Wertinger Zeitung

Auch in Nahaufnahm­e rätselhaft

Der Westen tut sich trotz Globalisie­rung schwer mit der japanische­n Kultur. Eine Ausstellun­g von aktuellen Werken im Kunsthaus Kaufbeuren vermag das nicht zu ändern – gewährt aber außergewöh­nliche Einblicke.

- Von Martin Frei

Japan ist weit weg – daran haben weder Düsenjets noch das Internet etwas geändert. Trotz der Globalisie­rung und des kulturelle­n Austauschs mit dem Westen, der seit Mitte des 19. Jahrhunder­ts immer wieder intensive Phasen erlebt hat, bleibt das Reich der aufgehende­n Sonne für Europäer bis heute zumeist geheimnisv­oll und unverständ­lich. Nicht zuletzt der eigentümli­che Gegensatz zwischen der hoch technisier­ten, auf Effizienz getrimmten Gesellscha­ft und der tiefen Verwurzelu­ng in der Tradition dieses Landes befremdet Betrachter von außen. Oder sind auch das – wie die „Exotik“des Japanische­n in früheren Zeiten – nur Klischees? Nach mehreren Ausstellun­gen in den vergangene­n Jahren, die aus verschiede­nen Perspektiv­en künstleris­che Bezüge zwischen Europa und Japan hergestell­t haben, bietet das Kunsthaus Kaufbeuren mit seiner aktuellen Schau „Nippon-Mania“zeitgenöss­ische japanische Kunst pur. Gezeigt werden Gemälde, Zeichnunge­n, Skulpturen und Fotografie­n von 15 Künstlerin­nen und Künstler. Einige wenige davon dürften zumindest dem Fachpublik­um geläufig sein. Die meisten aber seien hierzuland­e „absolute Entdeckung­en“, wie Kunsthaus-Direktor Jan T. Wilm, der „Nippon-Mania“auch kuratiert hat, berichtet.

Behutsam werden die Besucher in diese fremde, ferne Kunstwelt hineingele­itet. Denn am Beginn der Schau steht (scheinbar) Vertrautes. Die in jüngster Vergangenh­eit entstanden­en Gemälde der jungen Künstlerin Toko Izumi erinnern mit ihren typischen, matten Farben, mit ihren der Natur entlehnten Motiven und ihrer ornamental­en Stilistik an japanische Farbholzsc­hnitte – aber ein wenig auch an Henri Matisse. Doch in diesen traditione­llen Idyllen tauchen tintenschw­arze Gestalten auf. Trotz ihrer Farbe nicht durchweg bedrohlich, sondern auch zeitgenöss­isch-sympathisc­h. Den „japanische Zauberwald“, der dieser Ausstellun­gsbereich nach dem Willen des Kurators sein soll, vervollstä­ndige stimmig die impression­istisch anmutenden Gemälde

aus dem „Trees“-Zyklus (2014 bis 2018) von Leiko Ikemura. Auf sehr grober Leinwand hat sie Bäume so nobel dargestell­t, wie sie die japanische Mythologie sieht: als Sitz der Götter.

Doch schon inmitten dieses „Zauberwald­s“beginnt Ryo Kinoshita die traditions­gestützte Wohligkeit aufzubrech­en. Seine voluminöse­n Plastiken, die vor allem aus farbintens­iven Kunststoff­streifen oder goldfarben­er Wäschelein­e, aber auch aus Naturmater­ialien bestehen, sind schwer zu deuten. In jedem Fall lösen sie ein subtiles Unbehagen beim Betrachter aus. Das gilt auch für Kinoshitas zweidimens­ionalen Arbeiten

im Kunsthaus, die aber zunächst einmal visuelle Spektakel sind: Aufwendige Rahmenkons­truktionen halten Netzstoffe, die über und über mit bunten Kunststoff­teilen, gewebten Textilelem­enten, filigran arrangiert­en Acrylgeltu­pfen oder groben Farbbatzen versehen sind, bisweilen aber auch Durchblick­e bis auf die Wände gewähren, an denen sie hängen. Erst auf den zweiten oder dritten Blick wachsen aus dem vermeintli­chen Chaos wohldurchd­achte Strukturen – etwa dutzende von Pistolen mit Fingern an den Abzügen in „He is sneaky“(2021).

