Sorge um die Unabhängigkeit
Staatsanwaltschaft kritisiert das neue Verfassungskapitel zur Justiz scharf
Nachdem die große Verfassungsreform im Sommer 2019 auf Druck der CSV ad acta gelegt werden musste, wird nun das geltende Grundgesetz schrittweise überarbeitet. Das Kapitel zur Justiz, für das der CSV-Berichterstatter Léon Gloden verantwortlich zeichnet, wurde als Erstes auf den Instanzenweg geschickt.
Der Entwurf 7575, der zwar viele Passagen aus dem Reformtext 6030 übernimmt, stößt auf Kritik, vor allem den Staatsanwälten beschert der Text mächtig Kopfschmerzen. In ihrem gemeinsamen, mehr als 60 Seiten starken Gutachten nehmen die Generalstaatsanwaltschaft sowie die Staatsanwaltschaften Luxemburg und Diekirch den Text geradezu auseinander.
Richtig zur Sache geht es vor allem bei der Unabhängigkeit der Justiz, die sich in dem Entwurf von Gloden nur auf die Richterschaft bezieht. Die Staatsanwaltschaft beanstandet, dass der explizite Verweis auf die Unabhängigkeit der Magistrature debout, der im Reformtext 6030 von zentraler Bedeutung war, keinen Eingang in den nun vorliegenden Entwurf gefunden hat. In dem Verfassungstext, auf den sich die Parteien, auch die CSV, im Juni 2018 verständigt hatten, hätte es in Artikel 99 heißen sollen: „Le ministère public exerce l'action publique et requiert l'application de la loi. Il est indépendant dans l'exercice de ces fonctions.“Die Passage geht, zumindest sinngemäß und in ganz ähnlicher Form, noch auf den ursprünglichen Text von Paul-Henri Meyers (CSV) aus dem Jahr 2009 zurück.
Ohne Alternative, ohne Begründung Die Staatsanwälte regt vor allem auf, dass der zweite, für sie so wichtige Satz einfach ersatzlos gestrichen wurde. Den drei Gutachtern – das Dokument trägt die
Unterschriften von Generalstaatsanwältin Martine Solovieff und der beiden Staatsanwälte Georges Oswald (Luxemburg) und Ernest Nilles (Diekirch) – stößt vor allem sauer auf, dass Gloden nicht wirklich erklärt, weshalb der Satz gestrichen wurde. Die Erklärung, es habe in der Frage kein Konsens mehr bestanden, weisen sie als unzureichend zurück.
Wenn die Unabhängigkeit des Ministère public nicht expressis verbis in die Verfassung eingeschrieben wird, könnte die Regierung über das Justizministerium Einfluss auf die Staatsanwaltschaft nehmen und unter Umständen vorgeben, welche Fälle verfolgt werden und welche nicht, so die Befürchtung. Die Tilgung des zweiten Satzes komme zwar harmlos daher, in Wahrheit sei der aktuelle Text aber gefährlich, so die Warnung. Für die Staatsanwaltschaft handelt es sich um eine Art Verschleierungstaktik und sie befürchtet, dass „le silence risque donc d'être interprété comme un refus de toute garantie constitutionnelle de l'exercice d'une influence politique indue du Gouvernement sur la Justice par l'intermédiaire du Ministère public“.
Und sie legt noch einmal nach: Die Weigerung, die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft explizit in das Grundgesetz aufzunehmen, sei womöglich eine Art Freifahrtschein für künftige Gesetzgeber, um die Einflussnahme der Regierung auf die Justiz nach eigenem Gutdünken auszubauen. Gerade in einem Rechtsstaat müsse die Verfassung eine solche Einflussnahme aber verhindern, heißt es weiter mit einem Verweis auf die Gewaltentrennung. Die Gutachter warnen denn auch vor einer „politisierten Staatsanwaltschaft“, was sich in letzter Konsequenz auch auf die (laut der überarbeiteten Verfassung unabhängigen) Gerichtsbarkeiten auswirken würde, weil die Staatsanwaltschaft fast alle Strafverfahren ins Rollen bringt.
In dem Gutachten wird mehrfach auf die belgische Verfassung verwiesen, die die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft kennt. Auch die Venedig-Kommission spricht sich klar für eine verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit des Ministère public aus. Sollte der zweite Satz nicht doch noch seinen Weg in die überarbeitete Version des luxemburgischen Grundgesetzes finden, bleibe das Großherzogtum hinter den belgischen und französischen Standards zurück, so die Kritik.
Die Staatsanwälte kommen schließlich zum Schluss: „La Proposition de révision n° 7575, en refusant d'inscrire dans la Constitution toute garantie quelle qu'elle soit en la matière, ne respecte dès lors manifestement pas ces exigences d'un Etat de droit.“
Die europäische Ebene
Die Gutachter machen auch auf Probleme im Zusammenhang mit der europäischen Staatsanwaltschaft aufmerksam, die 2017 ins Leben gerufen wurde. „... les Etats membres de l'Union européenne et les institutions, organes et organismes de l'Union européenne respectent l'indépendance du Parquet européen et ne cherchent pas à l'influencer dans l'exercice de ses missions“, heißt es in dem europäischen Text.
Aus all diesen Überlegungen heraus fordert die Staatsanwaltschaft, dass der Satz „Il (le ministère public, A.d.R.) est indépendant dans l'exercice de ses fonctions“, so wie er im Reformtext 6030 zurückbehalten worden war, auch in das überarbeitete Grundgesetz aufgenommen wird. Als Alternative, oder gewissermaßen als Kompromiss, schlagen sie den Zusatz „sans préjudice du droit du ministre compétent d'arrêter des directives générales de politique criminelle“vor.
Eine Frage des Statuts
Zwar ist die Unabhängigkeit der Justiz der Hauptkritikpunkt der Staatsanwaltschaft. Mit Sorge betrachten Solovieff, Oswald und Nilles aber auch die Diskussion über das Statut der Justiz und der Magistrate. Die Gerichtsbarkeiten müssten ein eigenes Statut erhalten und verfassungsrechtlich als „pouvoir judiciaire“anerkannt werden, fordern sie und verweisen einmal mehr darauf, dass der aktuelle Entwurf zur Justiz hinter den Vorgaben des Reformtextes 6030 zurückbleibt. Unter dem Begriff „Juridictions“wollen die Gutachter sowohl die Richterschaft als auch die Staatsanwaltschaft verstanden wissen. Zudem beanstanden sie, dass die verfassungsrechtlichen Garantien zum Statut der Magistrate, die noch im Reformentwurf 6030 festgeschrieben worden waren, nun nicht mehr gegeben sind. Letztendlich setzt es auch Kritik am Artikel 90 zum Conseil suprême de la Justice. Geht es nach der Staatsanwaltschaft, dann muss klarer definiert werden, dass der Justizrat nicht nur über den Betrieb des Justizapparates wacht, sondern auch die Unabhängigkeit der Justiz garantiert.
Mit Spannung wird nun auf das Gutachten des Staatsrats zum Justizkapitel gewartet. Zur Erinnerung: Die endgültige Formulierung von Artikel 99 (2) des Reformtextes 6030 stammte aus der Feder der Hohen Körperschaft. Die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft traf damals auf breite Zustimmung.
Die Gutachter warnen vor einer politisierten Staatsanwaltschaft.