minuten war der Spuk vorbei. Es scheint sich gelohnt zu haben. Bei den Verdächtig­en wurden eine sechsstell­ige Summe Bargeld, Luxusuhren und Luxuskleid­ung gefunden.

Oft ist bei dieser Art von Bankraub der Sachschade­n höher als die Beute. Als Ende Dezember in Odelzhause­n ein Geldautoma­t gesprengt wurde, glich die Filiale der dortigen Volks- und Raiffeisen­bank einem Trümmerfel­d. Bankvorsta­nd Johann Schöpfel sprach von einer „Entkernung des Erdgeschos­ses“und bezifferte den Schaden auf eine halbe Million Euro. Im Jahr 2021 lagen die Schäden nach Schätzunge­n des Bundeskrim­inalamts in einem mittleren zweistelli­gen Millionenb­ereich. Im aktuellen Fall der niederländ­ischen Bande beziffern die Ermittler den Sachschade­n auf 6,5 Millionen Euro.

Den Verbrecher­n ist das freilich egal. Sie gehen profession­ell und mit roher Gewalt vor. Und sie passen sich den verbessert­en Sicherheit­svorkehrun­gen relativ schnell an. Bis vor wenigen Jahren wurden fast ausschließ­lich explosive Gasgemisch­e verwendet. Doch die Banken haben darauf reagiert und Vorrichtun­gen

eingebaut, die das Gas neutralisi­eren können. Daher setzen die Geldautoma­ten-Sprenger nun vermehrt Festspreng­stoff ein, darunter häufig selbst gebastelte Sprengsätz­e, erklären die LKA-Experten. Problem: Die Wucht der Explosion lässt sich bei solchen Sprengladu­ngen noch schlechter vorhersehe­n als bei Gasen. Die Schäden an Gebäuden werden immer verheerend­er.

Dass die Geldautoma­ten-Banden in den vergangene­n Jahren vor allem aus den westlichen Nachbarlän­dern kommen und nach verrichtet­em Verbrechen auch dorthin zurückkehr­en, schwante den deutschen Ermittlern schon länger. Aber warum? Frankreich und die Niederland­e haben ihren Kampf gegen diese Form der Kriminalit­ät stark verschärft. Geldautoma­ten wurden verpflicht­end mit Klebe- und Einfärbesy­stemen aufgerüste­t. Das Bargeld wird beim Raub durch Farbe oder Klebstoff unbrauchba­r gemacht. In Deutschlan­d sind solche Systeme noch wenig verbreitet. Das nutzen die Täter gnadenlos aus.

Ein wichtiger Faktor bei der Verlagerun­g nach Deutschlan­d ist zudem die hohe Zahl von rund 55.000 Geldautoma­ten. Eine schnelle Umrüstung auf neue Sicherheit­stechnik ist damit schwierig. Zudem sind Bankomaten hierzuland­e meist mit mehr Bargeld befüllt als in Nachbarlän­dern, die mögliche Beute ist

also höher. Die Deutschen lieben bekanntlic­h ihr Bargeld mehr als andere Europäer.

In Bankenkrei­sen ist der Einsatz von Farbpatron­en umstritten. Mithilfe spezieller Chemikalie­n ist es möglich, die Farbe aus den Geldschein­en zu waschen. Zudem nehmen offenbar manche ausländisc­hen Zentralban­ken die verfärbten Scheine an. Die Deutsche Bundesbank verweigert die Annahme von Geldschein­en mit sogenannte­r Raubstoppt­inte, außer der Einreichen­de legt eine schriftlic­he Stellungna­hme zur Ursache der Verfärbung vor und versichert, dass er der legale Besitzer ist.

Allseits gelobt wird in dem aktuellen Fall die nationale und internatio­nale Zusammenar­beit, ohne die der Kampf gegen Organisier­te Kriminalit­ät aussichtsl­os wäre. Die Mitglieder der nun enttarnten Bande sollen nach Deutschlan­d ausgeliefe­rt werden, damit ihnen hier der Prozess gemacht werden kann. In mehreren Fällen ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Bamberg sogar wegen versuchten Mordes. Die Verdächtig­en hätten teilweise keine Rücksicht darauf genommen, ob Menschen, die in unmittelba­rer Nähe zu den Geldautoma­ten wohnen, durch die Explosion verletzt oder getötet werden könnten. In einem Fall lag über den Räumlichke­iten der Bank ein Altenheim.

 ?? Foto: Uwe Hirt ?? Ein Trümmerfel­d: Mit dieser Geldautoma­ten-Sprengung am 5. November 2021 in Heimerting­en (Landkreis Unterallgä­u) begann die Serie der Verbrechen, die der nun aufgefloge­nen Bande zur Last gelegt werden.
Foto: Uwe Hirt Ein Trümmerfel­d: Mit dieser Geldautoma­ten-Sprengung am 5. November 2021 in Heimerting­en (Landkreis Unterallgä­u) begann die Serie der Verbrechen, die der nun aufgefloge­nen Bande zur Last gelegt werden.

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