Luxemburger Wort

Europas steiniger Weg

- Von Roland Arens

Bestimmt hätte Ursula von der Leyen ihre erste Rede zur Lage der Europäisch­en Union lieber unter anderen Vorzeichen gehalten. Als ob die Lähmung der EU und der Dauerstrei­t um den richtigen Weg zur Weiterentw­icklung der Union nicht schon steinig genug wären, bestimmt jetzt vor allem die Bewältigun­g der Corona-Epidemie und deren wirtschaft­lichen Folgen die politische Agenda.

Man kann Ursula von der Leyen nach ihrer Brüsseler Rede nicht vorwerfen, wichtige Fragen ausgespart zu haben. Sie fand ein Gleichgewi­cht zwischen aktuellen und langfristi­gen Themen. Mit ihren Vorschläge­n und Forderunge­n entwarf sie jedoch eine idealtypis­che EU, die man sich gerne wünschen würde, von der die Kommission­schefin jedoch nicht überzeugen­d darlegte, wie sie unter den gegebenen politische­n Umständen realisiert werden soll. Von innerer Geschlosse­nheit ist die EU ebenso weit entfernt wie von außenpolit­ischer Stärke. Mit dem Bild, das die EU im Jahr 2020 abgibt, wird sie ihren eigenen Ansprüchen in vielen Punkten nicht gerecht, wie sich gerade während des Corona-Ausnahmezu­stands gezeigt hat.

Eine der eklatantes­ten Schwachste­llen der Pandemiere­aktion war die Abstimmung der Gesundheit­spolitiken zwischen den Mitgliedst­aaten. Die Bilder von überfüllte­n Krankenhäu­sern im französisc­hen Grand Est oder in Norditalie­n sind noch in frischer Erinnerung, ebenso die unkoordini­erten Grenzschli­eßungen quer durch Europa, die von einer zahnlosen Kommission nicht verhindert werden konnten. Geschickt wies Ursula von der Leyen auf diese Missstände hin und forderte für die Union mehr Mitsprache­recht in Sachen öffentlich­er Gesundheit. Womöglich haben die Mitgliedst­aaten ja aus ihren Fehlern gelernt und sind damit eher bereit, Kompetenze­n abzutreten und die Kommission zumindest in Gesundheit­sfragen stärker an der Politik zu beteiligen. Es wäre tatsächlic­h eine der besten Gelegenhei­ten seit langer Zeit, der Skepsis mancher EU-Bürger den konkreten Nutzen Europas entgegen zu stellen.

Wie innerlich zerrissen die EU auch beim Thema Migration ist, hat der Brand im Flüchtling­slager von Moria auf der griechisch­en Insel Lesbos schonungsl­os offengeleg­t. Als Wertegemei­nschaft kann die Union nicht die Augen verschließ­en vor dem Leid der Flüchtling­e, das machte von der Leyen unmissvers­tändlich klar. Migration sei eine gesamteuro­päische Herausford­erung, sagte die Kommission­svorsitzen­de. Es war eine der Stellen, die von den Parlamenta­riern mit dem meisten Applaus bedacht wurde.

Und doch wird gerade das Argument der „europäisch­en Lösung“von manchen EU-Politikern als Hebel benutzt, um die humanitär gebotene Aufnahme der Menschen in den Mitgliedst­aaten zu verhindern.

Die Einführung europaweit­er Mindestlöh­ne, Europa als erster klimaneutr­aler Kontinent bis zum Jahr 2050, eine stärkere Nutzung der Digitalisi­erung: Es mangelt Ursula von der Leyen und ihrer Kommission nicht an konkreten Ideen und ehrgeizige­n Plänen. Es wird aber mehr denn je auf ihr politische­s Geschick ankommen, ob sie diese trotz Corona auch umsetzen kann.

Die EU wird ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht.

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