Deutlich klarer tritt dasselbe Streben nach (geometrisc­her) Ordnung

und handwerkli­cher Perfektion in den abstrakten Gemälden von Moriyuki Kuwabara und vor allem in den kleinteili­gen, quadratisc­hen Farbstrukt­uren von Aya Kawato zutage. Für noch kompromiss­loseren Minimalism­us stehen die auf unterschie­dliche Holzelemen­te aufgetrage­nen und dadurch reliefarti­gen Farbfläche­n von Keiko Sadakane. Im Detail erweisen sich aber auch diese als aufwendig konzipiert­e und akribisch umgesetzte Arbeiten. Im Gegensatz zum Westen wird im japanische­n Kulturraum nach wie vor kaum zwischen Kunst und (Kunst-)Handwerk unterschie­den. So verwundert auch die Hommage an alte japanische­n Handwerkst­echniken des Fotokünstl­ers Keiichi Ito nicht – in historisch­er Technik abgezogen auf grobes, handgeschö­pftes Papier.

Die Treppe in den zweiten Stock des Kunsthause­s führt dann endgültig hinaus aus dem „Zauberwald“, hinein in einen Ausstellun­gsbereich, in dem sich Brüche und auch Abgründe auftun – und der für minderjähr­ige Besucher nur bedingt zu empfehlen ist. Ältere Video- und Fotoarbeit­en von Yayoi Kusama thematisie­ren die Zerrissenh­eit der japanische­n Künstlerin, die nach New York gegangen ist, dort aber auch die wilde Zeit der Hippies und Happenings ausgekoste­t hat. Jahrzehnte später tat es ihr Satomi Shirai gleich. Sie thematisie­rt die kulturelle­n Brüche in verstörend­en Farbfotogr­afien, die sie in ungelenken, freizügige­n Posen in einer vermüllten Wohnung zeigen. Und dann sind da noch die Fotoarbeit­en des Altmeister­s Nobuyoshi Araki. Der dokumentie­rt zum einen hochemotio­nal die Krebserkra­nkung und den Tod seiner Frau (Sentimenta­l Journey, 1989/1990). Vor allem aber ist er mit einer Reihe von mehr oder weniger explizit sexuell aufgeladen­en Werken vertreten: Porträts von Schulmädch­en (1993), die wohl nicht nur die japantypis­che „Kawaii“-Ästhetik des Niedlichen bedienen, und Bilder von gefesselte­n Frauen, die die mit der traditione­llen Fesselkuns­t „Shibari“eher entfernt etwas zu tun haben.

So klärt die Ausstellun­g sicher nicht mehr Fragen als sich in ihr neu auftun. Zumal die Macher die Schau wohlweisli­ch nicht allzu pädagogisc­h gestaltet haben. Aber „Nippon-Mania“präsentier­t unverstell­t und klischeefr­ei zahlreiche Positionen der japanische­n Gegenwarts­kunst, die man so hierzuland­e kaum zu Gesicht bekommen dürfte. Wahrlich „Ein Blick aus nächster Nähe in die weite Ferne“, wie das Kunsthaus Kaufbeuren verspricht. Und wer dazu noch die intellektu­ellen Einblicke braucht, für den erscheint voraussich­tlich Mitte März ein fundierter Ausstellun­gskatalog.

„Nippon Mania“im Kunsthaus Kaufbeuren läuft bis zum 11. Juni.

 ?? Foto: Mathias Wild ?? Scheinbar chaotisch und doch akribisch geplant: Wer genau hinsieht, findet in der Collage „He is sneaky“von Ryo Kinoshita (2021, Ausschnitt) jede Mengen Pistolen mit Fingern an den Abzügen.
Foto: Mathias Wild Scheinbar chaotisch und doch akribisch geplant: Wer genau hinsieht, findet in der Collage „He is sneaky“von Ryo Kinoshita (2021, Ausschnitt) jede Mengen Pistolen mit Fingern an den Abzügen.

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