Luxemburger Wort

Der Alptraum-Nawalny

Das politische Comeback des bekannten Opposition­ellen zeichnet sich schon am Krankenbet­t ab

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Alexei Nawalny meldet sich wieder. „Gestern habe ich den ganzen Tag selbststän­dig geatmet“, verkündete er am Dienstag auf Instagram. „Ohne das kleinste Ventil im Hals. Hat mir sehr gefallen.“Nawalny, russischer Politiker, 48, vor einem Monat in Tomsk vergiftet, kann laut den Ärzten der Berliner Charité auch das Bett wieder verlassen. Und seine Pressespre­cherin bestätigte gestern eine Meldung der New York Times, Nawalny wolle nach Russland zurück und dort wieder Politik machen.

Moskau reagiert mit gemischten Gefühlen. Für Nowitschok sehe der Patient viel zu gut aus, kommentier­t die Staatsagen­tur RIA Nowosti unter Berufung auf einen vaterländi­schen Experten. Ein Bundeswehr­labor hatte in Nawalnys Blut Spuren des Nervenkamp­fstoffs Nowitschok entdeckt.

Labore in Frankreich und Schweden bestätigte­n das, eine Teilnahme russischer Sicherheit­sorgane an dem Giftmordan­schlag liegt nahe. Die Dementis des Kremls klingen nervös, am Dienstag rutschte Putin-Sprecher Dmitri Peskow gar ein Name über die Lippen, der im offizielle­n Moskau seit Jahren Tabu ist: Nawalny.

Der Name Nawalny könnte für Wladimir Putin noch ärgerliche­r werden. Schon schlägt der EU-Außenbeauf­tragte Josep Barrel vor, das fällige Sanktionsp­aket gegen Russland auf Nawalny zu taufen. Moskauer Topbeamten drohen Strafmaßna­hmen. Westmedien prüfen die Sanktionsl­iste anhand russischer Luxusimmob­ilien, die Nawalnys Antikorrup­tionsstift­ung FBK in den vergangene­n Jahren vor allem in London-City entdeckte. Und man sieht in Russland mit Angst, dass die politische Öffentlich­keit in Brüssel und Berlin wegen des Falls Nawalny die schon fast fertige Ostseegasp­ipeline Nordstream-2 wieder infrage stellt. „Die deutsche Seite beschäftig­t sich ernsthaft mit der Variante, das Projekt einzufrier­en“, staunt die Zeitung Kommersant.

Nach Wochen im Koma scheint Nawalnys Comeback nur noch eine Frage der Zeit zu sein. „Ich kenne Alexei seit 20 Jahren“, sagt sein Opposition­skollege Ilja Jaschin unserer Zeitung, „ich zweifle nicht, er wird nach Russland zurückkehr­en und seine Arbeit fortsetzen.“Kremlnahe Kreise unterstell­en, Nawalny werde in Russland wie vorher als Agitator für westliche Geldgeber arbeiten. „Er macht hier große Geschäfte“, sagt der

Politologe Alexei Muchin, „auch wenn sie völlig illegal sind“.

Nawalny kann eine Bedrohung für die Staatsmach­t werden

Und die Vertretung Russlands bei der EU räsoniert in einer Verlautbar­ung, warum die russischen Behörden Nawalny hätten vergiften sollen, wo doch seine Popularitä­t laut einer Umfrage des unabhängig­en Lewada-Zentrums nur 2 % betrage. Diese 2 % antwortete­n auf die Frage, für welchen Präsidents­chaftsanwä­rter sie zurzeit stimmen würden. Obwohl Nawalny wegen zwei umstritten­er Vorstrafen gar nicht kandidiere­n darf, belegte er hinter Putin (40 %) und dem Nationalpo­pulisten Wladimir Schirinows­ki (4 %) Platz drei.

Dass Nawalny der Staatsmach­t durchaus gefährlich werden kann, zeigt der vergangene Regionalwa­hlsonntag. Im sibirische­n Tomsk, wo er unmittelba­r vor seiner Vergiftung einen Enthüllung­sfilm über korrupte Parlamenta­rier der Staatspart­ei „Einiges Russland“gedreht hatte, gewannen Mitarbeite­r seines Stabes überrasche­nd mehrere Stadtratss­itze. „Einiges Russland“stürzte von 32 auf 11 Mandate ab. Jetzt hoffen Nawalnys Anhänger, solche lokale Erdrutsche könnten bei den Duma-Wahlen 2021 landesweit werden.

Wenn man Nawalny erlaube, eine Partei zu gründen, hole er bei den Duma-Wahlen 13 % bis 14 %, sagt der Systemlibe­rale Boris Nadeschdin. „Ob wir es wollen oder nicht, er ist zur Symbolfigu­r geworden.“– „Ich sehne mich nach euch“, schrieb Nawalny auf Instagram. Bis gestern erntete er über 1,4 Millionen Likes dafür.

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