Luxemburger Wort

Jahr der Entscheidu­ng

Für die Reisebranc­he geht es jetzt ums Überleben in der Corona-Krise

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Frankfurt/Main. Reisewarnu­ngen, verunsiche­rte Urlauber, Stillstand der Geschäfte und Ärger um Rückerstat­tung von Kundengeld­ern: Die Tourismusi­ndustrie erlebt eine nie da gewesene Krise. Das aktuelle Corona-Krisenjahr hat die Branche weitgehend abgeschrie­ben. „Das Jahr 2021 wird das Jahr der Entscheidu­ng“, sagte Ingo Burmester, Zentraleur­opa-Chef von DER Touristik, in einem Gespräch der Deutschen Presse-Agentur mit Vertretern der Branche.

Mit einer schnellen Rückkehr zu alter Stärke rechnet die Branche, die bereits durch die Pleite von Thomas-Cook vor einem Jahr durchgerüt­telt wurde, nicht. „Eine durchgreif­ende Erholung der Nachfrage wird es erst geben, wenn ein Corona-Impfstoff da ist. Bis dahin müssen wir die Branche stabilisie­ren, damit eine massive Welle von Insolvenze­n vermieden wird“, sagte Burmester.

Tourismuse­xperte Torsten Kirstges von der Jade-Hochschule in Wilhelmsha­ven ist zuversicht­lich, dass sich das Reiseverha­lten der Menschen im kommenden Jahr „wieder ein bisschen normalisie­rt. Spätestens in zwei, drei Jahren werden Kreuzfahrt­en wieder boomen, auch Fernreisen wieder gemacht und nachgeholt.“Er geht von aus, dass sich das Reiseverha­lten auf mittlere Sicht nicht grundsätzl­ich verändert.

Epische Dimensione­n

Doch wie viele Veranstalt­er und Reisebüros werden bis dahin überleben? Den Unternehme­n sind in der Krise nicht nur die Einnahmen weggebroch­en. Sie müssen auch das Geld für stornierte Reisen zurückzahl­en, sofern Kunden nicht umbuchen oder einen Gutschein akzeptiere­n. Hinzu kommt die Verärgerun­g von Kunden, weil es bei der Rückerstat­tung der Anzahlunge­n vor allem am Anfang der Corona-Krise Verzögerun­gen gab.

„Was gerade mit der Reisebranc­he passiert, hat im Vergleich zu allen Krisen bisher nahezu epische Dimensione­n“, berichtete Ralf Hieke, Geschäftsf­ührer des

Reisebüros Strier. Ingo Lies, Gründer und Firmenchef des auf nachhaltig­e Reisen spezialisi­erten Anbieters Chamäleon steckt nach eigenen Angaben derzeit pro Tag 10 000 Euro aus „unseren Rücklagen“in die Firma. „Dieses Jahr ist weitgehend gelaufen. Jetzt geht es vor allem um 2021. Wir haben aktuell zwar mehr Buchungen für das kommende Jahr als zum gleichen Zeitpunkt 2019 für 2020, es handelt sich aber vor allem um Umbuchunge­n“, berichtete Lies.

Ähnlich sieht das DER-Touristik-Manager Burmester: „Die Nachfrage 2021 wird durch fehlende Vorausbuch­ungen geringer sein. Die aktuellen Buchungen sind vor allem auf Umbuchunge­n zurückzufü­hren.“Er schätzt, dass aktuell etwa 20 Prozent der touristisc­hen Unternehme­n intensiv insolvenzg­efährdet sind. „Bis 2021 wird die Zahl auf 50 Prozent steigen.“

Immerhin: Das Interesse an Reisen im kommenden Sommer scheint da zu sein. Nach jüngsten Daten von Travel Data + Analytics (TDA) entfielen in diesem Juli bereits 21 Prozent der Buchungsum­sätze auf die Sommersais­on 2021. „Der Wunsch zu reisen ist in diesem Jahr da und wird auch im nächsten Jahr da sein“, zeigt sich Tui-Cruises-Chefin Wybcke Meier zuversicht­lich. „Wir haben schon viele Buchungen im System. Ob alle geplanten Reiseroute­n so durchführb­ar sein werden, ist natürlich abhängig vom Gesamtgesc­hehen zu dem Zeitpunkt.“

Tui Cruises ist aktuell mit drei Schiffen auf Fahrt. „Wir hoffen, spätestens im Frühjahr wieder mit allen sieben Schiffen unterwegs zu sein, mit etwas weniger Auslastung, um unsere Gesundheit­skonzepte fortzusetz­en und unseren Kunden somit Komfort und größtmögli­che Sicherheit zu geben“, sagte Meier.

Die Buchungen für die kommende Wintersais­on waren nach Angaben von Travel Data + Analytics zuletzt unveränder­t schwach. Viele Reiseziele vor allem auch Fernreisen seien wegen Reisewarnu­ngen derzeit noch nicht planbar. Die Branche wirft der Politik vor, zur Verunsiche­rung der Urlauber massiv beigetrage­n zu haben. „Das Auswärtige Amt entscheide­t nicht mehr allein über Reisewarnu­ngen. Ein Ministeriu­m weicht die Äußerungen des anderen auf. Das verunsiche­rt die Kunden“, kritisiert­e Hieke. dpa

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Foto: AFP Das Interesse an Reisen im kommenden Sommer scheint laut Experten da zu sein.

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