Wirrwarr um Corona-Ampel
Während die Infektionszahlen steigen, streiten sich Österreichs Politiker über Sinn und Nutzen einer farblichen Einteilung
„Bei Rot bleib stehen, bei Grün kannst gehen, bei Gelb gib acht, so wird’s gemacht“– ach, wenn es nur so einfach wäre. Denn einfach ist gar nichts, wenn es um die Corona-Ampel der österreichischen Bundesregierung geht. Vorgestern im Rahmen einer Parlamentssitzung von rechts wie links abgewatscht und als politischer „Basar“kritisiert, auf dem Regionen um ihre Einstufung feilschen, scheint selbst die Bundesregierung ihr Projekt ad acta gelegt zu haben.
Und dennoch: Gestern wurden erstmals Bezirke auf der Ampel auf Orange gestellt. Das bedeutet „hohes Risiko“. Die Umstellung passierte vorzeitig. Denn an sich sollte die Ampel laut Plan erst am Freitag angepasst werden und die jeweilige Farbabstufung mit harmonisierten Maßnahmen einhergehen. Aber nichts geht mehr nach Plan. Die vorzeitige Anpassung ist die Folge rasant steigender Zahlen. Und harmonisierte Maßnahmen? Fehlanzeige.
Laut der Ampel am riskantesten eingestuft sind derzeit Wien, Innsbruck, Dornbirn, Bludenz, Neunkirchen, Mödling und Kufstein. Etliche weitere Regionen wurden auf Gelb gestuft – darunter auch Linz, das seine ursprüngliche Gelb-Einstufung vor dem vergangenen Freitag erfolgreich wegverhandelt hatte und auf Grün gestuft worden war.
Lasche Umsetzung trotz rapide steigender Zahlen
Doch das Wochenende hat alles umgehauen: Laut standardisierten Tagesinformationen des Gesundheitsministeriums gab es gestern 713 bestätigte Covid–19-Infektionen. Erst am Freitag hatte das Ministerium den bisher zweithöchsten Wert seit Beginn der Pandemie registriert: Das waren 891 Infektionen binnen 24 Stunden. Die Färbung Orange hat dabei eine ebenso symbolträchtige wie politische Aussagekraft: Nämlich dass Neuinfektionen in relevantem Ausmaß nicht mehr Clustern zugeordnet werden können. Oder anders gesagt: Dass die Pandemie droht, unkontrollierbar zu werden, weil die Maßnahmen zur Eindämmung nicht greifen.
Was den nach Informationen lechzenden Bürger allerdings verwundert und ratlos zurücklässt: An sich war immer davon die Rede gewesen, dass ab einer Orange-Stufung tiefgreifende Maßnahmen wie gar Schulschließungen angedacht würden. Das ist derzeit aber kein Thema.
Zwar gilt seit vorgestern eine bundesweit ausgeweitete Maskenpflicht. Das war es aber auch schon. Ursprünglich war bei einer Orange-Stufung auch eine Beschränkung von Indoor-Veranstaltungen auf 250 Sitzplätze angedacht. Der Theater-, Konzert- und Opernbetrieb läuft in Wien aber auf dem Modus vor der Hochstufung weiter: Pro Vorführung 1 500 Plätze, so sie zugewiesen sind. Und das trotz sich häufender Kritik, etwa an der laschen Umsetzung der
Maskenpflicht in den Sälen oder der von vielen als zu eng empfundenen Sitzverteilung und vor allem auch angesichts eines Clusters in der Szene.
Nach einer Aufführung der Operette „Die Lustige Witwe“der Musik- und Kunstuni in Wien gab es bisher 24 bestätigte Infektionen im Ensemble. Der Cluster betrifft mittlerweile auch die Wiener Staatsoper. Dort mussten Umbesetzungen vorgenommen werden.
Der zunehmend unübersichtliche Streit um bundesweite und lokale Regelungen geht also weiter. An sich sollte die Corona-Ampel genau das beenden. Was vor allem aber verwundert, ist die entgleiste Kommunikation der Regierung und der sich aufzwingende Eindruck: Hier wurde während der Sommermonate und der an sich gut laufenden Sommersaison einfach zugesehen. Die Zahlen gehen seit Ende Juni nach oben. Nach Ende der Ferien wirkt es nun, als greife Panik um sich – ohne aber dass irgendjemand für noch einen Lockdown die Verantwortung tragen möchte.