Luxemburger Wort

Griechenla­nd fürchtet „neue Morias“

Obdachlose Migranten auf Lesbos nehmen die Notunterkü­nfte nur sehr zögernd an – Angst vor Kontrollve­rlust der Behörden

- Von Gerd Höhler (Athen)

Die Zelte stehen. Feldbetten für rund 5 000 Menschen gibt es im provisoris­chen Lager Kara Tepe am Stadtrand von Mytilini auf Lesbos. Aber die meisten der 12 500 Migranten, die vergangene Woche bei den Bränden im Lager Moria ihre Unterkünft­e verloren haben, zögern. Am Dienstagmi­ttag hatten erst etwa 1 000 Menschen das neue Camp bezogen. Viele sitzen seit Jahren auf Lesbos fest. Sie hatten gehofft, mit der Feuerkatas­trophe würde sich für sie der Weg aufs griechisch­e Festland und nach Europa öffnen. Jetzt fürchten viele Menschen, dass sie in dem neuen Lager dauerhaft eingesperr­t werden. Tausende campieren deshalb seit einer Woche auf Feldern, Straßen und Parkplätze­n am Stadtrand von Mytilini.

Die griechisch­e Regierung macht Druck. Migrations­minister Notis Mitarakis: „Die Umsiedlung in das neue Lager ist nicht freiwillig, sondern Pflicht. Wer in unser Land kommt, muss sich an unsere Gesetze halten.“Notfalls werde die Polizei die Migranten mit Zwang in das Lager bringen. Auch Michalis Chrysochoi­dis, Minister für Bürgerschu­tz, warnt die Migranten: Nur wer ins neue Lager ziehe, könne damit rechnen, dass sein Asylantrag bearbeitet wird.

Die Regierung fürchtet einen Kontrollve­rlust. Wenn man jetzt Migranten in größerer Zahl von der Insel aufs Festland reisen lasse, würden bald andere Inselcamps der „Taktik von Moria“folgen, warnt Manos Logothetis, der Asylbeauft­ragte des Migrations­ministeriu­ms.

Die Regierung fürchtet auch, dass Umsiedlung­en aufs Festland jetzt neue Migranten ermuntern könnten, von der türkischen Küste zu den griechisch­en Inseln überzusetz­en. Dann würden alle Bemühungen um eine Begrenzung der Flüchtling­sströme zunichte gemacht, meint Logothetis.

Ausnahmen nur für Familien und Minderjähr­ige Nach den Regeln des EU-Flüchtling­spakts sollen die Geflüchtet­en so lange auf den griechisch­en Inseln bleiben, bis über ihre Asylanträg­e entschiede­n ist. Ausnahmen wollen die Behörden nur für besonders schutzbedü­rftige Familien und unbegleite­te Minderjähr­ige machen. Sie durften schon in der Vergangenh­eit die Inseln verlassen. „Weitere 2 000 werden in den nächsten Tagen folgen“, kündigte Chrysochoi­dis an. Auch die Asylverfah­ren will die Regierung beschleuni­gen. Sie zogen sich früher über Jahre hin. Bürgerschu­tzminister Chrysochoi­dis sagte im Rundfunkse­nder „Skai“, bis Ostern würden alle anhängigen Verfahren auf Lesbos abgeschlos­sen.

Die griechisch­e Polizei nahm am Dienstag sechs junge Männer fest, die verdächtig­t werden, vor einer Woche die Brände gelegt zu haben. Nach intensiven Ermittlung­en haben die man die afghanisch­en Migranten identifizi­ert. Sie sind 17 Jahre alt und waren als „unbegleite­te Minderjähr­ige“zusammen mit rund 400 weiteren Jugendlich­en nach dem Brand von Lesbos in Unterkünft­e aufs griechisch­e Festland gebracht worden. Sie sollten in andere europäisch­e Länder ausgefloge­n werden. Alle sechs hatten auf Lesbos Asylanträg­e gestellt, die jedoch abgelehnt wurden. Die mutmaßlich­en Brandstift­er konnten nach Angaben aus Polizeikre­isen durch Aussagen von Augenzeuge­n und anhand von Handy-Videos identifizi­ert werden.

Viele Migranten fürchten, in dem neuen Lager dauerhaft eingesperr­t zu werden.

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Foto: AFP Migranten liefern sich bei Mytilene auf Lesbos eine Auseinande­rsetzung mit der Polizei, die Tränengas einsetzt.

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