„Wir haben das Schlimmste verhindert“
Nach sechs Monaten Corona-Pandemie zieht Premierminister Xavier Bettel Zwischenbilanz
Das Corona-Virus hat im März Wirtschaft, Gesellschaft und Politik kalt erwischt. Im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“blickt Premierminister Xavier Bettel (47, DP) auf eine schwere Zeit zurück.
Keiner wurde verschont und es ist noch nicht vorbei, mahnt Xavier Bettel. Art und Weise. Es war eine Situation, auf die keiner der Minister vorbereitet war. Es mussten Entscheidungen getroffen werden, die menschlich schwer waren wie junge und alte Menschen in die Isolation zu schicken. Ich habe eng mit allen Ministern zusammengearbeitet, denn es war jede Phase des Lebens und jeder Bereich betroffen. Die Herausforderung war auch jeden Tag anders. Am Anfang war es der Erhalt der Gesundheit. Man darf nicht vergessen, dass wir Tage hatten mit hundert Neuinfektionen, die exponentiell stiegen. Wir haben es immer fertiggebracht, Situationen wie die in den überlasteten Gesundheitssystemen im Ausland zu vermeiden. Die größte Herausforderung war aber, dass wir antizipieren und gleichzeitig auch reagieren mussten. Und solange keine Impfung verfügbar ist, bleibt diese Herausforderung bestehen. Man soll nicht meinen, dass es vorbei ist.
Es war nicht einfach, Luxemburgs Teststrategie im Ausland zu erklären. Wie haben Sie es empfunden, dass die Grenzen auf einmal wieder geschlossen waren?
Schrecklich. Wir haben uns bereits lange Zeit vor den anderen Ländern selber den Spiegel vor die Nase gehalten, um die Weiterverbreitung des Virus so schnell wie möglich zu verhindern. Wenn man sich heute die Zahlen anschaut, finden wir die Hälfte der Fälle durch das Testen – weil wir schlicht mehr machen als die anderen Länder. Es war die richtige Haltung, aber wir bekamen viel Druck: Es hieß, testet weniger, dann habt Ihr weniger Fälle.
Druck von wem?
Von innen und von außen. Wenn ich aber die Wahl habe, auf einer schwarzen Liste zu stehen oder überfüllte Krankenhäuser zu haben, nehme ich die schwarze Liste in Kauf. Und wir werden weitermachen. Denn wir sehen, dass wir die Situation dadurch im Griff haben.
Erstmals wurde der Etat de crise ausgerufen. Hat sich das Instrument bewährt? Es war ja nicht unbedingt an eine Gesundheitskrise gedacht worden.
Als der Text verabschiedet wurde, wurde tatsächlich eher an eine Reaktion auf Attentate wie in Paris und Terrorismus gedacht. Der Etat de crise ist nichts, was ich mir wünsche. Wir leben in einer Demokratie und da ist es wichtig, dass das Parlament die erste Macht ist. Wir haben denn auch den Etat de crise nicht wie andere Länder verlängert, er hat uns aber erlaubt, sehr schnell zu reagieren, wenn es im Interesse der Sache war. Wir haben aber dennoch jedes Mal das Parlament informiert, hatten dort einen Austausch genau wie mit den Sozialpartnern – das war uns wichtig. Wir haben uns nicht in den Elfenbeinturm
zurückgezogen und jeden Kontakt vermieden. Insofern war der Etat de crise in der Notsituation, in der wir waren, in der teils jede Stunde zählte, eine verhältnismäßige Antwort, die wir auch nicht missbraucht haben. Die Entscheidung war auch im Nachhinein gesehen nötig und wurde auch einstimmig von der Chamber getroffen. Aber ich wünsche keinem Premierminister, den Etat de crise anfragen zu müssen.
Man könnte ja aber meinen, dass es einfacher ist, in einer solchen Situation zu regieren, wenn man niemanden mehr fragen muss.
Es ist einfacher von den Prozeduren her, man trägt aber alleine die Verantwortung: Man entscheidet alleine und nicht in mit dem Parlament geteilter Verantwortung. Und es ist eine Einschränkung der Bürgerrechte – ich wünsche mir wirklich nicht, noch einmal in diese Situation zu kommen.
Im Nachhinein gesehen: Waren alle Maßnahmen nötig?
Ja. Es waren mit dem Wissen, das wir in dem Moment hatten, die richtigen und notwendigen Entscheidungen. Wir waren ja in einer anderen Situation, wir hatten weniger Material, weniger Wissen und konnten nicht absehen, was auf uns zukommt.
Wie geht es mit dem Sozialdialog weiter? Stichwort Tripartite.
Wir hatten ja eine Tripartite organisiert, weil es wichtig war, auf eine Reihe Sozialfragen schnelle Antworten zu finden. Ich werde mich auch im Vorfeld zur Rede zur Lage der Nation im Oktober noch mit den Sozialpartnern zum Austausch treffen. Das ist mir wichtig. Aber grundsätzlich ist mir der Dialog wichtiger als der Formalismus einer Tripartite.
Was sind die größten Sorgen für die kommenden Jahre?
Heute kann keiner beim besten Willen und Wissen sagen, wie es sich genau wirtschaftlich entwickeln wird. Tatsache ist, dass die Wirtschaft heute Geld braucht. Wer jetzt meint, die Steuern zu erhöhen oder das Budget und Investitionen zu straffen, der begeht einen großen Fehler. Ich bin ein Liberaler und stehe dennoch dazu, dass das Land im Moment einen Kredit braucht, um die Situation zu überbrücken. Wir bekommen ja auch Negativzinsen dafür, dass wir Geld aufnehmen. Ein Überbrückungskredit ist die richtige Antwort, denn wir können die Wirtschaft nicht fallen lassen, wir können die Leute nicht fallen lassen und Steuern – egal wie sie heißen – sind im Moment Gift. Gift für die Betriebe und für die Leute, die jetzt wieder Vertrauen in den Handel und die Aktivitäten aufbauen müssen. Dafür müssen wir uns die Mittel geben, denn, wenn wir es nicht tun, wird die Rechnung hinterher teurer als einen Kredit zurückzubezahlen. Ich bin aber auch froh, dass wir finanziell vorher gut aufgepasst haben, denn wir haben eine gute Ausgangsposition. Wir hätten das AAA nicht wieder bekommen, wenn wir alles falsch gemacht hätten und auch die Rating-Agenturen wissen, dass die Corona-Krise auf unsere Wirtschaft Auswirkungen haben wird.
Wird das Regierungsprogramm nochmals überarbeitet im Hinblick auf die Folgen der Corona-Krise?
Ich habe im Moment nicht vor, das Koalitionsprogramm über den Haufen zu werfen. Aber es ist gut möglich, dass ich bei der Rede zur Lage der Nation eine Priorisierung ankündige. Dazu werde ich mich in den kommenden Wochen mit den Regierungskollegen noch zusammensetzen.
Das heißt, die jetzt in die Diskussion gebrachten Erbschafts- und Vermögenssteuern ...
... stehen nicht im Koalitionsprogramm und ich habe nicht vor, sie einzuführen – weder eine Vermögensnoch eine Erbschaftssteuer. Ich bin ganz einverstanden, dass auch die Covid-Krise nicht im Koalitionsabkommen stand, aber jetzt Steuern zu erhöhen, ist Gift für die Leute und Gift für die Wirtschaft.
Erbschafts- und Vermögenssteuern stehen nicht im Koalitionsabkommen, ich habe nicht vor, sie einzuführen.