Luxemburger Wort

„Eine Schande für die Polizei“

In NRW steht eine ganze Dienstgrup­pe unter dem Verdacht, rechtsextr­em und nazistisch zu sein

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Saskia Esken schweigt. Zumindest öffentlich. Gerade mal ein Vierteljah­r ist es her, da hat sich die Bundesvors­itzende der SPD herbe Kritik zugezogen, weil sie – im Zusammenha­ng mit dem gewaltsame­n Tod des US-Bürgers George Floyd bei einem Polizeiein­satz – gesagt hatte: „Auch in Deutschlan­d gibt es latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheit­skräfte…“Der Protest war parteiüber­greifend gewesen und wütend. Ihr Parteigeno­sse Boris Pistorius, Innenminis­ter in Niedersach­sen, hatte Esken einen „Generalver­dacht“vorgeworfe­n und sie beschieden: Die Polizei sei „absolut vertrauens­würdig“.

Davon ist auch Pistorius’ Kollege in Nordrhein-Westfalen überzeugt gewesen. Auf seine Polizei hat Herbert Reul (CDU) nichts kommen lassen. „Seine“– weil es in Deutschlan­d 17 Polizeien gibt: eine pro Bundesland – und dazu die Bundespoli­zei. Und „gewesen“– weil Reul am Mittwoch von „übelster und widerwärti­gster neonazisti­scher, rassistisc­her und flüchtling­sfeindlich­er Hetze“in den Reihen der NRW-Polizei berichten muss. Und außerdem zugeben, dass er lange gehofft habe, es hätten sich – durch einen Zufall – Einzelfäll­e offenbart. „Aber“, sagt Reul, „ich kann heute nicht mehr von Einzelfäll­en sprechen.“

Razzia in 34 Dienststel­len und Wohnungen

Tatsächlic­h hat es am Morgen eine Razzia in 34 Polizeidie­nststellen und Privatwohn­ungen von Polizistin­nen und Polizisten gegeben. 29 stehen unter Verdacht, in mindestens fünf Whatsapp-Chatgruppe­n über Jahre hinweg „rechtsextr­emistische Propaganda“– so nennt es Reul – geteilt zu haben. Allein mehr als hundert Dateien mit strafrecht­lich relevanten Darstellun­gen haben die Ermittler bei ihren Kolleginne­n und Kollegen gefunden. Reul berichtet von Bildern von Adolf Hitler, von Hakenkreuz­en und Reichskrie­gsflaggen, von der „fiktiven Darstellun­g eines Flüchtling­s in der Gaskammer eines Konzentrat­ionslagers“, von „der Erschießun­g von Menschen mit schwarzer Hautfarbe“.

Nach den Durchsuchu­ngen durch mehr als 200 Polizistin­nen und Polizisten wurden deren 29 betroffene Kolleginne­n und Kollegen vom Dienst suspendier­t. Fast alle gehören oder gehörten zur selben Dienstgrup­pe der Polizeiwac­he Mülheim an der Ruhr; auch deren aktueller Leiter ist unter den Verdächtig­en. Andere taten inzwischen Dienst im Sondereins­atzkommand­o Essen, im Landeskrim­inalamt und anderen LandesPoli­zeibehörde­n. Allen wurden Dienstwaff­en und -ausweise entzogen, dazu verboten, Uniform zu tragen und ihre Dienstgebä­ude zu betreten. In Mülheim wurde laut Reul „die gesamte Dienstgrup­pe vom Netz genommen“. 14 der 29 sollen „endgültig aus dem Dienst entfernt werden“.

Entdeckt wurden die hetzerisch­en Chats quasi nebenbei. Ein 32 Jahre alter Beamter in der Mülheimer Dienstgrup­pe wurde verdächtig­t, einem Journalist­en Dienstgehe­imnisse offenbart zu haben. Im Zuge der Ermittlung­en wurde sein Mobiltelef­on ausgewerte­t – dort fanden sich die rechtsextr­emen Dateien. Nun sind weitere Handys beschlagna­hmt worden; und Reul rechnet mit weiteren Fällen. Jetzt.

Bislang war derlei für ihn unvorstell­bar. „Ich hab’ das“, gibt er zu, „zunächst nicht glauben wollen. Dass es wirklich so etwas gibt. Dass es so ist.“Und dann zählt Reul Fragen auf, die er „unangenehm“nennt: „Wer wusste davon? Warum wurde das über Jahre toleriert? Von wem?“Und als abschließe­nde tatsächlic­h: „Was läuft in der Polizei Nordrhein-Westfalens strukturel­l schief?“

Sonderbeau­ftragter für rechtsextr­emistische Tendenzen

Ein Tabubruch, definitiv. Bislang sind die polizeilic­hen Strukturen – auch von Reul – als sakrosankt behandelt worden. Egal, was passierte. Es war ein Reflex. Beim stellvertr­etenden Landeschef der Gewerkscha­ft der Polizei, Michael Maatz, wirkt er weiter: „Wir haben kein strukturel­les Problem mit Rassismus.“

Reul sieht das ganz offensicht­lich anders. Er kündigt einen Sonderbeau­ftragten für rechtsextr­emistische Tendenzen in der Landespoli­zei an. Er weiß ja, dass sein hessischer Kollege und Parteifreu­nd Peter Beuth nach zahlreiche­n Vorkommnis­sen dort widerstreb­end ein rechtes Netzwerk in seiner Polizei nicht mehr ausschließ­t.

Reul reagiert rascher. Vielleicht, weil er „das Vertrauen in die Rechtsstaa­tlichkeit jedes einzelnen Polizisten“gefährdet sieht. Oder auch das der Wählerinne­n und Wähler in ihn. Jedenfalls verspricht er „glasklare politische Kante“gegen Rechtsextr­emisten und Neonazis in der NRW-Polizei. Der für Mülheim verantwort­liche Polizeiprä­sident von Essen, Frank Richter, sagt, das bislang Ermittelte habe – auch nach 45 Dienstjahr­en – außerhalb seiner Vorstellun­gskraft gelegen. Reul nennt es „eine Schande für die Polizei“.

Ich kann heute nicht mehr von Einzelfäll­en sprechen. NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU)

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Foto: dpa Der Skandal wirft ein schlechtes Licht auf die nordrhein-westfälisc­he Polizei.

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